Warum wir Dunkelheit brauchen |
Fast die Hälfte der Erdoberfläche ist von Lichtverschmutzung betroffen. Das hat Auswirkungen auf das Leben und die Gesundheit von Mensch und Tier. / Foto: Getty Images/Benjamin Torode
Wenn es nachts draußen raschelt und knackt, bekommt manch ein Mensch Angst und knipst das Licht an. Licht vertreibt aber nicht nur die Angst, sondern oft auch die Tiere. Seit Jahrzehnten macht vielen Tieren die sogenannte Lichtverschmutzung zunehmend zu schaffen. Auch für den Menschen ist nächtliches Licht von Nachteil.
»Wir sind erstaunt, wie empfindlich viele Tiere sind. Das hat uns selbst überrascht«, sagt Franz Hölker, der eine Forschungsgruppe zu Lichtverschmutzung am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) mit Sitz in Berlin leitet. Das gelte auch für den Menschen.
Der Unterschied zwischen Tag und Nacht verschwimme. In Innenräumen wie Büros sei tagsüber viel weniger Licht als draußen, während der Tag abends verlängert werde. »Da wissen die Zellen nicht mehr so genau, was sie machen sollen«, sagt Hölker. Die Folge seien nicht nur Schlafstörungen.
Übermäßiges nächtliches Licht könne auch das Risiko für Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck, Adipositas und Depressionen erhöhen, schrieb voriges Jahr ein internationales Forschungsteam in einer Überblicksarbeit im Fachblatt »Science«. Nächtliche Lichtexposition schwäche zudem das Immunsystem.
»Die Studien zu den Auswirkungen von nächtlicher Lichteinwirkung zeichnen ein beunruhigendes Bild«, sagte Ko-Autorin Eva Schernhammer von der Medizinischen Universität Wien. Dass wir es gerne hell haben, ist laut Hölker viel Gewohnheit. Angst vorm Dunkeln stecke in uns Menschen drin. »Aber vor allem Menschen in Städten erleben immer hellere Nächte, die für sie zur Referenz werden.« Diese Gewohnheit zu ändern, lasse sich aber lernen.
Nächtliche Lichtquellen gibt es viele: Industrieanlagen, Straßenlaternen, beleuchtete Parkplätze, Autoscheinwerfer, Schaufensterlichter und Werbebildschirme, Flutlichter auf Sportplätzen, Außenlampen an Häusern und Solarlampen in Gärten, die selbst dann leuchten, wenn die Gartenbesitzer längst im Bett liegen. Lichtverschmutzung betreffe fast die Hälfte der Erdoberfläche, folgerte nach Auswertung von Satellitenbildern im Mai ein internationales Forschungsteam unter Beteiligung von IGB und der Technischen Hochschule Brandenburg (THB) im Fachblatt »Nature Reviews Earth and Environment«. Künstliches Nachtlicht nehme weltweit jährlich um 2 bis 10 Prozent zu. Dabei konnte das Team nicht einmal alle Lichtarten erfassen. »Dies bedeutet, dass das wahre Ausmaß der Zunahme der Lichtverschmutzung mit Satellitendaten eher noch unterschätzt wird«, so THB-Ko-Autor Andreas Jechow.
Die Folgen der Lichtverschmutzung sind auch für Tiere groß: Etwa 60 Prozent der Insekten und 30 Prozent der Säugetierarten in Deutschland sind laut Bundesamt für Naturschutz dämmerungs- oder nachtaktiv. Dazu zählen neben bekannten Nachttieren wie Eule, Glühwürmchen und Fledermaus auch etliche Schmetterlinge.
Manche Tiere werden durch Licht verwirrt. Andere trauen sich nicht aus der Deckung. Alleine durch Straßenbeleuchtung verenden laut Schätzungen des Nabu Milliarden Insekten. Häufig gelangen sie ins Leuchtgehäuse und verbrennen oder verhungern dort. Manche sterben an Erschöpfung, andere fallen Fressfeinden zum Opfer.
Umweltorganisationen rufen daher seit langem dazu auf, das Licht häufiger mal auszulassen. Vögel werden laut Nabu in ihrem Zugverhalten gestört. Amseln, Kohlmeisen oder Rotkehlchen singen demnach manchmal in der Nacht – Stunden früher als ohne Kunstlicht. Laut einer Studie des Max-Planck-Instituts für Ornithologie singen manche Vögel durch das Licht zudem früher im Jahr als sonst üblich – manchmal sei ihr Gesang sogar schon im Winter zu hören.
Fledermäuse sind dem Nabu zufolge unter anderem gefährdet, wenn Quartiere, die häufig an historischen Gebäuden zu finden sind, ausgeleuchtet werden. Schlimmstenfalls würden die Tiere nicht mehr zur Nahrungsaufnahme ausfliegen. Glühwürmchen sind ebenfalls bedroht: Künstliche Lichtquellen können das Leuchten der Weibchen überstrahlen, weshalb sie nicht mehr von Männchen gefunden werden, warnte vergangenes Jahr ein britisches Forschungsteam im Fachblatt »Journal of Experimental Biology«. Auch viele Wasserinsekten lassen sich laut Nabu von Lampen irritieren. So hielten Eintagsfliegen beleuchtete Asphaltflächen mitunter für Wasser und legten ihre Eier dort ab.
Das Bewusstsein für Lichtverschmutzung ändert sich langsam, berichtet Forscher Hölker. Im Bundesnaturschutzgesetz wurde Lichtverschmutzung inzwischen aufgenommen. Ein Projekt erarbeite nun, wie die neuen Regelungen umgesetzt werden können. »Damit haben wir auch eine Vorbildfunktion für andere Länder, die dabei sind, immer heller zu werden«, meint Hölker etwa mit Blick auf Länder der Südhalbkugel. Bisher strahlten vor allem Europa, die USA und asiatische Megastädte weit aus.
Ein Wegbereiter der Sternenparks ist der frühere Leiter des Osnabrücker Planetariums, Andreas Hänel. Er meint, dass sich viel Lichtverschmutzung ohne negative Folgen vermeiden lasse. Etwa durch besser konstruierte oder korrekt installierte Lichter. Das belegt eine im Mai veröffentlichte Studie. Jechow und Hölker hatten mit Kolleginnen und Kollegen spezielle LEDs und Abschirmungen für Straßenlaternen getestet, bei denen das Licht weniger nach oben abstrahlt.
Auch Privatpersonen können helfen, Licht zu reduzieren – etwa indem sie keine Kugelleuchten verwenden, Garten- und Balkonbeleuchtungen nachts abschalten und Fassaden- oder Pflanzenbeleuchtungen aus ästhetischen Zwecken vermeiden oder zumindest zeitlich beschränken. Aufpassen sollte man laut Hölker beim sogenannten Rebound-Effekt: Demnach verführen die energiesparenden und günstigen LED-Lampen zu mehr Lichtbenutzung. Manche Gemeinden würden heute Straßen mehr beleuchten als früher – und mehr als nötig.