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Perioperatives Delir

Verwirrt nach der Operation

Es kommt recht häufig vor, dass vor allem ältere Menschen auf eine Operation oder einen längeren Klinikaufenthalt mit Verwirrtheit reagieren. Screenings, eine spezielle Narkoseführung, Medikamentenmanagement und zielgerichtete Pflege wirken dem sogenannten Durchgangssyndrom oder perioperativen Delir entgegen.
AutorKontaktBarbara Erbe
Datum 31.10.2019  16:00 Uhr

Der hochbetagte Vater hat die Operation an der Schilddrüse gut überstanden: Die Wundheilung verläuft planmäßig, auch die Blutwerte stimmen. Geistig aber scheint der Patient plötzlich ziemlich verwirrt. Solche und ähnliche Geschichten bekommen PTA nicht selten von besorgten Angehörigen zu hören. Studien zufolge erleiden mehr als 40 Prozent der Patienten über 65 Jahren nach einer Routineoperation ein solches perioperatives Delir. Dr. Simone Gurlit, leitende Ärztin der Abteilung für Perioperative Altersmedizin und des Kompetenzzentrums Demenzsensibles Krankenhaus und Delirmanagement am St. Franziskus Hospital Münster, sagt im Gespräch mit PTA-Forum: »Die Ursachen sind vielfältig; die Veränderungen der kognitiven Leistungsfähigkeit haben nicht automatisch mit einer Narkose zu tun.«

Hyper- oder hypoaktiv

Die Ärztin unterscheidet zwei Grundformen des perioperativen Delirs: das hyperaktive Delir, das von Agitation und auch Aggressivität geprägt ist, und das hypoaktive Delir, das Betroffene psychomotorisch verlangsamt und apathisch macht. »Letzteres tritt vor allem bei hochaltrigen Patienten ein. Die Symptome sind dann zwar weniger spektakulär, aber keinesfalls weniger ernst.« In beiden Fällen sind in der Regel auch der Schlaf-wach-Rhythmus und die Kognition gestört. Zudem leiden Betroffene unter affektiven Störungen, besonders häufig unter depressiven Verstimmungen - die bei den in dieser Patientengruppe ohnehin häufig bestehenden Depressionen als neu auftretendes Symptom leicht übersehen werden können.

»Ein Problem ist, dass die an der Behandlung beteiligten Pfleger und Mediziner den Patienten ja nicht von vorher kennen und deshalb kaum einschätzen können, wann die akute Symptomatik begonnen hat«, betont Gurlit. »Bei Hinweisen auf eine gestörte Kognition ist die Abgrenzung zur demenziellen Entwicklung deshalb in der Akutsituation häufig schwierig.« Nichtsdestotrotz nennt Gurlit ein Kennzeichen des akuten, von einer vorher möglicherweise im Anfangsstadium bestehenden Demenz unabhängigen Delirs: den fluktuierenden Verlauf. »Wenn es bei Geisteszuständen und Stimmungen Wechsel und Schwankungen gibt und der Patient im Verlauf immer wieder vollständig unauffällig und klar ist, dann ist das ein Zeichen für ein akutes Delir.«

Dass eine echte Demenz nicht aufgrund eines Klinikaufenthalts mit oder ohne Operation einsetze, betont auch Professor Gereon Nelles, Mitglied im Bundesvorstand des Berufsverbands Deutscher Nervenärzte (BVDN). Die Veränderung des persönlichen Umfelds und eventuelle Narkoseprozesse könnten allerdings eine leichte Demenz demaskieren: »Demenzvorstufen werden häufig lange Zeit mit Hilfe von Routine kompensiert. Das ist dann mit einem Mal nicht mehr möglich und setzt die Betroffenen unter großen Stress.« Auch im Fall einer demenziellen Vorerkrankung sei es aber möglich, nach dem Delir weitgehend wieder das vorherige kognitive Niveau zu erreichen, berichtet der Facharzt für Neurologie.

Ungleichgewicht bei Neurotransmittern

Zu den Ursachen des perioperativen Delirs wird noch geforscht. Fest steht aber, dass ein hohes Lebensalter, Polypharmazie, Mangel an Körperwasser, Elektrolytstörungen und bereits bestehende Begleiterkrankungen und Infekte eine wichtige Rolle spielen.

