Trio am Start |
Sven Siebenand |
04.09.2025 08:00 Uhr |
Anfang September kamen drei neue vielversprechende Wirkstoffe auf den Markt. / © Adobe Stock/Simplementbeau
In Riulvy® von Neuraxpharm ist die neue Substanz Tegomilfumarat enthalten. Das Fertigarzneimittel ist zur Behandlung der schubförmig-remittierenden Multiplen Sklerose (RRMS) bei Erwachsenen sowie bei Kindern und Jugendlichen ab 13 Jahren zugelassen.
Bei Tegomilfumarat handelt es sich – wie bei Diroximelfumarat, das vor ein paar Jahren auf den deutschen Markt kam – um eine Weiterentwicklung des seit Längerem bekannten MS-Wirkstoffs Dimethylfumarat. Alle drei sind Prodrugs, die im Körper zum aktiven Metaboliten Monomethylfumarat umgewandelt werden. Der Wirkmechanismus ist nicht vollständig verstanden. Man geht davon aus, dass Monomethylfumarat den sogenannten Nrf2-Signalweg aktiviert. Die daraus resultierende erhöhte Produktion von Antioxidanzien scheint dabei zu helfen, die Aktivität des Immunsystems zu kontrollieren und Schädigungen des Gehirns und des Rückenmarks bei MS zu reduzieren.
Riulvy wird als magensaftresistente Hartkapsel verabreicht. Die Einnahme erfolgt zu Beginn mit einer Dosis von 174 mg zweimal täglich über sieben Tage. Danach wird die Erhaltungsdosis von 348 mg zweimal täglich empfohlen. Die Kapseln müssen unzerkaut geschluckt und am besten zusammen mit einer Mahlzeit eingenommen werden, da dies die Verträglichkeit verbessert. Wird eine Dosis vergessen, darf sie nur nachgeholt werden, wenn bis zur nächsten Einnahme noch mindestens vier Stunden Abstand bestehen.
Zu den sehr häufigen Nebenwirkungen zählen Hitzegefühl sowie gastrointestinale Beschwerden wie Durchfall, Übelkeit und Bauchschmerzen, die vor allem zu Beginn der Therapie auftreten. Eine Lymphopenie, also eine zu geringe Anzahl von Lymphozyten im Blut, kann das Risiko für Infektionen erhöhen. Diese Nebenwirkung wird häufig beobachtet. Eine gefürchtete, wenn auch seltene Komplikation ist die progressive multifokale Leukoenzephalopathie (PML), eine schwerwiegende Gehirninfektion, die bei anhaltender Lymphopenie auftreten kann.
Tegomilfumarat wurde nicht in Kombination mit immunsuppressiven oder antineoplastischen Therapien untersucht, weshalb hier Vorsicht geboten ist. Auch die gleichzeitige Anwendung anderer Fumarsäureester (systemisch oder topisch) sollte vermieden werden. Totimpfstoffe können unter der Behandlung mit Riulvy in Betracht gezogen werden; Lebendimpfstoffe hingegen sind nicht empfohlen. Vorsicht ist zudem bei gleichzeitiger Gabe nephrotoxischer Substanzen wie Aminoglykosiden, Lithium oder nicht steroidalen Antirheumatika geboten. Diese können das Risiko renaler Nebenwirkungen unter Tegomilfumarat erhöhen.
Während der Schwangerschaft sollte Tegomilfumarat nur in begründeten Ausnahmefällen angewendet werden, da Tierstudien Hinweise auf eine Schädigung der Entwicklung des ungeborenen Kindes zeigten und das Risiko bei längerer Anwendung in der Schwangerschaft nicht sicher abgeschätzt werden kann. Ob Tegomilfumarat in die Muttermilch übergeht, ist nicht bekannt, weshalb Stillen und Therapie gegeneinander abgewogen werden müssen.
Der Antikörper Lecanemab (Leqembi® Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung, Eisai) kommt zur Behandlung von Erwachsenen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung und leichter Demenz aufgrund der Alzheimer-Krankheit zum Einsatz. Er ist zur Anwendung bei Personen mit bestätigter Amyloid-Pathologie bestimmt, die nur eine oder keine Kopie von ApoE4, einer bestimmten Form des Gens für das Protein Apolipoprotein E, aufweisen.
Lecanemab ist ein monoklonaler Antikörper, der aggregierte, lösliche und unlösliche Amyloid-β-Formen bindet und so Amyloid-Plaques im Gehirn reduziert. Er wird einmal alle zwei Wochen intravenös infundiert. Die empfohlene Dosis sind 10 mg/kg Körpergewicht. Der Arzt sollte die kognitiven Funktionen und Symptome des Patienten etwa alle sechs Monate beurteilen, um das Fortschreiten der Erkrankung zu überwachen. Die Behandlung sollte abgebrochen werden, sobald der Patient zu einer mittelschweren Alzheimer-Krankheit fortschreitet.
