Was ändert sich beim Blutspenden? |
Blutspenden werden dringend benötigt und retten anderen Menschen mitunter das Leben. / Foto: Shutterstock/Elnur
Homo- und bisexuelle Männer in Deutschland können künftig leichter Blut spenden. Am 4. September 2023 tritt eine entsprechende Erneuerung der sogenannten »Richtlinie zur Gewinnung von Blut und Blutbestandteilen und zur Anwendung von Blutprodukten« der Bundesärztekammer in Kraft, wie die Organisation mitteilte. Ob die neue Regelung direkt in der Praxis angewendet wird, hängt einem Sprecher zufolge davon ab, wie schnell die Blutspendedienste auf einen neuen Fragebogen umstellen.
Die Änderungen seien im Einvernehmen mit dem Paul-Ehrlich-Institut sowie unter Beteiligung des Bundesgesundheitsministeriums und des Robert-Koch-Instituts erfolgt, so der Sprecher. Unter anderem Schwulenverbände hatten die bisherige Praxis als diskriminierend bewertet.
Um Diskriminierung zu verhindern, erfolgt die Risikobewertung von Blutspenden künftig unabhängig von der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität. Daher werden Spendeninteressierte nun nicht mehr nach ihrer sexuellen Orientierung, sondern nach der Anzahl der Sexualpartner und der Sexualpraxis befragt, wie Johannes Oldenburg, Arzt und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer, der Nachrichtenagentur dpa erklärte. Auch heterosexuelle Menschen müssen also künftig konkret Angaben zu ihrer Sexualpraxis machen. Dabei wird auch speziell nach Analsex gefragt.
Spezielle Ausschlusskriterien für Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), fallen weg. Außerdem entfällt die Regelung zur Rückstellung von Transmenschen, die Sex mit häufig wechselnden Partnern haben. Zudem gibt es bisherige Altersgrenzen künftig nicht mehr. Auch Über-60-Jährige können damit in Zukunft als Erstspender zugelassen werden.
Zurückgestellt wird, wer »innerhalb der letzten vier Monate ein Sexualverhalten aufgewiesen hat, das ein deutlich erhöhtes Übertragungsrisiko für durch Blut übertragbare schwere Infektionskrankheiten birgt«. Dazu gehört demnach etwa Sex mit insgesamt mehr als zwei Personen und Sex mit einer neuen Person, wenn dabei Analverkehr praktiziert wurde. Ziel der Risikoanalyse ist es, die Übertragung einer Infektion auf den Empfänger einer Blutspende möglichst zu verhindern.
Unabhängig von der Sexualpraxis galt bislang noch als risikoreich, wenn ein Mann innerhalb der letzten vier Monate Sex mit einem neuen Mann hatte. Bei Sexualverkehr zwischen Frau und Mann wurde hingegen für vier Monate nur zurückgestellt, wer »häufig wechselnde Partner/Partnerinnen« hatte.
Im März 2023 beschloss das Parlament, »eine unvertretbare, medizinisch unnötige Diskriminierung« homosexueller Männer bei Blutspenden zu beseitigen, wie es Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nannte.
Das Gesetz trug der Bundesärztekammer eine entsprechende Änderung der Richtlinie auf. Im Transfusionsgesetz wurde dafür festgelegt, dass die sexuelle Orientierung bei der Bewertung des Risikos, das zu einem Ausschluss oder einer Rückstellung von Blutspenden führt, nicht berücksichtigt werden darf. Eine Einschätzung solle aber nach dem »individuellem Sexualverhalten der spendewilligen Person« möglich bleiben.
Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts zeigen epidemiologische Daten, dass Sex unter Männern mit einem besonders hohen Übertragungsrisiko für verschiedene Infektionen einhergeht. Etwa zwei Drittel der jährlichen Neuinfektionen mit HIV fielen auf MSM. Auch bei Syphiliserkrankungen, bei denen der Infektionsweg bekannt sei, wurden dem RKI zufolge 85 Prozent aller Erkrankungen auf Sex unter Männern zurückgeführt (Stand: September 2021). Bis 2017 durften MSM und Transmenschen deswegen sogar gar nicht Blut spenden.
