Wann X- und O-Beine korrigieren? |
Bei Kindern sind O- und später X-Beine normal. Verursachen die Beinfehlstellungen jedoch Beschwerden oder bleiben sie länger bestehen, sollten sie behandelt werden. / Foto: Getty Images/bankrx
Alle Babys haben O-Beine. Das gehört zur normalen Entwicklung von Kindern und resultiert aus der Position im Mutterleib, die Ungeborene aufgrund des Platzmangels einnehmen. Beginnen Babys zu laufen, begradigt sich die Beinachse – allerdings nur vorübergehend. Schon mit dem nächsten Wachstumsschub beginnt die Ausbildung von X-Beinen. Auslöser dafür ist die ungleiche Belastung der Wachstumsfugen. Während die zum Körper gerichteten Wachstumsfugen verstärktem Druck ausgesetzt sind, wirken auf die nach außen gerichteten Wachstumsfugen in erster Linie Zugkräfte. Etwa um das dritte bis vierte Lebensjahr herum ist die X-Beinstellung bei den meisten Kindern am stärksten ausgeprägt. In den folgenden Jahren stimulieren die nun – im Vergleich zum Babyalter – umgekehrten Belastungsverhältnisse das Wachstum abermals asymmetrisch, sodass sich die Beinachse langsam korrigiert. Bei den meisten Kindern ist dieser Prozess zwischen dem achten und zehnten Lebensjahr abgeschlossen.
Viele Eltern verunsichert die Beinachsenentwicklung, sie zählt zu den häufigsten Beratungsthemen in kinderärztlichen und orthopädischen Praxen. In den meisten Fällen besteht jedoch kein Grund zur Sorge und die Entwicklung wird lediglich beobachtet. Aufmerksam sollten Eltern werden, wenn die Beine extrem gebogen sind, nur ein Bein betroffen ist, sich O-Beine bei Kindern, die älter als zwei Jahre alt sind, verschlimmern oder X-Beine nicht langsam zurückgehen.
Eine Ursache für die Beinachsenfehlstellung wird nur selten gefunden. Experten vermuten, dass genetische Faktoren eine tragende Rolle spielen, zudem können Leistungssportarten wie Fußball oder deutliches Übergewicht zu einer Verstärkung der Achsenabweichungen beitragen. Wesentlich seltener werden X- oder O-Beine durch Knochenbrüche, Tumoren oder Infektionen verursacht, die zu einer Schädigung der Wachstumsfuge geführt haben. In diesem Fall tritt die Beinachsenabweichung meist nur an einem Bein auf.
Über Jahrhunderte hinweg gehörte die Rachitis zu den häufigsten Auslösern von X- und O-Beinen. Heute kommt sie nur mehr bei wenigen Kindern vor und kann meist durch die Substitution von Calcium und Vitamin D3 erfolgreich behandelt werden.
Ebenfalls zu den seltenen Erkrankungen zählen die Achondroplasie (häufigste Form des Kleinwuchses), das Marfan-Syndrom (erbliche Bindegewebserkrankung), die Glasknochenkrankheit, die spondyleopiphysäre Dysplasie, bei der sich die Epiphysen der langen Röhrenknochen verändern, der Morbus Blount, bei dem sich das Längenwachstum des Schienbeins auf der Innenseite verlangsamt und eine Innenrotation des Unterschenkels auftritt, sowie die Tibiapseudarthrose, bei der sich der mittlere Teil des Schienbeins verbiegt.
X- und O-Beine fallen häufig optisch ins Auge. Stehen Betroffene gerade, befinden sich die Mitten von Hüft-, Knie- und Sprunggelenk nicht übereinander. Bei X-Beinen weichen Unterschenkel und Füße von der Ideallinie nach außen ab, die Knieinnenseiten berühren sich, die Fußknöchel nicht. Bei O-Beinen stehen die Knie weit auseinander, die Fußknöchel hingegen nah beieinander. In der medizinischen Diagnostik werden ergänzend Röntgenbilder angefertigt, in denen die Abweichungen gut erkennbar sind, und eine Ganganalyse durchgeführt.
Leichte Beinachsenfehlstellungen verursachen bei Kindern in der Regel weder Schmerzen noch schränken sie die Beweglichkeit ein. Bei der Frage nach einer Behandlungsbedürftigkeit geht es vor allem darum, der Entwicklung einer Arthrose im Erwachsenenalter vorzubeugen. Auf lange Sicht führt die Beinachsenfehlstellung dazu, dass die Knorpelflächen im Kniegelenk nicht gleichmäßig belastet werden. So wird bei O-Beinen das auf der Knieinnenseite gelegene Gelenkskompartiment, bei X-Beinen das auf der Knieaußenseite liegende Kompartiment, stärker belastet. Dadurch kommt es zu einer verstärkten Abnutzung der Knorpel und Menisken, zu Knorpelschäden und einer verfrühten Arthrose im Kniegelenk, die einen Kniegelenksersatz erforderlich macht.