Zugrunde liege dem Delir ein Ungleichgewicht bei den Neurotransmittern, erklärt Gurlit. Meist verfügten Betroffene über zu wenig Acetylcholin und zu viel Dopamin. »Dass viele Medikamente ein anticholinerges Wirkprofil haben, ist deshalb ein großes Problem.« Ältere Patienten mit Grund- und Begleiterkrankungen, für die sie medikamentös eingestellt seien, entwickelten dann während des Klinikaufenthaltes leicht ein cholinerges Defizit. Darüber hinaus könnten ACE-Hemmer den Endorphinstoffwechsel, Calciumantagonisten das Ionengleichgewicht und Amantadin, das bei Morbus Parkinson und Influenza eingesetzt wird, die Balance der Transmitter beeinträchtigen. Deshalb sei es - entsprechend der geltenden Leitlinie - angezeigt, ältere, möglicherweise bereits kognitiv eingeschränkte Patienten unter für sie geeigneten Bedingungen zu operieren, erläutert Gurlit. »Das bedeutet vor allem, bei der Narkose auf bestimmte, sonst gern genutzte Medikamentengruppen, zum Beispiel Benzodiazepine, zu verzichten. Auch eine Hypothermie muss zügig korrigiert werden, und ein engmaschiges Blutdruckmonitoring ist unverzichtbar.«

Risikofaktoren

Ein perioperatives Delir setzt in der Regel innerhalb der ersten drei bis fünf Tage nach einer Operation ein und kann von wenigen Tagen bis zu vielen Wochen dauern. Entscheidende Risikofaktoren sind - neben hohem Lebensalter und Polymedikation - bislang unentdeckte zerebrale Vorschädigungen.

Sowohl in der Klinik als auch im häuslichen Umfeld ist es wichtig, Patienten mit einem solchen Delir ausreichend mit Flüssigkeit zu versorgen. Dazu darf gerne auch öfter das Lieblingsgetränk gereicht werden. Ein farbiges Getränk wie etwa Orangensaft hat zudem den Vorteil, dass es im Glas besser zu sehen ist als Wasser. Darüber hinaus sollten Patienten so früh wie möglich mobilisiert und bei Bedarf mit Hör- und Sehhilfen versorgt werden. Denn auch eine fehlende Brille oder ein fehlendes Hörgerät erschweren die Orientierung und können so zu einer Verwirrtheit beitragen.

Bei alledem sind eine ruhige Atmosphäre sowie die direkte persönliche Ansprache in kurzen, einfachen Sätzen und mit Blickkontakt wichtig. Wer verwirrt ist, kann keine Auswahlfragen beantworten, etwa: »Möchtest du … oder … lieber doch …«. Er braucht vielmehr eine Frage, die mit Ja oder Nein zu beantworten ist. Auch direktes Widersprechen ist kontraproduktiv, wie Gurlit an einem Beispiel demonstriert. Eine angemessene Antwort auf die Frage einer hochbetagten Patientin »Wo ist meine Mutter?« sei keinesfalls: »Sie ist längst tot, Sie sind doch selbst schon fast 90«. Sondern besser: »Ihre Mutter war immer für Sie da, die vermissen Sie jetzt sicher.« Das ist keine Lüge, gibt der Patientin aber doch ein positives Feedback auf ihre Äußerung und besonders auf die damit verbundene Emotion.

Laute Geräusche oder Gespräche quer durch den Raum bereiten verwirrten Patienten Stress, sie profitieren von einer ruhigen Atmosphäre. Vertraute Tagesabläufe (zum Beispiel Essens-, Spaziergeh- oder Fernsehzeiten) sollten wenn möglich beibehalten werden. Auch ist ein Tisch dem Bett als Ort des Essens im Sitzen, wenn es möglich ist, vorzuziehen. Um den Tag-Nacht-Rhythmus zu stärken, sind zudem das Anziehen von Tages- und Nachtkleidung sowie der Wechsel von hell zu dunkel (tagsüber gut beleuchtete Räume, nachts allenfalls ein Notlicht) eine wichtige Hilfe. »Übermäßiger Tagesschlaf entlastet zwar zunächst das Umfeld, aber er wirkt sich ungünstig auf den Tag-Nacht-Rhythmus aus und verschärft in der Folge die Problematik für den Patienten«, betont Gurlit. Beschäftigungsangebote wie Gespräche zu Tagesereignissen, Musik hören, Zeitschriftenlektüre oder auch ein Brettspiel können zusätzlich aktivieren und motivieren.

Bei aller Ruhe und Geduld sollte aber auch klar sein: Verändert sich über ein bis zwei Wochen nichts am Zustand des Patienten, ist eine neurologische Untersuchung in einer Facharztpraxis oder Fachklinik unerlässlich. Hier wird durch umfassende Tests die aktuelle kognitive Leistungsfähigkeit des Patienten erhoben und im Rahmen von Folgeterminen der Verlauf beobachtet.

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