Was auf dem Etikett steht – und was nicht |
Manchmal ganz schön verwirrend: Die Angaben auf dem Etikett von abgepackten Lebensmitteln haben so ihre Tücken. / Foto: Adobe Stock/JackF
Was Lebensmittel betrifft, können wir hierzulande aus dem Vollen schöpfen. Laut Lebensmittelverband Deutschland haben wir die Qual der Wahl zwischen 170.000 verschiedenen Lebensmittelprodukten. Ungefähr zweimal pro Woche gehen wir durchschnittlich einkaufen und benötigen dafür nur 13 Minuten, ermittelte die GfK, das größte deutsche Marktforschungsinstitut.
Der Ernährungsreport 2018 des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) förderte zutage: Bei diesem schnellen Griff kaufen 97 Prozent der Verbraucher, was ihnen schmeckt, gut die Hälfte lässt sich vom Sortiment inspirieren, trifft seine Kaufentscheidung also spontan. Die Zeit, das Etikett zu studieren, nehmen sich neben Kalorienbewussten vorwiegend Menschen mit Unverträglichkeiten oder speziellen Ernährungsformen wie vegan, halal oder koscher.
Untersuchungen bestätigen, dass Verbrauchern die Orientierung auf Verpackungen zunehmend schwerer fällt. Diese präsentieren sich oft als farbenfrohe Designerwerke aus Symbolen, Grafiken und Schriftzügen, die zu entschlüsseln und verstehen mehr Zeit und Geduld als der Einkauf erfordern können.
Die Europäische Lebensmittelinformationsverordnung (LMIV) von 2014 regelt, welche sechs Pflichtangaben auf allen verpackten Lebensmitteln aufgedruckt sein müssen, und zwar allesamt gut sichtbar, gut lesbar, gut verständlich und mit Ausnahme von allgemein bekannten Bezeichnungen wie »Pommes frites« oder »Mousse au Chocolat« in deutscher Sprache. Als gut sichtbar gilt dabei jede Verpackungsseite, weil Verbraucher das Produkt ja drehen und wenden können. Oft verstecken sich daher Pflichtangaben klein und wenig attraktiv, während werbewirksame Aussagen auffallend bunt platziert sind.
Beispielhafte Lebensmittelkennzeichnung auf einer Schokoladen-Tafel. QUID steht für Quantitative Ingredient Declaration, Pflichtangabe für Zutaten, die Teil der Bezeichnung sind oder im Produkt erwartet werden. Im Beispiel ist eine Nuss-Vollmilchschokolade aufgeführt, deshalb müssen etwa die Nüsse mit der genauen Menge in Prozent angegeben werden. Die prozentuale Mengenangabe zu Zucker oder Getreidebestandteilen erfolgt freiwillig. / Foto: PTA-Forum/Pfeifer
Als erste Pflichtangabe muss die Bezeichnung eines Lebensmittels deutlich machen, um welches Lebensmittel es sich handelt. Fantasie-Bezeichnungen wie »Kaminfeuer« für einen Früchtetee sind zusätzlich möglich. So ist Vollkornbrot für den Verbraucher eine gut nachvollziehbare Bezeichnung, während sich hinter Beschreibungen wie »Knuspriges Vollkorngetreideerzeugnis mit 3 % Schokolade« Frühstückscerealien mit reichlich Zucker und wenig Vollkorn verstecken können.
Das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) gibt an, wie lange das original verschlossene Lebensmittel bei richtiger Aufbewahrung seine spezifischen Eigenschaften behält. Es kann durch einen Lagerungshinweis ergänzt werden. Tiefkühlfleisch und -fisch benötigen zusätzlich ein Einfrierdatum. »Mach den Check!« heißt es in der Initiative »Zu gut für die Tonne« des BMEL. Das MHD ist kein Wegwerfdatum, nach Ablauf kann mit einer Augen- und Geruchsprobe beurteilt werden, ob ein Produkt noch genießbar ist. Manche Hersteller werben inzwischen mit dem Zusatzaufdruck »oft länger gut«. »Wirf es weg!« gilt hingegen für leicht verderbliche Lebensmittel wie Hackfleisch. Sie tragen ein Verbrauchsdatum und sollten nach Ablauf aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr verzehrt werden.
