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Arzneimitteltherapie

Vier Neue am Start

Zu Beginn des Septembers gibt es insgesamt vier Medikamente mit neuen Wirkstoffen. Darunter befinden sich der erste Wirkstoff zur Behandlung der Hepatitis D und der erste Antikörper für die HIV-Therapie. Hinzu kommen zwei Krebsmedikamente.
Sven Siebenand
18.09.2020  08:30 Uhr

Hepatitis D tritt immer zusammen mit Hepatitis B auf. Schätzungen zufolge sind bis zu 10 Prozent der Hepatitis-B-Infizierten auch mit Hepatitis-D-Viren infiziert. Die chronische Hepatitis D ist die schwerste Form der Virushepatitiden (Merkhilfe: D wie Devil). Bislang gab es keine zugelassene Therapie. Off label wurde zum Beispiel mit Interferon therapiert, das aber längst nicht bei allen Patienten anspricht.

Mit dem Orphan Drug Bulevirtid (Hepcludex® 2 mg Pulver zur Herstellung einer Injektionslösung, Myr Pharmaceuticals) gibt es nun erstmals eine zugelassene Therapie für Patienten mit chronischer Hepatitis D. Das Präparat soll bei erwachsenen Patienten mit kompensierter Lebererkrankung zum Einsatz kommen.

Bulevirtid ist ein sogenannter Entry-Inhibitor, der den Eintritt von Hepatitis-D- und -B-Viren in die Leberzellen blockiert. Möglich wird dies über Bindung und Hemmung des Natrium-Taurocholat-Cotransporters (NTCP). Dieser ist vor allem für die Aufnahme von Gallensalzen in die Zellen wichtig, aber auch die Viren benötigen ihn für den Eintritt in die Zelle. Indem Bulevirtid das Eindringen der Viren in die Zellen blockiert, wird deren Replikationsfähigkeit beschränkt und damit deren Wirkung im Körper.

Die empfohlene Dosis von Bulevirtid beträgt täglich eine subkutane 2-mg-Injektion. Das Mittel kann allein oder in Kombination mit einem Wirkstoff zur Behandlung der Hepatitis-B-Infektion angewendet werden. Bulevirtid kann zum Beispiel in den Oberschenkel oder in den Bauch injiziert werden.

Verschiedene Arzneimittel können die NTCP-Zielstruktur von Bulevirtid inhibieren. Daher wird es nicht empfohlen, sie mit dem neuen Arzneistoff zu kombinieren. Dazu zählen zum Beispiel Sulfasalazin, Irbesartan, Ezetimib, Ritonavir und Ciclosporin A. Zudem ist die gleichzeitige Anwendung von NTCP-Substraten nach Möglichkeit zu vermeiden. Dazu zählen zum Beispiel Statine und Schilddrüsenhormone.

Sehr häufig beobachtete Nebenwirkungen waren Reaktionen an der Injektionsstelle und erhöhte Gallensäure-Konzentrationen im Blut.

Als Vorsichtsmaßnahme sollten Schwangere und Frauen im gebärfähigen Alter, die keine Verhütungsmethode anwenden, nicht mit Bulevirtid behandelt werden. In der Stillzeit muss überlegt werden, ob das Stillen unterbrochen oder auf die Arzneistofftherapie verzichtet wird.

Hepcludex wird im Gefrierschrank aufbewahrt (-20 Grad Celsius). Vor der Herstellung der Injektionslösung kann das Mittel bis zu drei Monate im Kühlschrank bei 2 bis 8 Grad Celsius aufbewahrt werden. Danach ist es für zwei Stunden bei Raumtemperatur stabil. Aus mikrobiologischer Sicht wird jedoch dazu geraten, es nach der Aufbereitung zur Injektionslösung sofort zu verwenden. 

Erster HIV-Antikörper

Ibalizumab (Trogarzo® 200 mg Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung, Theratechnologies Europe) ist der erste Antikörper für die HIV-Behandlung. In Kombination mit anderen antiretroviralen Arzneimitteln soll er bei Erwachsenen mit multiresistenter HIV-1-Infektion angewendet werden, wenn kein anderes supprimierendes, antivirales Regime zusammengestellt werden kann.

