Ultraungesund fürs Hirn? |
Katja Egermeier |
25.07.2025 12:00 Uhr |
Aus Sicht der Fachgesellschaften spricht alles den Verzehr dieser energiedichten, stark verarbeiteten Lebensmittel auf ein Minimum zu reduzieren. / © Getty Images/coldsnowstorm
Anlässlich des heutigen internationalen »World Brain Day« sprechen die Deutsche Hirnstiftung und die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) daher eine deutliche Warnung aus: Wer regelmäßig Fast Food und Fertiggerichte konsumiert, tut seiner Gehirngesundheit damit keinen Gefallen.
Die offizielle Definition der Deutschen Gesellschaft für Ernährung im 15. Ernährungsbericht aus dem Jahr 2023 lautet: Ultrahochverarbeitete Lebensmittel (»ultraprocessed foods« = UPF) sind »Lebensmittel und Getränke, bei deren Herstellung die eingesetzten Rohstoffe einem umfangreichen industriellen Verarbeitungsprozess unterzogen wurden, und die in der Regel eine Vielzahl von zusätzlichen Zutaten, insbesondere Zusatzstoffe (zum Beispiel Aromen, Konservierungsmittel, Farbstoffe) und energiereiche Inhaltsstoffe mit geringer Essenzialität (gesättigte Fettsäuren, Zucker), enthalten.«
Dennoch werden sie häufig als vermeintlich gesund beworben. Doch das sei laut Deutscher Hirnstiftung ein Trugschluss – selbst dann, wenn man zur veganen Alternative bei Fertigprodukten wie Pizza greife. Diese enthalte in einem konkreten Fall zwar 100 Kilokalorien weniger, dafür aber genauso viel Zucker und sogar mehr Fett. Gespart werde lediglich beim Salz.
Aus der Tatsache, dass UPF häufig eine hohe Energiedichte, viele künstliche Zusatzstoffe aber nur wenige Vitamine und Ballaststoffe enthalten, resultiere bei häufigem Verzehr ein erhöhtes Gesundheitsrisiko, warnen die Fachgesellschaften. Zahlreiche Studien hätten bereits Zusammenhänge zwischen dem Konsum solcher Produkte und nicht übertragbaren Krankheiten wie Adipositas, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Krebs aufgezeigt. Erst kürzlich identifizierten Forschende in Brasilien den Verzehr ultrahochverarbeiteter Lebensmittel als signifikanten Risikofaktor für vorzeitige Sterblichkeit. Eine weitere aktuelle Untersuchung weise zudem auf ein gesteigertes Risiko für psychische Störungen, darunter Angststörungen und Depressionen, hin.
Trotz dieser Erkenntnisse warnen die Experten, dass die Gesundheitsgefahren von UPF in der öffentlichen Wahrnehmung noch immer unterschätzt werde. In Deutschland entfielen bereits fast 39 Prozent der täglichen Energiezufuhr – aus fester Nahrung und Getränken – auf hochverarbeitete Produkte. Damit liegt Deutschland im europäischen Vergleich an der Spitze – ein Trend, der sich mit Blick auf die prognostizierten Umsatzzuwächse der Lebensmittelindustrie voraussichtlich weiter verstärken wird. Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) dominieren stark verarbeitete Lebensmittel vor allem in Ländern mit hohen Einkommen immer stärker und verdrängen zunehmend eine Ernährung mit natürlichen Lebensmitteln und frisch zubereiteten Speisen.
Aus Sicht der Deutschen Hirnliga sowie der DGN ist es sehr wahrscheinlich, dass ein Zusammenhang zwischen einem erhöhten UPF-Konsum und einem gesteigerten Risiko für Demenz und Alzheimer besteht. Zu diesem Schluss kommen die Fachgesellschaften auf Grundlage mehrerer retrospektiver, aber auch prospektiver Studien.
Unter den retrospektiven Beobachtungsstudien, die zwar als methodisch hochwertig gelten, aber stets mit gewissen Verzerrungen behaftet sein können, hätten bereits mehrere auf einen möglichen Zusammenhang zwischen UPF-Konsum und der Entwicklung von Demenz hingedeutet. So ergab ein systematisches Review aus dem Jahr 2024, dass ein hoher Konsum solcher Produkte das Demenzrisiko um 44 Prozent erhöht.
Eine Auswertung der Framingham-Kohorte kam zu einem ähnlich alarmierenden Ergebnis: Menschen mittleren Alters, die über einen Zeitraum von 12 Jahren mehr als 10 Portionen UPF pro Tag konsumierten, hatten ein 2,7-fach erhöhtes Alzheimer-Risiko – das sich mit jeder zusätzlichen Portion um weitere 13 Prozent steigerte.
Besonders besorgniserregend sei jedoch, dass im Jahr 2024 auch eine prospektive Studie einen solchen Zusammenhang feststellen konnte, erklärt Professor Peter Berlit, Generalsekretär der DGN. Diese habe gezeigt, dass jede Erhöhung des UPF-Konsums um 10 Prozent mit einem um 25 Prozent höheren Risiko für Demenz und einem um 14 Prozent höheren Risiko für Alzheimer einhergeht. »Angesichts dieses Ergebnisses und jenen der vielen retrospektiven Studien, die in die gleiche Richtung deuten, halten wir einen Zusammenhang für wahrscheinlich und möchten darüber informieren.«
Der Mechanismus dahinter ist laut Professor Dr. Frank Erbguth, Präsident der Deutschen Hirnstiftung, noch nicht abschließend geklärt. Möglich sei jedoch ein indirekter Zusammenhang über Übergewicht und den daraus resultierenden Folgeerkrankungen wie Bluthochdruck und Diabetes. Auch eine Veränderung des Darmmikrobioms könnte eine Rolle spielen: Die Kombination aus gesättigten Fettsäuren, Transfetten, Salz und raffinierten Kohlenhydraten bei gleichzeitig geringem Ballaststoffgehalt könne die Zusammensetzung der Darmflora beeinflussen – und über die sogenannte Darm-Hirn-Achse Veränderungen im Gehirn auslösen.
Nicht ausgeschlossen sei zudem, dass bestimmte Inhaltsstoffe wie künstliche Aromen oder andere Zusatzstoffe direkt neurotoxisch wirken könnten. In Verdacht stehen hier unter anderem Glutamat, Nitrate und seit Kurzem auch Mikroplastik. Für einen kausalen Zusammenhang fehlten bislang jedoch belastbare Beweise.
All das spricht aus Sicht der Fachgesellschaften dafür, den Verzehr dieser energiedichten, stark verarbeiteten Lebensmittel auf ein Minimum zu reduzieren. »Insgesamt lässt sich feststellen, dass wir uns mit Fast Food und Fertiggerichten, was die Hirngesundheit angeht, keinen Gefallen tun«, betont Professor Berit. Aus der Sicht von Professor Erbguth lässt die Studie zudem den Umkehrschluss zu, dass eine Ernährungsumstellung das Risiko senken könne. »Wir selbst haben also die Möglichkeit, hier direkt Einfluss zu nehmen.«