Viele Zecken, aber weniger FSME-Fälle erwartet |
Verena Schmidt |
25.02.2025 14:30 Uhr |
Das Risiko, bei einem Waldspaziergang von einer Zecke gestochen und mit FSME infiziert zu werden, besteht Experten zufolge mittlerweile deutschlandweit. / © Adobe Stock/kerkezz
2024 hatte das Robert-Koch-Institut (RKI) die zweithöchste Zahl an FSME-Fällen in Deutschland seit Beginn der Meldepflicht im Jahr 2001 registriert: insgesamt 686 FSME-Fälle. Nach einem Rekord im Jahr 2020 mit 718 Fällen ist 2024 damit das Jahr mit den zweithöchsten Fallzahlen. Folgt man den Gesetzmäßigkeiten der vergangenen Jahre, müssten 2025 eigentlich wieder weniger Menschen von FSME betroffen sein. Denn seit etwa 2017 sehen die Forschenden einen zweijährigen Rhythmus: In jedem zweiten Jahr ist die Zahl der FSME-Fälle hoch, früher war das nur in jedem dritten Jahr der Fall.
Aber: Die Zahl der FSME-Fälle insgesamt steigt seit Jahren kontinuierlich, betonte Professor Dr. Ute Mackenstedt, Leiterin des Fachgebiets Parasitologie an der Universität Hohenheim in Stuttgart, bei einer digitalen Pressekonferenz. Aktuell sei also noch unklar, wie hoch die Erkrankungszahlen im Jahr 2025 ausfallen werden.
Die Zahl der Zecken korreliere nicht direkt mit der Zahl der FSME-Fälle, führte Professor Dr. Gerhard Dobler, Leiter des Nationalen Konsiliarlabors für FSME am Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr in München, aus. Die Zusammenhänge seien komplex, warum die Fallzahlen in dem erwähnten Zwei-Jahres-Rhythmus schwankten, sei noch nicht verstanden. Einen Zusammenhang sehen Forschende etwa mit der Zahl an Nagetieren: »Wenn es in einem Jahr viele Nagetiere gibt, gibt es scheinbar im Jahr darauf viele infizierte Zecken«, so Dobler.
80 Prozent der FSME-Fälle konzentrierten sich 2024 auf Süddeutschland: »Baden-Württemberg meldete 226 Fälle, in Bayern waren es 311«, sagte Parasitologin Mackenstedt. Bis auf Hamburg und Schleswig-Holstein hätten 2024 jedoch alle Bundesländer Fälle gemeldet, so Dobler. »Das Risiko, sich mit FSME zu infizieren, besteht inzwischen also in ganz Deutschland.«
Das RKI weist jährlich auf einer Karte die aktuellen FSME-Risikogebiete in Deutschland aus. 180 Landkreise zählen derzeit dazu – in den kommenden Tagen müsste eine Aktualisierung erscheinen. Diese Risikokarten des RKI geben die Gefahr laut Dobler jedoch nicht richtig wieder beziehungsweise würden oft falsch interpretiert, auch von Ärzten. Es handele sich um Inzidenzen, verdeutlichte Dobler: Liegt die Inzidenz in einem bestimmten Gebiet über 1 Erkrankung/100.000 Einwohner, empfiehlt das RKI eine FSME-Impfung für diejenigen, die sich hier häufig in der Natur aufhalten. »Aber auch in den Nicht-Risikogebieten kommen Fälle vor. Neben Bayern im Süden melden Sachsen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Berlin Höchststände für das Jahr 2024 bei den Erkrankungen«, so Dobler.
Mit dem FSME-Virus infizierte Zecken treten laut den Experten immer öfter in bisher nicht betroffenen Gebieten auf. »Es gibt immer wieder neue FSME-Stämme, die aus Osteuropa Richtung Westen ziehen«, so Mackenstedt. Ein Stamm aus Polen etwa sei zunächst in Sachsen-Anhalt und später in Niedersachsen und nun auch in den Niederlanden nachgewiesen worden. Auch in den Nachbarländern Deutschlands ist das Risiko, sich über einen Zeckenstich mit FSME zu infizieren, gestiegen: »Auch in Frankreich, den Niederlanden, England und Dänemark wurden bereits FSME-positive Zecken und menschliche Erkrankungsfälle nachgewiesen«, so Mackenstedt.