Ibalizumab bindet an eine bestimmte Domäne des CD4-Rezeptors auf der Oberfläche von T-Zellen. Dadurch verhindert der Antikörper, dass HI-Viren in die T-Zellen eindringen und sich dort reproduzieren, was die Ausbreitung der Infektion verlangsamt. Der Antikörper heilt weder die HIV-Infektion noch Aids.

Der Antikörper wird intravenös infundiert, beginnend mit einer Infusion von 2000 mg, gefolgt von 800 mg alle zwei Wochen. Patienten sollten mindestens eine Stunde nach der ersten Infusion in Bezug auf jegliche Reaktionen überwacht werden. Wenn eine Infusionsreaktion auftritt, ist die Therapie abzubrechen, und die Patienten sind angemessen zu behandeln.

Häufigste Nebenwirkungen von Ibalizumab sind Ausschlag, Durchfall, Schwindel, Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Müdigkeit.

Frauen im gebärfähigen Alter sollten eine wirksame Verhütungsmethode anwenden, wenn sie mit Ibalizumab behandelt werden. Schwangere sollten den Antikörper nicht bekommen. Um eine Übertragung von HIV auf Säuglinge zu vermeiden, wird grundsätzlich HIV-infizierten Frauen empfohlen, ihre Kinder nicht zu stillen.

Trogarzo ist bei 2 bis 8 Grad Celsius zu lagern. Die verdünnte Ibalizumab-Lösung kann vier Stunden bei maximal 25 Grad Celsius gelagert werden, bei Aufbewahrung im Kühlschrank bis zu 24 Stunden.

Neues Brustkrebsmittel

Mit Alpelisib (Piqray® 50, 150 und 200 mg Filmtabletten, Novartis) gibt es ein neues Mittel zur Behandlung von postmenopausalen Frauen und Männern mit Brustkrebs, der lokal fortgeschritten oder metastasiert ist. Der Krebs muss die Merkmale Hormonrezeptor-positiv und humaner epidermaler Wachstumsfaktor-Rezeptor-2 (HER-2)-negativ aufweisen. Zudem muss nachgewiesen sein, dass die Krebszellen eine Mutation im Gen PIK3CA aufweisen. Alpelisib wird immer zusammen mit dem Wirkstoff Fulvestrant angewendet, wenn es trotz alleiniger endokriner Therapie zum Fortschreiten der Erkrankung gekommen ist.

Alpelisib ist das erste Medikament, das gezielt an der genannten Mutation ansetzt. Bei Patienten, deren Krebszellen die PIK3CA-Mutation aufweisen, wird eine abnorme Form des Enzyms Phosphoinositid-3-Kinase (PI3K) gebildet. Das führt dazu, dass das Tumorwachstum beschleunigt wird. Alpelisib hemmt die Aktivität der anomalen PI3K und vermindert so Wachstum und Ausbreitung des Krebses.

Der Kinasehemmer wird oral eingenommen. Die empfohlene Dosis beträgt 300 mg Alpelisib einmal täglich (zwei 150-mg-Tabletten). Die Tabletten sollten jeden Tag zur gleichen Uhrzeit unmittelbar nach einer Mahlzeit eingenommen werden. Beim Auftreten von Nebenwirkungen kann es nötig sein, dass der Arzt die Dosis reduzieren muss. Hinweise dazu finden sich in der Fachinformation von Piqray.

Die Liste der Nebenwirkungen ist leider sehr lang. In der Fachinformation findet sich beispielsweise ein besonderer Warnhinweis zu schweren Hautreaktionen. Eine prophylaktische Gabe von oralen Antihistaminika kann in Erwägung gezogen werden, bei ersten Hautsymptomen sollte eine lokale Corticoid-Therapie eingeleitet werden. Explizit gewarnt wird auch vor dem Anstieg der Blutzuckerwerte. Der Blutzucker sollte vor allem zu Therapiebeginn engmaschig kontrolliert werden, Patienten sind über die Anzeichen einer Hyperglykämie aufzuklären und grundsätzlich ist zu bedenken, dass bei Diabetikern eine intensivierte Diabetestherapie notwendig sein kann. Weitere Warnhinweise in der Fachinformation beziehen sich auf die Themen Durchfall und Pneumonitis.