Wichtig: Es müssen MRT-Untersuchungen durchgeführt werden, um die Patienten auf Amyloid-bezogene Bildgebungsanomalien (ARIA) zu überwachen. Dies ist eine potenzielle Nebenwirkung von Lecanemab, die bei der Bildgebung des Gehirns beobachtet wird und Schwellungen und mögliche Blutungen im Gehirn beinhaltet. Vor Beginn der Behandlung und vor der 5., 7. und 14. Dosis des Antikörpers steht ein MRT an. Weist der Patient zu irgendeinem Zeitpunkt während der Behandlung Symptome auf, die auf das Vorhandensein von ARIA hindeuten, können zusätzliche MRT-Untersuchungen durchgeführt werden. Der Arzt kann auf der Grundlage der Ergebnisse der MRT-Untersuchungen entscheiden, die Behandlung vorübergehend zu unterbrechen oder ganz zu beenden.
ARIA, einschließlich seiner schwerwiegenden Symptome, ist bei Patienten mit nur einer oder keiner Kopie von ApoE4 weniger häufig. Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) gelangte zu dem Schluss, dass bei dieser Patientengruppe das Risiko einer ARIA mit geeigneten Maßnahmen zur Risikominimierung beherrscht werden kann. Der Test auf den ApoE4-Status muss vor Einleitung der Lecanemab-Therapie durchgeführt werden.
Zu den sehr häufigen Nebenwirkungen von Lecanemab zählen neben ARIA auch Kopfschmerz und infusionsbedingte Reaktionen.
Leqembi darf nicht bei Personen mit Blutungsstörungen, die nicht angemessen kontrolliert sind, und bei Personen, die eine gerinnungshemmende Behandlung erhalten, angewendet werden. Der Antikörper ist auch kontraindiziert, wenn bei der MRT-Untersuchung vor der Behandlung frühere Blutungen im Gehirn, mehr als vier Mikroblutungen, oberflächliche Siderose (eine Erkrankung, die das Gehirn und das Rückenmark betrifft und Blutungen einschließt) oder vasogenes Ödem (Schwellung im Gehirn, die die Gefäße betrifft) oder andere Probleme auftreten, die auf eine zerebrale Amyloidangiopathie (Ansammlung von Amyloidproteinen in Arterien im Gehirn, die Blutungen verursachen) hinweisen können.
Das Antikörper-Wirkstoff-Konjugat Tisotumab vedotin (Tivdak® Pulver für ein Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung, Genmab) ist für die Therapie von erwachsenen Patientinnen mit rezidivierendem oder metastasierendem Gebärmutterhalskrebs (Zervixkarzinom) bestimmt, bei denen es während oder nach einer systemischen Therapie zu einer Krankheitsprogression gekommen ist. Der Antikörperteil des Konjugats, Tisotumab, bindet an den Gewebefaktor (Tissue Factor, TF). Dieser spielt eine Rolle in der Regulation bestimmter Signalwege, und viele Tumorzellen überexprimieren TF, wodurch das Krebswachstum, die Angiogenese und die Metastasierung begünstigt werden. Nachdem Tisotumab gebunden hat, wird das Konjugat in die Zelle aufgenommen, wo es zur Freisetzung des Spindelgifts Vedotin kommt, was in der Folge zum Zelltod führt.
Die empfohlene Dosis von Tivdak beträgt 2 mg/kg (bis zu einer Höchstdosis von 200 mg bei Patientinnen mit einem Körpergewicht ≥ 100 kg) alle drei Wochen bis zur Krankheitsprogression oder inakzeptabler Toxizität. Bei Auftreten bestimmter Nebenwirkungen kann der Arzt entscheiden, ob er die Dosis reduziert oder die Behandlung unterbricht. Die Augen und das Sehvermögen der Patientin sollten vor Beginn der Behandlung mit Tivdak und auch während der Behandlung regelmäßig kontrolliert werden. Die Patientinnen müssen corticoidhaltige, vasokonstriktorische sowie befeuchtende Augentropfen regelmäßig anwenden. Details dazu finden sich in der Fachinformation von Tivdak. Bei Anzeichen oder Symptomen schwerer unerwünschter Reaktionen der Haut muss die Behandlung mit Tivdak sofort unterbrochen werden, bis die Ätiologie der Reaktion geklärt ist.
Zu den sehr häufigen Nebenwirkungen zählen periphere Neuropathie, Übelkeit, Nasenbluten, Konjunktivitis, Alopezie, Anämie und Diarrhö. Bei einer gleichzeitigen Verabreichung von Tisotumab vedotin mit starken CYP3A4-Inhibitoren müssen die Patientinnen sorgfältig auf unerwünschte Reaktionen überwacht werden. Frauen im gebärfähigen Alter muss geraten werden, während der Behandlung und mindestens zwei Monate nach dem Absetzen von Tisotumab vedotin ein wirksames Verhütungsmittel zu verwenden. Tivdak darf nicht während der Schwangerschaft angewendet werden. Das Stillen müssen Frauen während der Behandlung und für mindestens drei Wochen nach der letzten Dosis unterbrechen.