Nach Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung werden täglich 15.000 Blutspenden für Operationen, zur Versorgung von Unfallopfern und für die Behandlung schwerer Krankheiten benötigt. Um eine sichere Versorgung zu garantieren, werden alle Blutspenden im Labor auf spezielle Infektionskrankheiten untersucht, etwa auf HIV, Syphilis und Hepatitis B, C und E.
Transfusionsmediziner Oldenburg zufolge wird die Spende etwa auch auf eine Infektion mit dem West-Nil-Virus überprüft. Allerdings könnten die Tests keine absolute Sicherheit geben, auch wenn sie äußert sensibel seien. Vor allem sehr neue Infektionen können erst nach einer gewissen Zeit im Blut nachgewiesen werden. Daher müssen Spendeninteressierte vor einer Spende einen umfangreichen Fragebogen zu ihrer Gesundheit ausfüllen und ein Arztgespräch führen.
»An der Sicherheit der Blutprodukte ändert sich nichts«, versicherte Oldenburg. Das zeigten auch Erfahrungsberichte aus anderen Ländern, die ihren Fragenkatalog bereits entsprechend angepasst hätten. Auch wenn künftig nicht mehr explizit nach der sexuellen Orientierung gefragt werde, würden mögliche Risiken ebenso gut erfasst. Auch über den Wegfall der Altersgrenze müssten potenzielle Blutspendenempfänger sich keine Sorgen machen. »Die Qualität des Blutes wird durch das Alter nicht beeinträchtigt.« Die bisherige Regelung sei zum Schutz von Spendern eingerichtet worden, weil ältere Menschen zum Teil Kreislaufprobleme oder Bluthochdruck hätten.
Die Deutsche Aidshilfe bezeichnete die Gesetzesänderung der Ampel-Koalition im März als »großen Fortschritt«. Inwieweit Diskriminierung künftig wirklich vermieden werde, könne erst mit der Veröffentlichung der Richtlinie beurteilt werden, sagte Sprecher Holger Wicht auf Anfrage. »Es geht darum, Diskriminierung zu vermeiden und gleichzeitig Sicherheit zu gewährleisten«, sagte Wicht. Der Verein hatte die bisherige Regelung immer wieder als diskriminierend bezeichnet, weil sie schwule Männer zu pauschal und ohne ausreichende Begründung ausschließe.
Die Deutsche Aidshilfe hat die erneuerte Blutspende-Richtlinie als nach wie vor diskriminierend bezeichnet und neue Regeln gefordert. »Zum wiederholten Mal hat die BÄK eine inakzeptable Regelung vorgelegt und die Perspektiven zahlreicher kompetenter Verbände zuvor ignoriert«, teilte der Verband mit. Das Ziel der Ampelkoalition, der Diskriminierung schwuler Männer und Transmenschen ein Ende zu setzen, sei gescheitert, hießt es in der Mitteilung.
Aidshilfe-Vorstandsmitglied Sven Warminsky zufolge schließen die neuen Kriterien die meisten schwulen Männer trotzdem weiterhin aus, ohne dies klar zu benennen. Demnach hält der Verband die Regelung für Analverkehr für falsch – die Sexualpraktik an sich sei kein Risiko. »Diese Annahme ist stigmatisierend«, heißt es in der Mitteilung. Auch die Regelung zur Rückstellung von Menschen, die Sex mit einer HIV-positiven Person hatten, sei nicht richtig. Dem Verband zufolge gibt es unter wirksamer HIV-Therapie beim Sex kein Übertragungsrisiko. Es sei nicht nachvollziehbar, warum Schutzmaßnahmen wie Kondome und HIV-Prophylaxe in der Risikobewertung nicht berücksichtigt würden.
Der Verband forderte neue Regeln, die nicht allein von medizinischen Fachgesellschaften erarbeitet werden dürften. Verbände müssten in den Prozess mit einbezogen werden.