Sehr häufig kommt es unter anderem auch zu erhöhten Kreatininspiegeln, Entzündungen der Mundschleimhaut, Übelkeit, Erbrechen, Appetit- und Gewichtsverlust, anormalen Leberfunktionswerten, erhöhten Lipase-Blutwerten, verminderten Lymphozytenwerten, Anämie, Müdigkeit, Hypocalzämie, verlangsamter Blutgerinnung und Haarausfall.

Hinsichtlich Wechselwirkungen ist vor allem zu bedenken, dass BCRP-Hemmer wie Pantoprazol die Alpelisib-Konzentration im Blut erhöhen können. Bei gleichzeitiger Gabe ist Vorsicht geboten und eine Überwachung auf Toxizitäten wird empfohlen.

Konkurrenz für Larotrectinib

Mit Entrectinib (Rozlytrek® 100 und 200 mg Hartkapseln, Roche) kam Anfang September ein weiterer neuer Kinasehemmer in den Handel. Er kann – unabhängig von der Gewebeart – bei allen soliden Tumoren eine Therapieoption darstellen, wenn zuvor eine sogenannte NTRK-Genfusion nachgewiesen wurde, wenn die Tumore lokal fortgeschritten oder metastasiert sind oder wenn eine chirurgische Resektion wahrscheinlich eine hohe Morbidität zur Folge haben wird und für die keine zufriedenstellenden Therapieoptionen zur Verfügung stehen. Zudem dürfen die Patienten nicht mit einem anderen TRK-Hemmer vortherapiert sein.

Die Abkürzung NTRK steht für Neurotrophe Tropomyosin Rezeptorkinase. Insgesamt gibt es im Körper drei NTRK-Gene, die jeweils für eine Tropomyosin-Rezeptorkinase (TRK) kodieren. Fusioniert ein NTRK-Gen mit einem anderen Gen im Körper, kann das daraus gebildete TRK-Fusionsprotein dauerhaft aktiv sein. Das kann zu unkontrolliertem Zellwachstum führen. Wie das bereits 2019 in den Handel gekommene Larotrectinib (Vitrakvi®) ist auch Entrectinib ein TRK-Inhibitor.

Ferner hemmt Entrectinib auch die Tyrosin-Proteinkinase ROS (ROS1). Auch beim ROS1-Gen können Genfusionen vorkommen, die zu einer unkontrollierten Zellproliferation führen. Dies ist zum Beispiel beim nicht kleinzelligen Lungenkarzinom (NSCLC) der Fall. Entrectinib darf daher auch zur Behandlung von Erwachsenen mit ROS1-positivem, fortgeschrittenen NSCLC eingesetzt werden, die die zuvor keine Behandlung mit ROS1-Inhibitoren erhalten haben.

Die empfohlene Dosis von Entrectinib beträgt bei Erwachsenen 600 mg einmal täglich. Die Dosierung bei Kindern und Jugendlichen basiert auf der Körperoberfläche. Empfohlen werden 300 mg/m2 einmal täglich. Wenn sich der Patient nach Einnahme übergeben muss, kann er diese Dosis erneut einnehmen. Im Falle von Nebenwirkungen kann der Arzt die Unterbrechung der Therapie, eine Dosisreduktion oder den Abbruch der Behandlung veranlassen.

Die gleichzeitige Gabe von starken oder moderaten CYP3A-Hemmern erhöht die Plasmakonzentration von Entrectinib, wodurch das Nebenwirkungspotenzial steigt. Die gleichzeitige Gabe ist daher laut Fachinformation zu vermeiden. PTA und Apotheker können zudem darauf hinweisen, den Kinasehemmer nicht zusammen mit Grapefruit einzunehmen. Die gleichzeitige Anwendung mit starken oder moderaten CYP3A-Induktoren verringert die Plasmakonzentration des neuen Krebsmedikaments, was dessen Wirksamkeit negativ beeinflussen kann.

In der Fachinformation finden sich weitere Warnhinweise, zum Beispiel zum möglichen Auftreten kognitiver Störungen, zum Frakturrisiko und zum Anstieg des Harnsäurespiegels. Dieser sollte regelmäßig überprüft werden. Ebenso wird die mögliche Verlängerung des QT-Intervalls am Herzen thematisiert. Empfohlen wird, regelmäßig ein EKG zu machen und die Elektrolytwerte zu bestimmen.

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