Übergewicht der Schwangeren beeinflusst das Kind |
Kinder stark übergewichtiger Mütter haben häufiger einen schwereren Start ins Leben und ein höheres Risiko für Übergewicht und damit verbundene Erkrankungen im weiteren Verlauf ihres Lebens. / Foto: Adobe Stock/tortoon
Übergewicht bei Schwangeren steigert nicht nur die Gesundheitsrisiken der Mütter, sondern ungünstige Einflüsse wirken bereits auf das noch ungeborene Leben. Die ersten 100 Tage nach der Befruchtung haben sich als besonders sensible Zeit für die spätere Entwicklung des Kindes herausgestellt. In dieser sehr frühen Phase können bereits die Weichen für spätere Erkrankungen gestellt werden. Jede dritte Schwangere ist mittlerweile übergewichtig oder adipös.
Der aktuelle Ernährungsbericht der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) zeigt auf, dass in den letzten Jahren die Zahl an Schwangeren, die bei der Erstuntersuchung bereits übergewichtig waren, kontinuierlich zugenommen hat. Im Jahr 2007 brachten 34 Prozent zu viele Kilos auf die Waage. Davon wiesen knapp 22 Prozent einen Body-Mass-Index (BMI kg/m2) zwischen 25 und 29,9 (präadipös) auf, über 12 Prozent hatten einen BMI von über 30 und galten damit als adipös. Zehn Jahre später waren schon fast 40 Prozent zu Beginn der Schwangerschaft zu schwer. Generell nimmt die Zahl an prä- oder adipösen Frauen bis zum 45. Lebensjahr mit dem Alter zu. Das heißt, je älter werdende Mütter sind, desto häufiger starten sie schon mit Übergewicht in die Schwangerschaft.
Übergewicht in der Schwangerschaft bleibt nicht ohne Folgen. So steigt das Risiko für Schwangerschaftsdiabetes, von Medizinern Gestationsdiabetes mellitus (GDM) genannt, sowie für eine Präeklampsie, früher als Schwangerschaftsvergiftung bezeichnet. Typische Symptome sind erhöhter Bluthochdruck, Eiweiß im Urin und Wasseransammlungen im Gewebe. Bei adipösen Frauen treten zudem häufiger Früh- und Fehlgeburten auf sowie Komplikationen unter der Geburt. Auch bei normalgewichtigen Frauen besteht das Risiko, dass sie während der Schwangerschaft zu viel Gewicht zulegen.
Nach Empfehlungen des Institute of Medicine (IOM) sollten untergewichtige Frauen in der Schwangerschaft nicht mehr als 12,5 bis 18 kg zunehmen, normalgewichtige zwischen 11,5 bis 16 kg, übergewichtige Frauen nur 7 bis 11,5 kg und fettleibige sollten lediglich 5 bis 9 kg zusätzlich ansammeln. Am auffälligsten zeigte sich in einer Studie eine zu hohe Gewichtszunahme überraschenderweise nicht bei Frauen mit Adipositas, sondern bei Schwangeren mit Normalgewichtig oder leichtem Übergewicht. Mediziner an der Klinik für Geburtsmedizin am Universitätsklinikum Jena berichteten, dass in der Gruppe der normal- und etwas übergewichtigen Frauen fast vierzig Prozent zu viel Gewicht zugelegt hatten.
Zu schwere Schwangere belasten auch ihre Kinder. Wissenschaftler der Universitätsklinik Ulm wiesen in einer Studie nach, dass Kinder von übergewichtigen Müttern häufig einen höheren Blutzuckerspiegel haben und damit eine höhere Anfälligkeit für Übergewicht und Diabetes im späteren Leben. In der Studie begleiteten Mediziner rund 1000 Kinder und deren Mütter über einen Zeitraum von acht Jahren mit Beginn der Schwangerschaft. Die meisten Kinder wiesen schon während der Schwangerschaft im Nabelschnurblut höhere Insulinwerte auf. Selbst wenn sie sich als Erwachsener gesund ernähren würden, seien sie laut der Studienautoren dauerhaft von der angeborenen Stoffwechselstörung geprägt.
