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Psychologie

Warum schämen wir uns?

Peinliche Fettnäpfchen gibt es im sozialen Miteinander so einige. Doch nicht jeder empfindet sie gleich intensiv. Scham ist ein höchst individuelles Gefühl, das auch bestimmt, ob wir uns als Beobachter fremdschämen.
Carina Steyer
20.06.2024  16:00 Uhr

Scham zählt zu den unangenehmsten und schmerzhaftesten Emotionen. Sie wird besonders gerne verschwiegen und tabuisiert. Dabei ist Scham nicht nur ein Gefühl, sondern eng mit körperlichen Reaktionen verknüpft. Wer sich schämt, errötet, beginnt zu schwitzen und möchte am liebsten im Erdboden versinken, was auch über die Körperhaltung transportiert wird. Menschen, die sich schämen, können die Blicke anderer nicht ertragen, sie nicht erwidern und senken automatisch den Blick.

Experten raten deshalb: Landet man in einer schambehafteten Situation, sollte man versuchen, den Blick zu heben. Damit wird Distanz zur Situation geschaffen und das Gefühl der Scham kann in das schwächere Gefühl der Peinlichkeit übergehen.

Ein Mensch, der nicht beschämbar ist, existiert bis auf wenige krankheitsbedingte Ausnahmen nicht. Allerdings sind Schamgefühle individuell verschieden ausgeprägt und abhängig von persönlichen, biografischen und religiösen Prägungen, dem Alter und Lebensumfeld sowie der Geschlechts- und Kulturzugehörigkeit. So kann sich ergeben, dass eine Situation, für die sich die eine Person zutiefst schämt, von einer anderen lediglich als kleine Peinlichkeit wahrgenommen wird.

Dieser Zusammenhang zeigt sich auch beim Fremdschämen. Psychologisch betrachtet ist Fremdscham eine Simulation des Gehirns, die verdeutlicht, wie wir uns in der Lage eines beobachteten Menschen fühlen würden. Verstößt er gegen Werte, Vorstellungen oder Prägungen, mit denen wir uns selbst identifizieren, empfinden wir ausgeprägte Fremdscham, die sich ähnlich anfühlt wie selbst erlebte Scham. Die beobachtete Person kann sich in dieser Situation ebenfalls schämen, muss es aber nicht. Fremdscham tritt auch auf, wenn sich der Beobachtete nicht im Geringsten peinlich berührt fühlt.

Von klein auf

Schamgefühle treten schon bei kleinen Kindern auf. Wissenschaftler gehen derzeit davon aus, dass der Zeitpunkt, ab dem Kinder sich selbst als eigenständige Person erleben und erste soziale Regeln verstanden haben, dafür ausschlaggebend ist. In der Regel ist das etwa ab dem 18. Lebensmonat der Fall. Es gibt jedoch auch Vermutungen, dass das Fremdeln im ersten Lebensjahr bereits eine spezielle Form von Scham darstellt.

Aus Untersuchungen mit Erwachsenen ist bekannt, dass Schamgefühle immer dann entstehen, wenn die persönlichen Grundbedürfnisse nach Anerkennung, Schutz, Zugehörigkeit oder Integrität verletzt werden. Oft sind das Situationen, in denen gegen gesellschaftliche Normen verstoßen wird, man sich »daneben« benommen hat oder etwas getan hat, das sich nicht »gehört« und dafür ausgelacht, gemieden oder ausgegrenzt wird.

Menschen schämen sich aber nicht erst, wenn sie eine negative Reaktion des Umfelds bekommen, sondern bereits dann, wenn sie diese befürchten. Auch das Überschreiten von körperlichen oder psychischen Grenzen bei uns selbst beziehungsweise durch uns bei einer anderen Person erzeugt Schamgefühle. Massiv ausgeprägt sind diese bei Gewalterfahrungen.

Menschen sind zudem in der Lage, sich vor sich selbst zu schämen. Dieses als Gewissensscham bezeichnete Gefühl tritt auf, wenn gegen innere Überzeugungen oder Werte gehandelt wird oder die eigenen Perfektionsansprüche nicht erfüllt werden. Dazu zählen nicht nur Handlungen wie Fehler oder Niederlagen, sondern etwa auch, wenn Körperfunktionen nicht mehr ausreichend kontrolliert werden können.