Bis auf wenige Ausnahmen, wie etwa Produkte aus nur einer Zutat (Zucker, Olivenöl) oder abgepacktes Obst und Gemüse, benötigen alle vorverpackten Lebensmittel ein Zutatenverzeichnis. Es gibt alle Zutaten in absteigender Menge an, auch Enzyme, Aromen und Zusatzstoffe.
320 Zusatzstoffe sind in der EU zugelassen – bei Bio-Produkten sind es 50 - und müssen in der Zutatenliste mit Klassennamen gefolgt von Bezeichnung oder E-Nummer angegeben werden. Zu finden ist also entweder die Angabe »Farbstoff Chinolingelb« oder »Farbstoff E104«. Chinolingelb steht wie auch alle Azofarbstoffe in Verdacht, Allergien oder Krebs auslösen zu können. Zudem werden sie mit Hyperaktivität bei Kindern in Zusammenhang gebracht. Bisher muss »Kann Aktivität und Aufmerksamkeit bei Kindern beeinträchtigen« aufgedruckt sein.
Bei Zusatz der Süßstoffe Aspartam und seinem Acesulfamsalz ist der Hinweis »enthält eine Phenylalaninquelle« Pflicht. Diese Angabe ist für Menschen mit Phenylketonurie (PKU) unerlässlich, da bei ihnen ein genetischer Defekt vorliegt, der den Abbau der Aminosäure Phenylalanin verhindert und eine lebenslange Phenylalanin-arme Diät erfoderlich macht.
Eine besondere Kennzeichnung erfordern außerdem etwa Süßungsmittel, Coffein und Süßholz. Zusatzstoffe, die über Zutaten in das fertige Lebensmittel gelangt sind, müssen hingegen nicht aufgeführt werden. Das gilt etwa für die Ascorbinsäure, die dem Mehl zugesetzt wurde, im Brot aber keine technologische Wirkung mehr hat.
Aroma, natürliches Aroma, natürliches Himbeeraroma, Himbeeraroma: Derartige Bezeichnungen finden sich ganz am Ende einer Zutatenliste. So mancher hat dann mit dem Lesen aufgehört und genießt ganz ahnungslos den Himbeergeschmack seines Joghurts. Natürliche Aromen stammen jedoch häufig gar nicht aus der Frucht; Quelle kann unter anderem Lignin sein, und auch Schimmelpilz- oder Bakterienkulturen produzieren entsprechende Aromastoffe.
Himbeeraroma ist nicht mehr als eine chemische Verbindung und selbst natürliches Himbeeraroma muss nur zu 95 Prozent aus Himbeeren stammen. Wer bedenkt, dass in einem 200-g-Joghurtbecher mit 6 Prozent Himbeeren gerade mal drei Früchte stecken, dem ist schnell klar, dass färbendes Rote-Bete-Saft-Konzentrat, Aromastoffe und die neun Würfelzuckern entsprechende Zuckermenge für das schöne Rosa und den fruchtig-süßen Geschmack verantwortlich zeichnen.
Zwei Paar Schuhe sind übrigens zuckerfreie Lebensmittel, die immerhin 0,5 g Zucker in 100 g enthalten dürfen, und Lebensmittel ohne Zuckerzusatz. Hier sind zugesetzte Mono- und Disaccharide verboten; das Lebensmittel kann aber einen natürlichen Zuckergehalt haben, der mit »enthält von Natur aus Zucker« deklariert wird.
14 Produktgruppen müssen im Zutatenverzeichnis hervorgehoben werden (siehe Kasten). Sie sind häufig Ursache von Allergien oder Unverträglichkeiten. Zwei weitere Übeltäter hingegen sind oft nicht auf den ersten Blick erkennbar: Paprika und Pfeffer dürfen auch getarnt in einer nicht näher benannten Gewürzmischung enthalten sein.
