Warum man oft im Urlaub kränkelt |
Wen im Urlaub eine Erkältung erwischt, der sollte sich in Gelassenheit üben. Das ist den Experten zufolge sinnvoller, als sich womöglich noch über vergeudete Urlaubstage zu ärgern. Nach zwei Tagen geht es meist schon wieder besser. / Foto: Getty Images/galitskaya
»Leisure Sickness« ist zwar keine medizinische Diagnose, aber ein Phänomen, von dem so einige Menschen berichten. Es bedeutet, dass man sich krank fühlt, kaum dass das Wochenende begonnen hat. Oder direkt am zweiten Urlaubstag kündigt sich eine Erkältung an, obwohl doch eigentlich Erholung angesagt ist.
Vorher hat man die Arbeit und den Alltag noch gerade so gewuppt. Vielleicht hatte man nicht einmal das Gefühl, besonders gestresst gewesen zu sein. Doch sobald die Erholung beginnen soll, ist sie eigentlich schon vorbei. »Migräne oder kleine Infekte sind typische Symptome von ›Leisure Sickness‹«, sagt Elisabeth Rauh, Chefärztin am Fachzentrum für Psychosomatik der Schön Klinik Bad Staffelstein.
Wie kommt es zu diesem Phänomen? Zum einen kann es laut der Expertin ganz einfach sein, dass das Gehirn in der Anspannung des Alltags manche Warnsymptome ausgeblendet hat. Ist auf einmal Zeit und fehlt die Ablenkung, nimmt man seinen Körper besser wahr – und somit vielleicht auch die Schlappheit, die vielleicht schon eine Weile da war.
Zum anderen gibt es, sehr vereinfacht gesagt, ein Wechselspiel zwischen zwei Teilen des vegetativen Nervensystems: dem Sympathikus und dem Parasympathikus. Nur eines dieser beiden Systeme kann aktiviert sein:
Läuft das Wechselspiel zwischen Sympathikus und Parasympathikus nicht geschmeidig, klappt die Entspannung nach der Arbeit weniger gut und auch das Risiko einer »Leisure Sickness« steigt. »Der Körper ist ein Schiff und kein Auto«, sagt Elisabeth Rauh. »Ruckartige Wechsel und Kehrtwenden funktionieren nicht.«
Wie lässt sich »Leisure Sickness» vorbeugen? Die Lösung ist eigentlich ganz einfach: Auch in herausfordernden oder stressigen Zeiten ist ein Wechselspiel aus Anspannung und Entspannung wichtig. »Oft heißt es: Die Arbeit macht krank«, sagt die Fachärztin. »Aber das stimmt so nicht. Vielmehr muss ich schon unter der Woche das Entspannen einfließen lassen.«
Sie rät, auf eine gute Pausen- und Esskultur zu achten. Wie gestalte ich meine Pausen, was tut mir gut? Esse ich regelmäßig, um mir Energie zu holen? Mit diesen Fragen lässt sich das eigene Verhalten unter die Lupe nehmen. Besonders sehr ehrgeizigen Menschen und denjenigen, die im Beruf viel Verantwortung tragen, rät Rauh zu diesem Ausgleich im Alltag. Zudem sei folgende Kombination riskant: »Wer eine große Verausgabungsbereitschaft hat, gepaart mit einer Neigung zu Resignation und Frustration, ist eher gefährdet, dieses wichtige Wechselspiel zu vernachlässigen.«
Der Psychiater und Stressforscher Michael Stark rät zu mehr Achtsamkeit im Alltag, um »Leisure Sickness« zu vermeiden. »Nehmen Sie den Körper als ein Instrument wahr, das Ihnen zur Verfügung steht«, sagt er. »Niemand würde ein teures Werkzeug unbedacht im Regen liegen lassen oder sein Auto nicht in die Werkstatt bringen, wenn eine Warnlampe blinkt.«
Beim Körper können solche Warnzeichen Schlafstörungen sein, Verdauungsprobleme, Heißhunger, Libidoverlust und viele andere. »Diese Stresssymptome wollen einen nicht ärgern, sondern aufmerksam machen«, sagt Michael Stark. »Dann ist meine Reaktion entscheidend: Ich sollte die Überlastung begrenzen, statt die Symptome mit Medikamenten wegzudrücken.«
Auch er empfiehlt, immer wieder Erholungsphasen in den Alltag einzubauen. Etwa regelmäßige Bewegung, das Handy mal einen Tag auszuschalten, in der Natur unterwegs zu sein, ein Museumsbesuch, der Freude macht – alles, was Körper und Seele aus dem Hamsterradmodus herausholt. »Der Körper ist nicht selbstverständlich, er muss gepflegt werden«, sagt der Psychiater.
»Was unser Körper, unsere Seele und unser Geist am liebsten mögen, ist eine Gleichmäßigkeit«, so Elisabeth Rauh. »Wenn ich schon im Alltag für mich sorge, kann sich auch der Urlaub richtig entfalten. Mache ich das nicht, dann muss ich im Urlaub erstmal Aufräumarbeiten leisten.«
Und was, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist und sich am zweiten Urlaubstag der Infekt meldet? Dann ist Gelassenheit angesagt, sagt die Ärztin: »Es ist, wie es ist – ich muss das annehmen und kann wissen: Nach zwei Tagen geht es schon wieder besser. Das ist sinnvoller, als sich womöglich noch über vergeudete Urlaubstage zu ärgern.« Denn wenn man das tut, übernimmt wieder der Sympathikus – und damit der Stress.
Wer im Alltag eng getaktet ist, sollte besser allmählich in den Urlaub starten. »Fahren Sie langsam herunter«, rät Stark. Sprich: Vielleicht nicht gleich am ersten Tag in den Liegestuhl hauen und gar nichts mehr tun, sondern Körper und Seele Zeit zum Umstellen geben.
Das lässt sich umsetzen, indem man sich schon vorher überlegt, was man an den ersten freien Tagen machen möchte. »Sie können zum Beispiel für den Beginn ein Bewegungsprogramm buchen.« Oder man plant einen kleinen Ausflug und unternimmt gezielt etwas, was einem Freude macht.
Wer sich schon im Vorfeld Gedanken macht, vermeidet auch, dass er oder sie mit der vielen Zeit auf einmal gar nichts anfangen kann. Erholung sollte nicht selbst zum Stressfaktor werden Von viel Aktivität allmählich zu weniger – das hilft, in der Erholung dann auch wirklich anzukommen. Wichtig ist, dass die Erholung selbst nicht zum Stressfaktor wird. »Sie müssen im Urlaub nichts müssen«, sagt der Psychiater. »Lösen Sie den Alltagstakt auf und finden Sie in einen anderen Rhythmus hinein.« Das geht eben meist nicht ruckartig, sondern besser nach und nach.