Viele Herausforderungen weltweit |
Barbara Döring |
06.03.2023 13:00 Uhr |
Irene Markert bei einer Schulung in der PTA-Schule Burundi. / Foto: Apotheker ohne Grenzen Deutschland e.V.
Der Krieg in der Ukraine fordert nach wie vor das volle Engagement von AoG, da ereignet sich ein Tag vor unserem Gesprächstermin das schwere Erdbeben in der türkisch-syrischen Grenzregion. Von heute auf morgen stehen die Mitarbeiter vor der wahrscheinlich nächsten großen Nothilfe. PTA-Forum sprach mit Kira Morandin, AoG-Referentin für Kommunikation und Fundraising und Irene Markert, Apothekerin und Projektkoordinatorin weltweit, über aktuelle Nothilfe-Einsätze und langfristige Pläne wie die Unterstützung der PTA-Schule in Burundi.
PTA-Forum: Katastrophen wie das aktuelle Erdbeben im Grenzgebiet von Türkei und Syrien sind nicht vorhersehbar. Was bedeutet das für die Arbeit von AoG?
Kira Morandin: Schnell und effektiv handeln, und um das leisten zu können, besonders in der akuten Phase einer Katastrophe, bedeutet dies viel Organisation und Planung. Unsere weltweiten Projekte und Aktionen müssen schließlich auch weiterlaufen und betreut werden und so bindet eine Nothilfe am Anfang immer sehr viel Kapazitäten. Aber wir sind da mit den Jahren und den Erfahrungen und dank unserer vielen ehrenamtlichen Einsatzkräfte sehr gut und professionell aufgestellt. Nachdem das betroffene Land offiziell international um Hilfe gebeten hat, startet der AoG-Nothilfe-Plan: Wir nehmen mit Partnerorganisationen Kontakt auf, schließen uns Einsätzen an, in denen pharmazeutisches Know-how benötigt wird oder entsenden selber ein Fact-Finding-Team, das an Ort und Stelle die Situation evaluiert und Kontakt mit lokalen Partnern und Hilfsorganisationen aufnimmt, um zu klären, wo wir zielgerichtet helfen können.
PTA-Forum: Was macht AoG in einer Nothilfe?
Morandin: Wie bei jeder Nothilfe geht es darum, schnell und bedarfsgerecht Medikamente zu besorgen, um den Menschen vor Ort schnell zu helfen. Entweder können wir vor Ort die pharmazeutische Infrastruktur nutzen und zielgenau Arzneimittel beschaffen oder wir reisen mit einem von der WHO zertifizierten Hilfs-Kit ein, welches die wichtigsten Medikamente für Katastrophen beinhaltet. Dieses sogenannte IEHK – Interagency Emergency Health Kit – ist darauf ausgerichtet, dass man mit ihm autark 10.000 Menschen über drei Monate in einer Notlage versorgen kann. Apotheker ohne Grenzen hat das IEHK immer vorrätig, um es schnell in einen Einsatz zu bringen.
Ein großes Thema bei Nothilfen sind auch immer die vielen Anfragen von Medikamentenspenden. Als AoG verstehen wir natürlich den Wunsch helfen zu wollen, aber das ist leider die falsche Art von Hilfe. Wir raten immer davon ab und bitten stattdessen, uns lieber Geld zu spenden. Wir sind darauf spezialisiert effektiv genau die Medikamente in ein Nothilfe-Gebiet zu bringen, die auch wirklich gerade besonders benötigt werden. Zudem besorgen wir Medikamente mit internationalen Standards mit denen alle vor Ort helfenden Hilfsorganisationen aktiv arbeiten können und sich nicht Berge von Medikamentenspenden türmen, mit denen die vor Ort aktiven Akteuren leider in der akuten Notsituation nichts anfangen können.
PTA-Forum: Was macht AoG konkret, um den Erdbebenopfern im türkisch-syrischen Grenzgebiet zu helfen?
Morandin: Konkret in diesem Noteinsatz werden wir nach genauer Evaluation der Lage und der Bedürfnisse vor Ort voraussichtlich keinen Einsatz mit dem IEHK in die Wege leiten, sondern wir arbeiten mit mehreren Partnerorganisationen zusammen, um Krankenhäuser und Krankenstationen in den betroffenen syrischen Gebieten bedarfsgerecht mit medizinischem Equipment und Medikamenten zu versorgen. Auf syrischer Seite war die Lage bereits vor den Erdbeben sehr angespannt und viele Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Hier sehen wir nun eine wichtige Arbeit für Apotheker ohne Grenzen.
PTA-Forum: Welche Projekte sind in diesem Jahr geplant?
