Vegetarisch essen schadet Kindern nicht |
Annette Rößler |
06.05.2022 13:00 Uhr |
Ob mit oder ohne Fleisch – die Ernährung sollte ausgewogen sein. / Foto: Getty Images/Monashee Frantz
Für Erwachsene ist es sowohl aus gesundheitlichen als auch aus ökologischen Gründen sinnvoll, den Fleischkonsum einzuschränken oder sogar ganz auf Fleisch zu verzichten. Ob diese Empfehlung auch für Kinder gilt, ist unter Experten aber umstritten, da Kinder viele Nährstoffe, die in Fleisch enthalten sind, für ihre körperliche und geistige Entwicklung brauchen. Ernährungswissenschaftler um Dr. Laura J. Elliot von der University of Toronto in Kanada gingen daher nun anhand der Längsschnitt-Kohortenstudie TARGet Kids! der Frage nach, ob eine vegetarische Lebensweise bei Kindern körperliche Einbußen mit sich bringt.
Wie die Autoren im Fachjournal »Pediatrics« berichten, konnten für die Auswertung 8907 Teilnehmer der Studie berücksichtigt werden, davon 248 Vegetarier. Die Kinder waren bei Einschluss zwischen 0,5 und acht Jahre alt (im Mittel 2,2 Jahre) und wurden über einen mittleren Zeitraum von 2,8 Jahren untersucht. Hierbei wurden diverse Parameter erfasst, unter anderem der Ferritinwert als Biomarker für die Eisenversorgung, der 25-Hydroxy-Vitamin-D3-Spiegel und die Blutfettwerte. Ob die Körpergröße und das Gewicht sowie der BMI der Kinder altersgerecht waren, ermittelten die Forscher anhand von Referenztabellen der Weltgesundheitsorganisation (WHO-Z-Scores). Angaben zur Ernährung der Kinder machten die Eltern.
Im Durchschnitt zeigte die Gruppe der vegetarisch ernährten Kinder keine bedeutenden Abweichungen in den untersuchten Kategorien. Es bestand eine schwache Assoziation zwischen einer vegetarischen Diät und einer geringen Körpergröße; diese war mit 0,3 cm im Alter von drei Jahren aber so gering, dass die Autoren sie für vernachlässigbar halten. Allerdings waren unter den Vegetariern mehr untergewichtige Kinder als unter den Kindern mit Fleischkonsum (Odds Ratio 1,87). Eine fleischfreie Ernährung ging mit einem etwas günstigeren Blutlipidprofil einher (niedrigeres Gesamt- und LDL-Cholesterol). Nahmen die Kinder aber die empfohlenen zwei Portionen Milch pro Tag zu sich, waren die Lipidwerte unabhängig vom Fleischverzehr vergleichbar.
»Wir konnten in dieser Studie keine Evidenz dafür finden, dass eine vegetarische Diät bei Kindern mit klinisch bedeutsamen Unterschieden im Wachstum oder biochemischen Parametern der Ernährung einhergeht«, lautet das Fazit der Autoren. Dass bei den untersuchten Kindern mehr Vegetarier als Fleischesser untergewichtig gewesen seien, unterstreiche aber, dass die Auswahl der Lebensmittel bei vegetarischer Lebensweise große Sorgfalt erfordere.
An der Studie nahmen auch einige vegan ernährte Kinder teil. Es waren aber so wenige, dass sie nicht gesondert ausgewertet und stattdessen als Vegetarier mitgezählt wurden. Dr. Peter von Philipsborn vom Lehrstuhl für Public Health und Versorgungsforschung an der LMU München hält das für eine wichtige Einschränkung, da es bei einer veganen Ernährung unter anderem zu einem Vitamin-B12-Mangel kommen könne. »Für Kinder und Jugendliche, aber auch für Schwangere und Stillende wird eine vegane Ernährung daher von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung nicht empfohlen«, betont von Philipsborn.
Im Zusammenhang mit dem vermehrten Auftreten von Untergewicht bei Vegetariern in der Studie weist er auf eine weitere Limitation hin: »Der Anteil der Kinder mit Untergewicht war sehr niedrig und lag in beiden Gruppen im Verlauf der Studie im Durchschnitt bei rund 1 Prozent.« Angesichts der geringen absoluten Zahl untergewichtiger Kinder könne es sich bei dem festgestellten Unterschied möglicherweise auch um einen Zufall handeln.
Eine weitere mögliche Fehlerquelle sind aus von Philipsborns Sicht die verwendeten Z-Scores der WHO. Diese seien für Kinder europäischer Herkunft entwickelt worden und könnten bei Kindern asiatischer Abstammung zu einer Überschätzung der Häufigkeit von Untergewicht führen. »Tatsächlich war ein Drittel der vegetarisch oder vegan ernährten Kinder in der Studie asiatischer Abstammung; unter den herkömmlich ernährten Kindern lag der Anteil hingegen nur bei 20 Prozent.«
Für Professor Dr. Hans Hauner, Ernährungsmediziner an der TU München, stellt insbesondere die kurze Beobachtungsdauer der Studie eine Einschränkung dar. »Die Autoren kommen selbst zum Schluss, dass größere Kohortenstudien benötigt werden, um die langfristigen Konsequenzen einer vegetarischen oder veganen Kost auf das Wachstum und den Ernährungsstatus der Kinder zuverlässig einschätzen zu können«, merkt er an. Die Studie zeige aber, dass eine vegetarische Ernährung von Kindern weitgehend sicher sei. »Eine vegane Ernährung ist in dieser Altersgruppe bis zum Beweis des Gegenteils weiterhin als kritisch zu bewerten und sollte nach Möglichkeit nicht empfohlen werden«, betont aber auch er.