»Frei von ...« Angaben sind für die Lebensmittelindustrie nicht verpflichtend. Soll ein Lebensmittel jedoch den Hinweis »glutenfrei« oder »laktosefrei« tragen, darf es festgelegte Mengen nicht überschreiten. Die freiwillige Information »kann Spuren von ... enthalten« bringt der Hersteller aus Produkthaftungsgründen an.
Als »Big 7« bezeichnet man die sieben Pflichtangaben der Nährwerttabelle pro 100 g oder 100 ml. Wenige weitere Stoffe wie Ballaststoffe oder mehrfach ungesättigte Fettsäuren können aufgeführt werden. Vitamine und Mineralstoffe müssen angegeben werden, wenn sie auf der Verpackung herausgestellt werden.
Oft irreführend ist die freiwillige Nährwertangabe pro Portion. Erhebungen der Verbraucherzentralen haben gezeigt, dass Hersteller bei vergleichbaren Produkten unterschiedliche und teils sehr kleine Portionsgrößen angeben. Und es ist ja auch so: Wiegen Sie einmal Ihr Frühstücksmüsli oder Ihre Kartoffelchips und vergleichen mit der Portionsangabe auf der Verpackung!
Nährwertangaben, die für zu kleine Portionsgrößen ausgewiesen sind, suggerieren entsprechend zu niedrige Salz-, Fett-, Zuckergehalte oder Brennwerte pro Portion. Als Referenzmenge gilt der tägliche Nährstoffbedarf eines Erwachsenen von 2000 kcal, und zwar auch bei Lebensmitteln, deren Aufmachung sich an jüngere Kinder mit einem wesentlich niedrigeren Energiebedarf richtet. Nur wenige Produkte sind mit einem entsprechenden Hinweis versehen; kindlichem Übergewicht kann also Vorschub geleistet werden.
Die Nettofüllmenge gibt Auskunft über Gewicht, Volumen oder Stückzahl der abgepackten Ware. Das Lebensmittelunternehmen muss namentlich mit Firma und Anschrift auf jeder Verpackung genannt werden, es ist für Produktsicherheit und -qualität verantwortlich.
Unter www.lebensmittelwarnung.de veröffentlicht das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Produktrückrufe. Bakterien in der Wurst, Metallteile im Käse oder Chemikalien im Trockenobst: Der Verbraucher kann etwa anhand des Mindesthaltbarkeitsdatums feststellen, ob er ein betroffenes Produkt gekauft hat.
Eine Herkunftsangabe ist nur für Obst, Gemüse, Olivenöl, Honig, Eier, Fisch sowie für frisches, gekühltes und gefrorenes Fleisch von Rind, Schwein, Ziege, Schaf und Geflügel gesetzlich vorgeschrieben. Für verarbeitete Lebensmittel entfällt diese Verpflichtung gänzlich. Oft stammen, wie inzwischen eine Vielzahl weiterer Lebensmittel, italienische Tomaten aus China. Nach der Ernte werden sie nach Italien verschifft und dort in Konserven mit der grün-weiß-roten Flagge gefüllt. Auch andere Zutaten einer Tiefkühlpizza sind oft weit gereist, bevor sie gemeinsam im Ofen landen: Schinken aus Frankreich, Pilze aus Holland, Mehl aus Polen, Käse aus Deutschland.
Um traditionelle Lebensmittel oder regionale Spezialitäten leicht erkennbar zu machen, werden EU-Gütezeichen aufgedruckt. Finden wie beim Allgäuer Emmentaler Erzeugung, Verarbeitung und Zubereitung in der betreffenden Region statt, so findet sich auf der Packung die geschützte Urspungsbezeichnung (g.U.). Bei der geschützten geographischen Angabe (g.g.A.) muss nur ein Verarbeitungsschritt in der betreffenden Region stattfinden. Ganz legal lassen wir uns also Schwarzwälder Schinken von dänischen Schweinen oder Lübecker Marzipan aus spanischen Mandeln schmecken. Garantiert traditionelle Spezialitäten (g.t.S.) dürfen überall in der EU hergestellt werden. