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Tod durch schlechte Ernährung?

Jeder fünfte Todesfall weltweit könnte eine Folge schlechter Ernährung sein, heißt es in einer jüngst im Fachjournal »The Lancet« veröffentlichten Studie zur globalen Krankheitslast. Das klingt dramatisch – und das ist es auch, bestätigen Ernährungsmediziner und -wissenschaftler.
Barbara Erbe
20.05.2019  13:00 Uhr

Die Global-Burden-of-Disease-Studie (GBD-Studie) hat Ernährungsgewohnheiten in 195 Ländern in der Zeit zwischen 1990 und 2017 in den Blick genommen. Die Autoren stellen fest, dass im Jahr 2017 elf Millionen Todesfälle auf zu viel Salz, zu wenig Vollkornprodukte und zu wenig Obst und Gemüse in der Nahrung zurückgingen. Außerdem seien aus demselben Grund 255 Millionen Jahre in Krankheit verbracht worden.

Grundlage dieser Berechnungen ist das Konzept der Krankheitslast (engl.: Burden of Disease), das den Anteil einzelner Erkrankungen an den durch Tod verlorenen oder in Krankheit verbrachten Lebensjahren auf Bevölkerungsebene schätzt (Disability-Adjusted Life Years, DALY). So lässt sich darstellen, in welchen Bereichen Vorbeugung und Gesundheitsfürsorge den größten Nutzen für Lebensqualität und Gesundheit der Bevölkerung erzielen können. Die GBD-Studie der Weltgesundheitsorganisation WHO und des Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME) wird seit Ende der 1980er-Jahre regelmäßig durchgeführt.

Eine Fülle von Belegen

Die aktuelle, umfangreiche und systematische GBD-Studie belege mit einer Vielzahl von Erhebungen und Berechnungen, wovor Wissenschaftler und Mediziner schon lange warnen, sagt Dr. Matthias Riedl, Sprecher des Bundesverbands Deutscher Ernährungsmediziner, im Gespräch mit PTA-Forum. »Auch beim Kardiologenkongress 2016 kam man zu dem Schluss, dass 80 Prozent der Krankheiten und 40 Prozent der Krebsfälle durch falsches Verhalten bedingt sind, und dass die Ernährung dabei der wichtigste Verhaltensfaktor ist.«

Zwar sei es schwierig, anhand von Beobachtungsstudien nicht nur Korrelationen, sondern auch Kausalitäten festzustellen, wie das bei der GBD-Studie der Fall ist. Denn es spielen in der Realität ja stets noch weitere Faktoren außer den ausdrücklich unter die Lupe genommenen eine Rolle. »Aber es gibt zu vielen Teilbereichen – beispielsweise zu den Auswirkungen des Verzehrs von rotem Fleisch – durchaus randomisierte Studien mit Vergleichsgruppen«, bemerkt Riedl. »Außerdem bietet die sehr große Zahl von Beobachtungsstudien über viele Jahre hinweg eine überwältigende Fülle von Hinweisen auf die Schlüsselrolle der Ernährung.« Das betont auch Dr. Angela Bechthold, Leiterin des Referats Wissenschaft bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE). »Die Ergebnisse der umfangreichen GBD-Studie reihen sich in die bekannten Erkenntnisse der Wissenschaft ein. Sie bestätigen, was eine gesundheitsfördernde Ernährung ausmacht, und damit bestätigen sie auch die aktuellen Ernährungsempfehlungen der DGE.« (Siehe Kasten).

Die Forscher haben für 15 Lebensmittel beziehungsweise Nährstoffe jeweils eine optimale Menge berechnet, die ein Mensch täglich essen sollte beziehungsweise darf: Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte, Vollkorn, Ballaststoffe, Nüsse und Samen, Calcium, Milch, Omega-3-Fettsäuren, mehrfach ungesättigte Fette sowie rotes Fleisch, Wurst, zuckerhaltige Getränke, Transfettsäuren und Salz. Anschließend berechneten sie, wie sehr sich bei einem Abweichen von der Idealmenge das Risiko für Herzkreislaufkrankheiten, Krebs, Diabetes und einen vorzeitigen Tod erhöhte.