Morandin: Nach den Reisebeschränkungen während der Coronapandemie sind wir froh, wieder aktiv vor Ort die Projekte zu besuchen und uns persönlich mit lokalen Projektpartnern auszutauschen. Deshalb stehen auch dieses Jahr wieder viele Projektreisen von Apotheker ohne Grenzen an. Die meisten unserer Langzeit-Projekte werden in diesem Jahr fortgesetzt, ein neues Projekt startet aktuell im Libanon. Zudem sind wir aktiv auf vielen Messen und Apotheken-Kongressen, halten Vorträge an Universitäten und für Vereine. Auch unsere zwei Einsatzkräfteschulungen, in denen wir ehrenamtliche Apotheker und PTA ausbilden, in Nothilfeeinsätze gehen zu können oder eines unserer Langzeitprojekte zu betreuen, starten ab Mai wieder. Eine Online-Fortbildungsreihe beginnt Ende März mit interessanten Themen wie zum Beispiel »Arzneimittelversorgung in Katastrophen-, Kriegs- oder Krisensituationen: Wie wird international gearbeitet?«
Auch haben wir erkannt: Um diesen weltweiten Herausforderungen weiterhin gut begegnen zu können, müssen wir wachsen und uns weiterentwickeln. Eine neue Zweigstelle in Berlin ist im Aufbau, um uns als internationale Hilfsorganisation besser zu vernetzen.
PTA-Forum: Können Sie noch mehr Mitglieder brauchen?
Morandin: Absolut, jedes Mitglied ist wichtig und willkommen! Allein mit dem Mitgliedsbeitrag von 96 Euro kann jeder helfen und unsere Arbeit unterstützen. Wir haben über 2.400 Mitglieder, die sich auf unterschiedlichste Weise bei AoG einbringen: Viele mit ihrem jährlichen Mitgliedsbeitrag, andere engagieren sich bei AoG-Charity-Aktionen wie zum Beispiel ein Charitylauf, dem »AoG-Virathon« oder helfen in den deutschlandweiten Regionalgruppen. Wieder andere gehen sogar noch weiter in ihrem Engagement und absolvieren unsere Schulungen zur ehrenamtlichen AoG-Einsatzkraft. Der Verein bietet wirklich sehr viele Möglichkeiten sich zu engagieren und auch die Arbeit von Apotheker ohne Grenzen in einer größeren Öffentlichkeit bekannt zu machen.
PTA-Forum: Welche Berufsgruppen sind willkommen?
Morandin: Jeder ist willkommen! In unseren weltweiten Projekten und unseren vier Deutschlandprojekten können wir natürlich nur ehrenamtliches, pharmazeutisches Personal einsetzen. Dennoch kann man sich bei vielen Aktionen des Vereins einbringen und Aktionen aktiv mitgestalten – egal ob jung oder alt, egal ob Pharmazeut oder nicht. Wichtig ist, dass man die Ziele des Vereins mitträgt und den Verein in seiner Aufgabe unterstützen möchte, Menschen weltweit ein Leben in Gesundheit zu ermöglichen.
Auch Unternehmen unterstützen Apotheker ohne Grenzen sehr gerne mit Spenden, gemeinsamen Kooperationen und Fundraising-Aktivitäten. So gibt es beispielsweise eine Kooperation mit Em-eukal von Dr. Soldan. Beim Kauf der apothekenexklusiven Herzkirsche-Schoko-Bonbontüte gehen sieben Cent an AoG. Jedes Jahr gibt es eine bestimmte Sorte, die AoG gewidmet wird. So unterstützt uns nicht nur Dr. Soldan, sondern auch indirekt die Apotheken, die diese Bonbons in ihr Sortiment mit aufgenommen haben.
PTA-Forum: Worum geht es bei dem Projekt in Burundi?
Irene Markert: Bei unserem Projekt in Burundi geht es um die Unterstützung der einzigen PTA-Schule im Land, die durch unsere Projektpartner »Fondation Stamm« und »Burundikids e. V.« geleitet wird. Verena Stamm (von der Fondation Stamm) ist die Initiatorin des Projekts, das neben der Ausbildungsstätte auch Krankenhäuser, Waisenhäuser, Kindergärten und Schulen beinhaltet. Die Ausbildungsmöglichkeit zur PTA ist etwas ganz Besonderes für Burundi. Zuvor konnte die Ausbildung nur im Ausland absolviert werden, was dazu führte, dass Absolventen und Absolventinnen nach ihrer Ausbildung im Ausland blieben und meist nicht nach Burundi zurückkehrten. Durch die PTA-Schule ist die Ausbildung im eigenen Land möglich und bisher haben Schüler und Schülerinnen nach erfolgreichem Abschluss in Burundi eine Festanstellung bekommen.
Sie arbeiten mit ihrem Fachwissen in Apotheken und pharmazeutischen Unternehmen. Somit stärken wir in Burundi nachhaltig das Gesundheitssystem und das Land selbst.
PTA-Forum: Wie sieht Ihre konkrete Hilfe in Burundi aus?
