Inkontinenz |
Darm- und Blasenschwäche sind ein Tabuthema und gleichzeitig ein ernstzunehmendes Problem: Fast 7 Millionen Menschen in Deutschland leiden unter Inkontinenz – und sind über Behandlungs- und Versorgungsmöglichkeiten kaum informiert. Die häufigste Inkontinenzform ist die dabei Belastungsinkontinenz. Hilfsmittel für Frauen wie Männer gibt es inzwischen in vielen Ausführungen in Apotheken – ebenso wie eine sensible Beratung.
Schätzungen zufolge leidet jede zweite Frau in ihrem Leben zumindest zeitweise an Harninkontinenz. Bei Männern ist das Leiden in jüngerem Alter weniger verbreitet. Mit zunehmendem Alter steigt die Zahl der Betroffenen bei beiden Geschlechtern an. In einer Erhebung des Robert-Koch-Instituts gab knapp ein Drittel der Befragten über 80 Jahren an, an Inkontinenz zu leiden. Im Alter von 60 Jahren betraf das Problem jede vierte Frau und jeden zehnten Mann.
Neben einigen Sonderformen unterscheiden Mediziner in erster Linie zwei Hauptformen von Harninkontinenz: die Belastungs- oder Stressinkontinenz und die Dranginkontinenz.
Bei einer Belastungs- oder Stressinkontinenz geht bei körperlicher Anstrengung unwillkürlich Urin ab. Beispielsweise beim Husten, Lachen oder Anheben eines schweren Gegenstands, also immer dann, wenn der Druck im Bauchraum steigt.
Typisch für eine Dranginkontinenz ist dagegen plötzlicher Harndrang, der so stark ist, dass man es nicht mehr rechtzeitig zur Toilette schafft. Mit zunehmendem Alter treten häufiger auch Mischformen auf, die sich sowohl mit Symptomen einer Drang- als auch einer Belastungsinkontinenz zeigen.
Eine Sonderform der Blasenschwäche ist die Überlaufinkontinenz, unter der vor allem Männer häufig leiden: Kann sich die Blase wegen einer Harnröhrenverengung, zum Beispiel durch eine vergrößerte Prostata, nicht vollständig entleeren, träufeln kontinuierlich kleine Mengen Urin heraus.
Unbemerkten Harnverlust während des Schlafs bezeichnen Mediziner als Enuresis nocturna. Bei der sogenannten koitalen Inkontinenz geht während des Geschlechtsverkehrs oder des Orgasmus Harn ab.
Bei Frauen ist Inkontinenz häufig die Folge eines geschwächten Beckenbodens. Wenn in den Wechseljahren die Estrogenproduktion zurückgeht, nehmen die Durchblutung und die Elastizität der Muskelplatte ab und der Beckenboden erschlafft zunehmend.
Auch vaginale Geburten, Übergewicht, chronische Verstopfung, eine schlechte Körperhaltung und häufiges schweres Heben erhöhen das Risiko für eine spätere Belastungsinkontinenz. Während und nach einer Schwangerschaft leidet etwa jede fünfte Frau an einer – meist vorübergehenden – Blasenschwäche.
Bei einer Dranginkontinenz ist der Austreibungsmuskel, der sogenannte Detrusor, überaktiv und kann nicht mehr gesteuert werden. Der Estrogenmangel nach der Menopause fördert diese Entwicklung bei Frauen.
Weitere mögliche Ursachen für die übermäßige Erregbarkeit des Detrusors sind Blasenentzündungen, Blasensteine, Tumoren oder eine vergrößerte Prostata beim Mann. Bei Männern entsteht zudem oft nach einer Prostataoperation eine Belastungsinkontinenz, wenn der Schließmuskel durch den Eingriff geschwächt oder verletzt wurde.
Findet der Arzt keine eindeutige Ursache für die Blasenschwäche – was sehr häufig der Fall ist –, spricht er von einer idiopathischen Inkontinenz. Unter Umständen spielen auch psychische Faktoren wie Stress, Nervosität und Angst eine Rolle.
Erster Ansprechpartner bei Inkontinenz ist der Hausarzt oder bei Frauen der Gynäkologe und bei Männern der Urologe.
Die Therapie richtet sich in erster Linie nach den Ursachen der Blasenschwäche:
Die am häufigsten verschriebenen Medikamente bei Dranginkontinenz und überaktiver Blase sind Anticholinergika (auch Antimuskarinika genannt, zum Beispiel Oxybutynin, Propiverin, Trospiumchlorid). Sie blockieren die Rezeptoren des Austreibungsmuskels und bremsen übermäßige Kontraktionen. Es treten jedoch oft unerwünschte Wirkungen wie Mundtrockenheit, Verstopfung, eingeschränkte geistige Leistungsfähigkeit oder Benommenheit auf. Präparate mit verzögerter Wirkstofffreisetzung oder transdermale Pflaster zeigten in Studien generell eine geringere Nebenwirkungsrate, während sie bei oralem, unretardiertem Oxybutynin am höchsten lag.
Bei häufigem nächtlichen Harndrang mit oder ohne Einnässen kann Desmopressin die Symptome lindern. Das synthetische Hormon verringert die Urinmenge, die von den Nieren in die Blase gelangt. Die Wirkung hält etwa acht bis zwölf Stunden an, die Anwendung erfolgt als Nasenspray, Tablette oder Schmelztablette.
Für Frauen mit mittelschwerer bis schwerer Belastungsinkontinenz ist in Deutschland auch das Antidepressivum Duloxetin (Yentreve®) zugelassen. Der Wirkstoff zählt zu den selektiven Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmern und erhöht den Verschlussdruck des Blasensphinkters.
Männer mit einer gutartigen Prostatavergrößerung, die die Harnröhre verengt, erhalten oft einen prostataselektiven α1-Rezeptorenblocker (zum Beispiel Tamsulosin, Alfuzosin, Silodosin). Diese Medikamente bewirken, dass die glatte Muskulatur in der Prostata und in der Harnröhre erschlafft. Das erleichtert die Blasenentleerung und verringert die Restharnbildung sowie das Nachträufeln. Zu den Nebenwirkungen zählen Schwindel, Kopfschmerz und eine zum Teil deutliche Blutdrucksenkung. Am geringsten waren diese Nebenwirkungen in Studien unter Tamsulosin.
Zeigen Medikamente keine ausreichende Wirkung, gibt es heute zahlreiche Möglichkeiten einer operativen Behandlung:
Bei Dranginkontinenz
Bei Frauen mit Belastungsinkontinenz