Von der Infektion zur Myokarditis |
Verena Schmidt |
23.01.2025 16:00 Uhr |
Gut auskurieren: Ruhe und körperliche Schonung bei einem Infekt senken das Risiko, dass eine Herzmuskelentzündung entsteht. / © Getty Images/damircudic
Die Krankengeschichte beginnt in der Regel mit einem zunächst harmlosen Infekt der Atemwege oder des Magen-Darm-Trakts. Wer sich dann aber nicht genügend schont und die Erkrankung nicht vollends auskuriert, riskiert, dass sich Zellen des Herzmuskelgewebes entzünden. Mediziner sprechen in einem solchen Fall von einer Myokarditis beziehungsweise einer Perimyokarditis, wenn auch die Bindegewebshülle des Herzens, der Herzbeutel, betroffen ist.
Selten sind Parasiten, Pilze oder Bakterien Auslöser einer Myokarditis. Viel häufiger – in mehr als der Hälfte aller Fälle – sind Viren die Übeltäter, zum Beispiel Corona-, Influenza-, Herpes-, Masern- oder Hepatitis-C-Viren, HIV, Epstein-Barr-Viren oder das Parvovirus B19. Die Viren können ins Blut und weiter zum Herzmuskelgewebe gelangen und dort dann eine Entzündung auslösen. Es ist aber auch möglich, dass die Entzündung indirekt durch eine überschießende Immunantwort des Körpers herbeigeführt wird, ohne dass die Viren direkt zum Herzen gelangen.
Ähnlich können auch nicht infektiöse Auslöser Autoimmunprozesse in Gang setzen, die schließlich zu einer Herzmuskelentzündung führen, etwa Alkohol, Medikamente, Drogen, radioaktive Strahlen und Impfungen. Ein Beispiel, das vielen noch sehr präsent sein dürfte, ist die mRNA-Impfung gegen SARS-CoV-2. Nach der Impfung waren insbesondere bei jungen Männern und männlichen Jugendlichen in sehr seltenen Fällen Herzmuskel- und Herzbeutelentzündungen aufgetreten, vor allem nach der Impfung mit Spikevax®. Unter-30-Jährige sollen laut STIKO daher nicht mehr mit dem Impfstoff geimpft werden.
Zwischen dem ursprünglichen Infekt und einer Myokarditis liegen meist ein bis zwei Wochen. Tückisch ist, dass die Beschwerden recht unspezifisch sind, sie ähneln oft denen des primären Infekts. Halten etwa Müdigkeit oder Abgeschlagenheit ungewöhnlich lange nach der Erkrankung an oder werden sie als besonders stark empfunden, ist eine ärztliche Abklärung vonnöten.
Es können auch Beschwerden auftreten, die von anderen Herzerkrankungen bekannt sind, etwa Atemnot oder Wassereinlagerungen in den Beinen wie bei der Herzinsuffizienz oder Brustschmerzen, Engegefühl in der Brust (Angina pectoris), Herzklopfen (Palpitationen) und Herzrhythmusstörungen wie beim Herzinfarkt. Neugeborene und Kleinkinder zeigen bei einer Myokarditis häufig hohes Fieber, Lethargie, Schwitzen und ein schlechtes Trinkverhalten. Bei Kindergartenkindern können Abgeschlagenheit, Schwindel sowie Bauch- oder Muskelschmerzen Anzeichen sein.
Mediziner unterscheiden grundsätzlich drei Verlaufsformen: Die subklinische Myokarditis wird oft vom Betroffenen gar nicht bemerkt. Zellverluste und fibrotische Gewebeveränderungen sind örtlich begrenzt und die Entzündung heilt in der Regel ohne Komplikationen und Folgeschäden aus. Bei der klassischen akuten Myokarditis wird mehr Gewebe zerstört und die Herzfunktion ist beeinträchtigt. Bleiben die Entzündungsvorgänge im Herzgewebe über längere Zeit aktiv bestehen, entwickelt sich die akute zur chronischen Myokarditis. Es drohen Herzschäden und eine zunehmende Herzschwäche – die Pumpleistung des Herzens ist eingeschränkt, die Patienten fühlen sich schwach und nicht leistungsfähig.
Besteht der Verdacht auf eine Herzmuskelentzündung, sind verschiedene Untersuchungen angezeigt, um diese abzuklären. Der Arzt wird wahrscheinlich zunächst ein EKG veranlassen, um beispielsweise Herzrhythmusstörungen zu erkennen. Mithilfe einer Ultraschalluntersuchung des Herzens (Echokardiografie) kann ein Kardiologe die Pumpleistung des Herzens beurteilen – die Herzkammern pumpen bei Myokarditis oft weniger Blut in den Körper als im gesunden Zustand. Mithilfe der kardialen Magnetresonanztomografie können Schäden des Herzmuskels oder Funktionsstörungen der Kammern schnell erkannt werden.