Das Ergebnis: Herz-Kreislauf-Erkrankungen stellen mit 10 Millionen den größten Teil der ernährungsbedingen Todesfälle, gefolgt von 913.000 Krebstodesfällen und fast 339.000 Todesfällen durch Typ-2-Diabetes. Die größten Risiken gehen laut Christopher Murray, Mitinitiator der GBD-Studie und Direktor des IHME, auf zu hohen Salzkonsum (3 Millionen Todesfälle), zu geringen Verzehr von Vollkorn (3 Millionen Todesfälle), zu wenig Obst (2 Millionen Todesfälle) und einen zu geringen Verzehr von Nüssen und Samen (2 Millionen Todesfälle) zurück. Schlechte Ernährung sei damit für mehr Todesfälle verantwortlich als jeder andere Risikofaktor.

Favorit Mittelmeerdiät

Wichtige Grundlagen der GBD-Studie sind Zusammenhänge, die bereits in langfristigen Beobachtungs- und Interventionsstudien erforscht wurden. Das berichtet Professor Dr. Matthias Schulze, Leiter der Abteilung Molekulare Epidemiologie am Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke. So habe sich auf Basis prospektiver Kohortenstudien und der randomisierten Interventionsstudie PREDIMED die mediterrane Ernährungsweise als diejenige herausgestellt, die das Risiko für Krebs, Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Vergleich zu üblichen westlichen Ernährungsgewohnheiten senkt. Menschen, die dieser traditionell in der Mittelmeerregion verbreiteten Ernährungsform folgen, essen täglich Obst, Gemüse, Milchprodukte, Olivenöl und (Vollkorn-) Getreideprodukte oder Reis sowie mehrmals pro Woche Fisch, Hülsenfrüchte und Eier. Fleisch und Süßigkeiten stehen dagegen eher selten auf dem Speiseplan.

Schulze begrüßt, dass sich die aktuelle GBD-Studie sowohl den Vorteilen gesunder als auch den Risiken eher ungesunder Lebensmittel widmet. »Wer sich nicht an Vollkorn, Obst, Gemüse, Hülsenfrüchten, Nüssen oder Samen satt isst, der verzichtet auf ihren gesundheitlichen Wert zugunsten anderer weniger wertvoller Lebensmittel.« Entsprechend stellt die aktuelle Studie für Deutschland als größten ernährungsmäßigen Risikofaktor einen zu geringen Verzehr von Vollkornprodukten fest.

Steuer und Scores

Trotz Nahrungsfülle ernährten sich in Deutschland immer mehr Menschen mangelhaft, sodass Stoffwechselkrankheiten und Übergewicht gewaltig ansteigen, klagt Riedl. So seien etwa 50 Prozent der Erfrischungsgetränke »dramatisch überzuckert« Darauf müsse die Politik dringend eingehen, meint der Ernährungsmediziner, »beispielsweise mit einer Lenkungssteuer auf Lebensmittel, wie sie Gesundheitsexperten schon lange fordern.« Seiner Meinung nach sollten gesunde Lebensmittel wie Vollkornprodukte, klares Wasser oder nicht verarbeitetes Obst und Gemüse nicht besteuert werden, Süßes und Fettes dagegen höher als bisher.

Dass solch unterschiedliche Steuersätze bislang nicht eingeführt wurden, führt er nicht zuletzt darauf zurück, dass die Bereiche Gesundheit und Ernährung in Deutschland zwei verschiedenen Ministerien zugeordnet sind. »Dabei müsste die Ernährung eindeutig ein Unterpunkt des großen Bereiches Gesundheit sein, dann würden sich die gesundheitlichen Vorgaben auch weniger an den Interessen der Lebensmittelindustrie orientieren.«

Das lässt auch die Auseinandersetzung um den sogenannten Nutri-Score vermuten. Das von französischen Wissenschaftlern entwickelte farbige System zur Lebensmittelkennzeichnung berechnet aus gesunden Nährstoffen (wie Obst, Gemüse, Ballaststoffe) und eher ungünstigen Inhaltsstoffen von Lebensmitteln (zum Beispiel Zucker, gesättigte Fettsäuren) einen Gesamt-Punktwert. Je nach Wert wird das Produkt auf der Vorderseite der Verpackung mit einem Buchstaben und einer Farbe gekennzeichnet. Die ampelähnliche, fünfstufige Skala reicht von einem dunkelgrünen A bis zu einem roten E. Die Einführung des in Frankreich, Belgien und Spanien verwendeten Systems wird vom deutschen Ministerium für Landwirtschaft und Ernährung nicht befürwortet – »vermutlich aus Rücksicht auf die Hersteller ungesunder Produkte«, wie die Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten DANK kommentiert.

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