Warum wir manchmal Stille brauchen |
Einfach mal nichts tun, nichts sehen und nichts hören: Das ist ungewohnt, tut Körper und Seele aber gut. / Foto: Getty Images/Cavan Images
Wann haben Sie das letzte Mal einfach nur irgendwo gesessen, ohne zu reden, etwas zu hören, anzuschauen oder zu lesen? Diese Momente sind rar. Denken wir nur an Geräusche: Ob die Telefonate der gestressten Kollegen im Büro, Verkehrslärm, Baulärm, der Rasenmäher des Nachbarn, die Musik im Supermarkt – beinahe durchgehend werden unsere Ohren beschallt.
Auch unsere Augen kommen selten zur Ruhe: Alle paar Minuten schauen wir aufs Handy, checken Nachrichten, konsumieren Fotos und Filmchen. Der Feierabend markiert auch nicht mehr den Zeitpunkt, an dem wir endlich zur Ruhe finden. Mediatheken und Streamingdienste kennen keinen Sendeschluss.
Eigentlich liebt unser Gehirn die Abwechslung und die Aufgabe, verschiedenste optische und akustische Reize schnell zu verarbeiten und zu bewerten, meistert es gut. Das ändert sich jedoch, wenn es zu viele Reize bewältigen muss. Das setzt den Kopf unter Dauerstress. Hält dieser länger an, reagiert unser Gehirn überfordert und zeigt uns mit bestimmten Symptomen, dass es seine Arbeit nur noch schlecht leisten kann. Die Konzentrationsfähigkeit lässt nach, der Magen drückt, Nacken und Kopf schmerzen, man findet nicht in den Schlaf. Die Betroffenen reagieren häufig ängstlicher, manche bekommen Panikattacken. Das liegt daran, dass das Gehirn infolge der Reizüberflutung Stresshormone ausschüttet, die dem Körper signalisieren: Achtung, es droht Gefahr! Das erschöpft Körper und Geist. Schon die Erledigung von Alltagsaufgaben wie Einkaufen oder einen Termin mit dem Handwerker zu vereinbaren, fällt dann vielen schwer.
Spätestens jetzt sollten sich Gestresste gegenüber den Einflüssen von außen abgrenzen und das Gehirn entlasten. Das funktioniert, indem sie sich eine Art Reiz-Diät verschreiben und auch mal die Stille suchen. Handyverbot am Wochenende, lange Spaziergänge im Wald und eine tägliche Morgenmeditation können helfen, wieder etwas zur Ruhe zu kommen.
Stille als Voraussetzung für Selbstreflexion, Erkenntnis und innerer Frieden: In der Medizin ist lange bekannt, dass sie sich auch auf den Körper sehr positiv auswirkt. Der Blutdruck sinkt, die Muskulatur entspannt sich, sie soll sogar das Wachstum von neuen Nervenzellen fördern. Das zeigen Studien, in denen Forscher Gehirnareale von Menschen untersucht haben, die regelmäßig über einen längeren Zeitraum meditierten.
Stille sollte daher nichts sein, was es nur im Urlaub gibt. Besser man baut sie in den Alltag ein, möglichst als festes Ritual. Wer sich zum Beispiel vor dem Start in den Tag fünf Minuten aufrecht auf einen Stuhl setzt, einen Punkt im Zimmer betrachtet und Gedanken dabei frei fließen lässt, kann Anforderungen durch Job und Familie bald etwas ruhiger und besonnener begegnen. Auch eine Mittagspause sollte man immer mal wieder in Stille verbringen. Statt während der Arbeit schnell einen Imbiss hinunterzuschlingen, verlässt man das Büro für eine halbe, besser noch ganze Stunde und isst bewusst und in Ruhe. Abends lässt man den Fernseher öfter aus und legt das Handy in ein anderes Zimmer.