Bei der Blutuntersuchung liefern etwa erhöhte Werte des C-reaktiven Proteins (CRP) und der Leukozyten Hinweise auf eine Entzündung. Weitere Biomarker können eine Herzschädigung anzeigen, unter anderem die Creatinkinase (CK) und deren Isoform CK-MB, die vor allem im Herzmuskel vorkommt, sowie das Protein Troponin T. Es ist Bestandteil des Herzmuskelgewebes. Stirbt dieses ab, gelangt Troponin ins Blut und ist dort nachweisbar.
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Das Coronavirus scheint häufiger als andere Viren eine Myokarditis auszulösen. Bis zu 30 Prozent der schwer erkrankten Patienten leiden nach einer Covid-19-Erkrankung unter anhaltenden Beschwerden und Funktionseinschränkungen des Herzens. Eine Studie konnte beispielsweise zeigen, dass eine Herzmuskelentzündung nach einer Coronainfektion fast dreimal häufiger auftrat als nach einer Infektion mit Influenzaviren. Wie genau SARS-CoV-2 das Herz schädigt, ist bislang allerdings noch nicht gänzlich geklärt.
Untersuchungsdaten erhärten inzwischen den Verdacht, dass das Coronavirus Schäden direkt am Herzen verursachen kann. Es nutzt unter anderem das Angiotensin Converting Enzyme 2 (ACE2) zum Eintritt in Gewebe des Nasen-Rachen-Raums. Auch im Herzen findet sich ACE2 – was zumindest teilweise die erhöhte Anfälligkeit für Herzmuskelentzündungen erklären könnte.
Auch bei einem milden Verlauf erhöht Covid-19 das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen langfristig. Das zeigt eine 2022 in »Nature Medicine« veröffentlichte Studie. Dafür hatten die Autoren Gesundheitsdaten von mehr als 150.000 US-Veteranen ausgewertet, die sich mit SARS-CoV-2 infiziert hatten. Sie hatten bis zu zwölf Monate nach der Infektion im Vergleich zu einer Kontrollgruppe ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, darunter zerebrovaskuläre Störungen, Herzrhythmusstörungen, ischämische und nicht ischämische Herzerkrankungen, Perikarditis, Myokarditis, Herzinsuffizienz und thromboembolische Erkrankungen.
Hat sich der Verdacht auf eine Myokarditis schließlich bestätigt, ist vor allem eines wichtig: strikte körperliche Schonung, damit sich der Herzmuskel bestenfalls vollständig erholen kann. Meist wird der Verzicht auf Sport für mehrere Monate empfohlen. Ansonsten drohen Komplikationen wie eine Herzinsuffizienz, Arrhythmien und plötzlicher Herztod.
Bei einer asymptomatischen Myokarditis sind routinemäßig keine Medikamente notwendig. Bei schwereren Verlaufsformen mit herzbedingten Beschwerden kann je nach Stärke auch eine stationäre Aufnahme und eine Therapie der Herzinsuffizienz notwendig sein. Bei extremer Herzschwäche etwa werden im Krankenhaus Catecholamine gegeben, um den Herzmuskel zu unterstützen. Calciumantagonisten oder Betablocker verbessern die Versorgung mit Sauerstoff. ACE-Hemmer, Sartane und Diuretika senken Vor- und Nachlast. Treten Herzrhythmusstörungen auf, erhält der Patient ein Antiarrhythmikum.
In Einzelfällen kann eine immunsuppressive Therapie mit Glucocorticoiden, Azathioprin oder Ciclosporin A angezeigt sein, beispielsweise bei der Riesenzellmyokarditis, einer seltenen Form der Herzmuskelentzündung, die vor allem junge Menschen betrifft und rasch fortschreitet. Eine spezifische Behandlung bei virusinduzierten Herzmuskelentzündungen gibt es derzeit nicht. In Studien wurde allerdings Interferon-beta erfolgreich gegen Myokarditiden durch Entero- und Adenoviren eingesetzt.
Prinzipiell ist die Langzeitprognose nach einer akuten, unkompliziert verlaufenen Virusmyokarditis gut. Bei rund 70 Prozent der Patienten heilt die Entzündung ohne Folgen komplett aus. Entstehen durch die Entzündung Vernarbungen im Herzmuskelgewebe, können mitunter leichte Rhythmusstörungen bestehen bleiben. Schätzungsweise 15 Prozent der Patienten entwickeln chronische Verläufe, die in seltenen Fällen zu einer fortschreitenden Herzinsuffizienz führen.
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.