Ob eine Beinachsenfehlstellung bei Kindern therapiebedürftig ist oder im Rahmen der normalen Entwicklung liegt, können Kinderorthopäden auf Grundlage des Alters, der Laufbewegung und der Formung der Beine schnell einschätzen. Solange ein Baby nicht mit dem Laufen begonnen hat, besteht grundsätzlich kein Behandlungsbedarf. Auch bei Kleinkindern und jungen Schulkindern wird in der Regel abwartend beobachtet. Die Zahl der Spontankorrekturen bis zum achten Lebensjahr ist so hoch, dass ein früher Eingriff kaum gerechtfertigt ist.
Ist jedoch abzusehen, dass sich die Beinachsenfehlstellung bis zum Abschluss des Wachstums – bei Mädchen um das 14. Lebensjahr, bei Jungen um das 16. Lebensjahr herum – nicht von allein korrigieren wird, kann die natürliche Entwicklung durch eine wachstumslenkende Operation unterstützt werden. Im Rahmen eines minimalinvasiven Eingriffs wird je nach Beinfehlstellung auf der Innen- oder Außenseite eine kleine Klammer oder ein Plättchen angebracht. Diese hemmen in der kommenden Zeit das Wachstum auf der einen Seite, während die andere Seite normal weiterwächst.
Der ideale Operationszeitpunkt wird vom Alter des Patienten und dem zu erwartenden Restwachstum bestimmt. Kleine Fehlstellungen werden etwa ein Jahr vor Abschluss des Wachstums korrigiert. Bei ausgeprägten Achsenabweichungen wird der Zeitpunkt früher gelegt, um den Wachstumsprozess noch voll ausschöpfen zu können.
Eine unbehandelte Beinachsenfehlstellung macht sich meist im mittleren Lebensalter durch leichte Beschwerden im Knie beim Aufstehen oder Belastungen wie Treppensteigen bemerkbar. Mit der Zeit verstärkt sich die Symptomatik, bis die Schmerzen schließlich zu Einschränkungen im Alltag oder beim Sport führen. Häufig sind zudem die stabilisierenden Bänder des Kniegelenks mit betroffen, sodass es beim Laufen nicht nur zu Schmerzen, sondern auch zu einem Gefühl von Instabilität kommt.
Bei Erwachsenen wird zunächst versucht, die Beschwerden mit konservativen Maßnahmen zu lindern. Dazu gehört das Tragen von Einlagen sowie Schuhaußen- beziehungsweise -innenranderhöhungen. Diese können die Fehlbelastung auf die Kniegelenke ausgleichen und damit die Überbelastung reduzieren. Eine gezielte Muskelkräftigung durch Physiotherapie kann helfen, die Kniegelenke zu stabilisieren und Schmerzen zu reduzieren. Bei bestehendem Übergewicht wird zudem zu einer Gewichtsreduktion geraten.
Eine operative Begradigung der Beinachse ist bei Erwachsenen wesentlich aufwendiger als bei Kindern. Im Rahmen einer Umstellungsosteotomie wird der Knochen zu 90 Prozent durchtrennt und so weit aufgeklappt, dass die Beinachse in einer geraden Stellung steht. Die Lücke, die dabei im Knochen entsteht, ist in der Regel gering und wächst bei den meisten Patienten von allein zu. Alternativ kann körpereigenes Knochenmaterial aus dem Beckenkamm oder künstliches Knochenmaterial eingesetzt werden. Der Knochen wird anschließend mit einer Platte stabilisiert, die in einer späteren Operation wieder entfernt wird. Im Gegensatz zur Wachstumskorrektur bei Kindern, bei der das Bein im Anschluss voll belastbar ist, ist nach einer Umstellungsosteotomie nur eine Teilbelastung möglich. Patienten wird empfohlen, das Bein für etwa sechs Wochen durch Gehstützen zu entlasten.
Obwohl eine Umstellungsosteotomie aufwendig ist, wird sie jungen, aktiven Erwachsenen mit beginnender Arthrose, aber noch gut erhaltenem Gelenkknorpel, bei denen konservative Maßnahmen versagen, dennoch empfohlen. Derzeit ist sie die beste Methode, um das eigene Kniegelenk zu erhalten. Bei älteren Patienten mit bereits fortgeschrittener Arthrose wird meist direkt ein Gelenkersatz empfohlen.