Die Experten gehen von einer hohen Dunkelziffer bei den FSME-Zahlen aus. Nur rund 10 Prozent der Infektionen werden Dobler zufolge als solche erkannt. Untersuchungen seines Arbeitskreises, bei denen 2023 Blutproben von Blutspendern im Ortenaukreis in Baden-Württemberg auf Antikörper einer natürlichen Infektion untersucht und mit Blutproben von 1986 verglichen wurden, zeigen, dass das Virus rund siebenmal häufiger übertragen wird als zunächst angenommen.
In Österreich seien rund 80 Prozent der Bevölkerung geimpft. Doch auch hier würden die Fallzahlen ansteigen. Die Blutspender-Untersuchungen sollen daher auch auf Österreich und andere Regionen in Deutschland ausgeweitet werden, um herauszufinden, wie hoch das tatsächliche Infektionsrisiko in unterschiedlichen Regionen ist. Erste Daten aus Tirol und Vorarlberg zeigten ebenfalls ein deutlich erhöhtes Infektionsrisiko bei Ungeimpften, heißt es in der Pressemeldung der Universität Hohenheim. In einigen Distrikten habe jeder achte Ungeimpfte eine FSME-Infektion durchgemacht.
»Bei schweren Infektionen kann FSME zu Langzeitfolgen wie Muskellähmungen, Gleichgewichtsstörungen oder starken Stimmungsschwankungen führen«, warnte Dobler. Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt die Impfung allen Personen, die in Risikogebieten zeckenexponiert sind, sich also in der Natur aufhalten.
Impfstoff | Grundimmunisierung | Schnellimpfschema | Auffrischung |
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Encepur® Erwachsenen/Kinder | 2. Impfdosis 1 bis 3 Monate nach der 1. Impfung, 3. Impfdosis 9 bis 12 Monate nach der 2. Impfung | 2. Impfdosis 7 Tage nach der 1. Impfung, 3. Impfdosis 21 Tage nach der 1. Impfung | alle 3 Jahre bei über 50-Jährigen, alle 5 Jahre bei unter 50-Jährigen |
FSME-Immun® Erwachsene/Kinder | 2. Impfdosis 1 bis 3 Monate nach der 1. Impfung, 3. Impfdosis 5 bis 12 Monate nach der 2. Impfung | 2. Impfdosis 14 Tage nach der 1. Impfung, 3. Impfdosis 5 bis 12 Monate nach der 1. Impfung | alle 3 Jahre bei über 60-Jährigen, alle 5 Jahre bei unter 60-Jährigen |
Für Dobler geht die STIKO-Empfehlung nicht weit genug: »Da das Infektionsrisiko in ganz Deutschland vorhanden ist, kann eine Impfung auch für Menschen außerhalb der offiziell ausgewiesenen Risikogebiete sinnvoll sein«, so der Mediziner. Er plädierte zudem dafür, ganz Deutschland als FSME-Risikogebiet auszuweisen.
Statistisch sei bei einer Durchimpfung von 50 Prozent der Bevölkerung ein Sinken der Fallzahlen zu erkennen, in Deutschland lag die Impfquote 2020 bundesweit allerdings nur bei 19 Prozent. Für das individuelle Risiko spiele das aber ohnehin keine Rolle: »FSME wird nicht von Mensch zu Mensch übertragen, weshalb auch eine hohe Durchimpfungsrate nicht das individuelle Risiko senkt.« Die Impfung biete jedoch einen guten Schutz von mehr als 97 Prozent bei vollständiger Durchführung, betonte Dobler. Daneben sind lange Kleidung, Repellentien und das Absuchen des Körpers nach dem Aufenthalt im Freien bewährte Schutzmaßnahmen.
FSME-Viren werden etwa durch den europäischen Holzbock und seltener durch die Auwaldzecke auf den Menschen übertragen. In den Risikogebieten liegt die Wahrscheinlichkeit, sich zu infizieren, nach einem Zeckenstich bei 1:50 bis 1:100.
Etwa zehn Tage nach dem Stich können bei einer FSME-Infektion grippeähnliche Symptome auftreten. Bei rund einem Drittel der Patienten kommt es nach einer vorübergehenden Besserung zu einem erneuten Fieberanstieg und einer zweiten Krankheitsphase.
Bei leichten Verläufen klagen die Betroffenen vor allem über starke Kopfschmerzen, bei schwereren Fällen sind auch Gehirn und Rückenmark beteiligt. Es kommt etwa zu Koordinationsstörungen, Lähmungen, Sprach- und Sprechstörungen sowie Bewusstseinsstörungen und epileptischen Anfällen. Ist die Krankheit erst einmal ausgebrochen, können nur die Symptome therapiert werden. Bei rund 1 Prozent der Erkrankten verläuft die Infektion tödlich.