Für Kinder von schwer übergewichtigen Müttern steigt zudem das Risiko für atypische neurologische Entwicklungen. Sie leiden öfter an einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitatsstörung (ADHS), an autistischen Störungen oder zeigen Verhaltensprobleme. Ein Zusammenhang zeigte sich auch zwischen Übergewicht in der Schwangerschaft und einer Asthmaerkrankung beim Kind.
Schwere Frauen bringen auch eher schwere Babys auf die Welt. Im Jahr 2017 wurden über zehn Prozent aller Neugeborenen mit einem erhöhten Geburtsgewicht von mehr als 4000 Gramm geboren, 1,2 Prozent wiesen ein sehr hohes Geburtsgewicht von über 4500 Gramm auf. Damit steigt die Gefahr für Komplikationen während der Geburt und für zukünftige gesundheitliche Probleme der Kinder. Frauenärzte sprechen von Makrosomie, wenn das Geburtsgewicht oberhalb der 95. Perzentile liegt, also mehr als 4350 Gramm beträgt. Dabei weisen die Neugeborenen bereits einen erhöhten Fettanteil im Gewebe auf. Die Rate an Kindern, die mit erhöhten Gewicht und Körperfettanteil auf die Welt kommen, steigt mit dem BMI der Mutter. Das Durchschnittsgewicht von Neugeborenen liegt in Deutschland zwischen 3200 und 3600 Gramm.
Eine Metaanalyse ergab, dass übergewichtige Neugeborene nicht nur ein doppelt so hohes Risiko für einen Typ-2-Diabetes haben. Auch die Gefahr für spätere Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Fettstoffwechselstörungen ist höher als bei normalgewichtigen Babys. Die Liste an möglichen Folgen ist aber noch länger: So hat das heranwachsende Ungeborene zum Beispiel ein höheres Risiko für angeborene Fehlbildungen. Durch ein hohes Geburtsgewicht ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass bei vaginaler Entbindung Komplikationen unter der Geburt auftreten. Mediziner beobachten bei diesen Neugeborenen häufiger ein beschädigtes Nervengeflecht im Halsbereich, Lähmungen im Arm, Fehlstellungen der Schulter oder eine Sauerstoffunterversorgung.
Das Ausgangsgewicht der Schwangeren und die Gewichtsentwicklung in der Schwangerschaft nehmen also erheblichen Einfluss auf den Stoffwechsel des Ungeborenen, teilweise mit lebenslangen Folgen. Warum es zu dieser fetalen Programmierung kommt, ist noch nicht vollständig verstanden. Eine starke Gewichtszunahme im ersten Schwangerschaftsdrittel wirkt sich offenbar besonders ungünstig aus.
Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich in solchen kritischen Phasen der Entwicklung die Funktion und die Aktivität bestimmter Gene verändern. Diese Abweichungen, die nicht die Gene selbst betreffen, bezeichnen Forscher als epigenetische Veränderungen. Dabei setzen sich bestimmte Moleküle – vorrangig sogenannte Methylgruppen – an die Gene und verändern deren Ablesen. Sie funktionieren damit ähnlich wie Schalter, die das An- oder Abschalten der genetischen Information beeinflussen. Daran können unter anderem Ernährungs- und andere Umwelteinflüsse beteiligt sein. Da letztlich jedes Gen für eine bestimmte Funktion im Körper steht, bleibt das nicht ohne Folgen für den Organismus.
Ein Überangebot an Nährstoffen kann unter anderem zu epigenetischen Veränderungen führen. Eine Studie am Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) wies in Studien mit Mäusen nach, dass eine fettreiche Ernährung während der Trag- und Stillzeit den Stoffwechsel der Nachkommen nachteilig beeinflusst. Über komplizierte Stoffwechselwege, die zum Beispiel bestimmte Hormone regulieren, zeigten sich die erwachsenen Nachkommen empfänglicher für Übergewicht und Insulinresistenz.