Machtvolles Gefühl

Scham ist ein machtvolles Gefühl. Oft reicht schon die Erinnerung an eine beschämende Situation, um Missbehagen zu wecken. Ein Grund, weshalb Erziehungsmethoden über Jahrhunderte hinweg auf der Erzeugung von Scham basierten, indem Kinder mit Ärger, Ekel oder Missachtung für ein unerwünschtes Verhalten bestraft wurden. Selbst wenn Kinder noch zu klein sind, um die Reaktion nachvollziehen zu können, erkennen sie bereits, dass es sich um eine negative Bewertung des eigenen Verhaltens handelt.

Scham ist politisch instrumentalisierbar, kann zum Abbruch von Beziehungen führen, einsam machen und Isolation fördern. Menschen mit einem schwach ausgeprägten Selbstwertgefühl erleben Scham häufiger. Gleichzeitig begünstigt intensives Schamerleben die Ausprägung eines geringen Selbstwertgefühls sowie die Entwicklung von Depressionen und Suchterkrankungen. Bei Letzterem kann die Scham, süchtig zu sein, die Sucht weiter verstärken. Ähnliches ist von Depressionen bekannt.

Aktive Abwehr

Aufgrund der Intensität von Schamgefühlen haben Menschen verschiedene Strategien entwickelt, um die eigene Scham nicht fühlen zu müssen. Dazu gehört das Projizieren der schambehafteten Eigenschaft auf andere Personen oder das Beschämen, Verhöhnen, Bloßstellen, Ausgrenzen sowie Mobben anderer Menschen. Neben verbaler Gewalt kann körperliche Gewalt zum Einsatz kommen. Auch zur Schau gestellte Schamlosigkeit kann benutzt werden, um mit extremen Schamgefühlen umzugehen. Mit dem gezielten Einsetzen schamlosen Verhaltens wird das eigene Schamgefühl abgewehrt und durch Erzeugung von Fremdscham auf andere übertragen.

Andere Menschen richten ihre Gefühle weniger nach außen, sondern versuchen das unangenehme Erlebnis zu verleugnen oder zu verdrängen. Scham kann zudem mit Ausgleichsmechanismen begegnet werden, die sich gegen die eigene Person richten. Betroffene werten sich selbst ab, resignieren, fühlen sich für alles schuldig oder unsichtbar. Das kann weit über die erlebte Situation andauern und Auswirkungen auf das restliche Leben haben. Wer als Schüler im Sportunterricht beschämt wurde, kann im späteren Leben jeglichen Sport in der Öffentlichkeit meiden. Wer im Kunstunterricht ausgelacht wurde, kann überzeugt sein, nicht kreativ zu sein und alles Kreative in Zukunft meiden.

Werden Schamgefühle zu stark oder treten sie sehr häufig auf, kann ein überangepasstes Verhalten die Folge sein, bei dem Betroffene ihren eigenen Bedürfnissen nicht mehr nachkommen. Der Fokus des Verhaltens liegt nun darauf, keinen Fehler zu begehen, es allen recht zu machen und sich vorsorglich vor einer weiteren Bloßstellung zu schützen.

Wichtige Regulationsfunktion

Trotz all der negativen Seiten hat die Fähigkeit, Scham empfinden und wahrnehmen zu können, eine grundlegende Bedeutung für das soziale Miteinander. Scham fungiert als Warnsignal und hilft, die eigenen Grenzen und die Grenzen anderer zu wahren. Menschen, die sich schämen, hinterfragen ihr Verhalten in der Regel und passen es den Normvorstellungen der jeweiligen Gesellschaft an.

Anhand der offensichtlichen körperlichen Reaktionen erkennt das Umfeld, dass eine Person sich bereits schämt und den Verstoß gegen die Regeln bereut. So konnten niederländische Forscher zeigen, dass Probanden, die Menschen in peinlichen Situationen bewerten sollten, jene die rot wurden, wohlwollender betrachteten als Menschen, die in derselben Situation nicht rot wurden.

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