Markert: Apotheker ohne Grenzen unterstützt das Projekt in Burundi seit 2018 fachlich und finanziell. Ich durfte das Projekt 2021 seitens AoG übernehmen und koordiniere es mithilfe eines Teams aus ehrenamtlichen Einsatzkräften, die regelmäßig ins Projekt reisen und unter anderem vor Ort einen Workshop für den PTA-Abschlussjahrgang anbieten. In den letzten Jahren ging es dabei um minderwertige und gefälschte Arzneimittel, in diesem Jahr widmen wir uns dem Thema Antibiotikaresistenzen. Die finanzielle Unterstützung fließt unter anderem in die Ausstattung des Labors der Schule, in dem die Chemiepraktika der Auszubildenden stattfinden. Das Labor hat einen so hohen Standard, dass sogar die Studierenden der Universität von Burundi in die Schule kommen, um darin zu arbeiten und ihre Laborpraktika durchzuführen. Zudem helfen wir Schülern und Schülerinnen mit Stipendien aus, wenn ihre Familien durch unvorhersehbare Erschwernisse nicht mehr für das Schulgeld aufkommen können.
PTA-Forum: Wie lange ist das Burundi-Projekt geplant?
Markert: Das Projekt in Burundi ist als langfristiges Projekt angelegt, da noch viel für den Aufbau des Landes getan werden muss und die Herausforderungen innerhalb des Landes nicht abreißen, zum Beispiel schnellen Kraftstoff- und Lebensmittelpreise unvorhersehbar in die Höhe. Daher ist die sichere Unterstützung seitens AoG infolge der sich ständig verändernden Bedingungen sehr wichtig. Dazu planen wir in diesem Jahr einen Ausbau des Projekts inklusive zweier Projektreisen mit ehrenamtlichen Einsatzkräften. Im Oktober werde ich voraussichtlich selbst vor Ort sein, um den Projektfortschritt mitverfolgen zu können.
PTA-Forum: Sie sind auch in Deutschland aktiv?
Markert: Ja, auch in Deutschland wird der Bedarf nach Hilfe immer größer. Immer mehr Menschen werden wohnungslos, immer mehr Geflüchtete können sich nicht zeitnah registrieren und haben keine Krankenversicherung und soziale Absicherung. Daher ist es besonders wichtig für AoG auch in Deutschland aktiv zu sein. Wir arbeiten momentan in vier Standorten mit lokalen Obdachlosenambulanzen zusammen: in Berlin, Mainz, Frankfurt und München. Dort werden wohnungslose und geflüchtete Menschen unter anderem durch saubere Kleidung und Waschmöglichkeiten unterstützt und erhalten einen niederschwelligen Zugang zu medizinischer Versorgung.
PTA-Forum: Frau Markert, Sie sind gerade nach Berlin gezogen und bauen dort die neue Zweigstelle auf. Warum haben Sie sich für das Engagement bei AoG entschlossen?
Markert: Ich habe Pharmazie studiert, um Menschen helfen zu können. Mit AoG habe ich die Chance in einen ganz besonderen Teil der Pharmazie einzutauchen. Ich war bereits nach meinem Studium sechs Monate als Praktikantin bei AoG in München und durfte den Verein kennen und lieben lernen. Der Umgang ist familiär, alle sind sehr engagiert und es macht einfach Spaß mit den ehrenamtlichen Einsatzkräften zu arbeiten und von ihren Erfahrungen zu profitieren. Alle haben dieses eine Ziel vor Augen: bedürftigen Menschen die beste Hilfe ermöglichen. Ich freue mich sehr darauf, den Verein in Berlin repräsentieren zu dürfen und auf die Chancen, die uns ein weiterer Standort bieten wird.
Apotheker ohne Grenzen (AoG) ist eine gemeinnützige Organisation mit Sitz in München. Seit der Gründung im Jahr 2000 setzen sich die Mitarbeiter und ehrenamtlichen Mitglieder für eine nachhaltige Verbesserung der Gesundheitsstrukturen von Menschen in Entwicklungsländern ein. Dabei werden Projekte weltweit finanziell und durch Schulungen unterstützt. Bei Katastrophen wie dem Erdbeben an der türkisch-syrischen Grenze, der Ahrtalüberschwemmung oder dem Krieg in der Ukraine leistet AoG pharmazeutische Nothilfe. Langfristige Projekte gibt es in vielen Ländern. Dazu zählen eine Slum-Apotheke in Argentinien, wo Menschen, die sich kaum Essen leisten können, mit Medikamenten versorgt und Kinder über Zahnpflege aufgeklärt werden. Das Gesundheitszentrum Medipharm in Haiti versorgt Schwangere und Kinder und klärt die Bevölkerung über Cholera auf. Im afrikanischen Burundi wird das Labor der einzigen PTA-Schule ausgestattet, Schüler werden geschult und finanziell unterstützt.
Weitere Informationen und ein Spendenformular bei www.apotheker-ohne-grenzen.de