Die beteiligten Wissenschaftler schließen ähnliche Mechanismen beim Menschen nicht aus. Die vorgeburtliche Prägung kann jedoch auch die Funktion der Nieren, das Herz-Kreislauf-System oder Nervenzellen beeinflussen. Problematisch sind auch Veränderungen, die die Bauchspeicheldrüse mit den insulinproduzierenden Zellen betreffen. Veränderungen an Spermien und Eizellen können sogar an die nächste Generation vererbt werden.
Besonders hoch ist das Risiko für den Stoffwechsel des Ungeborenen, wenn zu einer übermäßigen Zunahme oder Übergewicht der werdenden Mutter noch ein Schwangerschaftsdiabetes hinzukommt. Per Definition tritt dabei die Glucosetoleranzstörung erstmals in der Schwangerschaft auf, liegt aber noch unterhalb der Schwelle eines manifesten Typ-2-Diabetes. Im Jahr 2018 trat bei knapp sieben Prozent der Schwangeren ein Gestationsdiabetes auf, 2002 lag die Zahl noch bei 1,5 Prozent. Nicht nur in Deutschland wird ein Anstieg an Frauen mit Schwangerschaftsdiabetes beobachtet. Auch weltweit nimmt die Zahl der Betroffenen zu.
Kinder von Frauen mit Schwangerschaftsdiabetes haben ein nachweislich erhöhtes Risiko, bereits im Kindes- und Jugendalter übergewichtig oder sogar adipös zu werden. Wissenschaftler gehen hier ebenfalls von epigenetischen Veränderungen aus. Daten aus einer aktuellen Studie deuten darauf hin, dass betroffene Mütter und ihre Kinder von Geburt an und bis zum beobachteten Alter von acht Jahren ähnliche Merkmale bei einigen Stoffwechselparametern zeigen. Diese Parameter standen in früheren Studien in Verbindung mit einer höheren Anfälligkeit für Adipositas und Typ-2-Diabetes. Denkbar ist, dass beispielsweise die Ausschüttung des blutzuckerregulierenden Insulins schon im Mutterleib fehlerhaft eingestellt wird. Das könnte dazu führen, dass der kindliche Organismus im späteren Leben stets zu viel des Hormons produziert mit den daraus resultierenden Folgen.
Forschungen zufolge kann auch der Vater über das Sperma epigenetische Informationen an seinen Nachwuchs weitergeben. Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD) am Helmholtz Zentrum München und der Technischen Universität München haben in Versuchen mit Mäusen gezeigt, dass fettreiche Ernährung beider Elternteile die Nachkommen anfälliger für die Entwicklung von Fettleibigkeit und Diabetes macht. Auch wenn sich die zugrundeliegenden Mechanismen unterschieden, seien beide daran beteiligt, dass eine zu starke Gewichtszunahme entsteht. Bei der Insulinresistenz scheint der mütterliche Einfluss stärker zu sein. Zudem nahmen weibliche Nachkommen übergewichtiger Mäuse mehr Gewicht zu als männliche, die Mäuse-Söhne zeigten dagegen größere Probleme mit dem Blutzuckerstoffwechsel.
Nicht nur eine Überversorgung mit Energie, auch eine unzureichende Ernährung und in der Folge eine schlechte Versorgung mit wichtigen Nährstoffen kann gravierende Folgen für den Fetus haben. Zum einen können das Wachstum und eine gesunde Entwicklung im Mutterleib gestört sein, zum anderen können im späteren Leben eher Folgeerkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen auftreten. Ein niedriges Geburtsgewicht begünstigt zudem späteres Übergewicht. Das gilt besonders, wenn das Baby nach der Geburt schnell an Gewicht zunimmt. Ob daran ebenfalls epigenetische Veränderungen beteiligt sind, ist noch umstritten.
Auch die ersten Tage nach der Geburt gelten als sensible Phase für spätere Stoffwechselprozesse. Daher kommt dem Stillen eine so wichtige Rolle zu. Denn Muttermilch ist nachweislich die am besten zusammengestellte Säuglingsnahrung und schützt zudem vor Überernährung. Gestillte Kinder haben zudem ein geringeres Risiko, als Erwachsene Übergewicht zu entwickeln.
Neben Unter- oder Überernährung können auch das Klima, Sport, Kontakt mit Allergenen oder Dauerstress die Zellen programmieren und ihre Funktionsweise dauerhaft verändern. Dazu stecken die Forschungen jedoch noch in den Kinderschuhen. Aus tierexperimentellen Studien gibt es allerdings Hinweise, dass gestresste Mütter einen erhöhten Spiegel an dem bei Stress vermehrt ausgeschütteten Hormon Cortisol aufweisen. Wissenschaftler vermuten, dass der erhöhte Cortisolspiegel zu neuroendokrinen, immunologischen und Verhaltensänderungen führen könnte.
Eine kleine Studie untersuchte zehn erwachsene Kinder von Müttern, die während der Schwangerschaft ein extrem belastendes Ereignis zu bewältigen hatten. Tatsächlich zeigten die Nachkommen eine erhöhte Insulinresistenz und erhöhte Körperfettwerte sowie neuroendokrine und immunologische Veränderungen.
In Deutschland ist etwa jedes sechste Kind übergewichtig oder adipös. Unter den elf- bis 13-jährigen sind es sogar 20 Prozent. Das Gewicht der werdenden Mutter und dessen Entwicklung in der Schwangerschaft sind daran offenbar beteiligt. Frauen mit Kinderwunsch sollten am besten schon vor der Schwangerschaft etwas für ihre Gesundheit unternehmen und auf einen gesunden Lebensstil und ein normales Körpergewicht achten. Viel Bewegung und eine ausgewogene, pflanzenbetonte Ernährung mit reichlich Gemüse und Vollkornprodukten helfen dabei.
Schwangere Frauen sollten zudem umfassend aufgeklärt werden, wie wichtig eine angepasste Gewichtsentwicklung für die Gesundheit ihres Nachwuchses ist. So steigt etwa der Tagesbedarf an Energie erst ab dem vierten Monat und bleibt im weiteren Verlauf bei lediglich 200 bis 300 Kilokalorien mehr pro Tag. Eine strenge Diät sollte eine Schwangere allerdings nicht durchführen. Vielmehr hat eine gute Versorgung mit allen Nährstoffen oberste Priorität.
Eine wichtige Schutzmaßnahme ist darüber hinaus das Screening auf einen Gestationsdiabetes. Seit dem Jahr 2012 wird ein Glucosetoleranztest für alle Schwangeren zwischen der 24. und der 28. Schwangerschaftswoche von den gesetzlichen Krankenkassen empfohlen und bezahlt. Tritt ein erhöhter Blutzuckerspiegel auf, lässt er sich häufig bereits durch eine veränderte Ernährungsweise und gezielte Bewegung in den Griff bekommen.
Mit Blick auf nachfolgende Generationen sollte darüber hinaus Ernährungsbildung von klein auf forciert werden. Viel wäre gewonnen, wenn Kindern schon von Anfang an gesunde Ernährung Zuhause, in Krabbelgruppe und Kita sowie in Schule und Mensen erleben könnten. Langfristig würden so die nachfolgenden Generationen seltener ernährungsabhängige Erkrankungen entwickeln. Dabei könnte es auch helfen, wenn gesunde Lebensmittel wie Gemüse und Obst steuerlich begünstigt und Süßigkeiten und Limos mit einer Zuckersteuer belegt würden. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) und die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) fordern das schon lange.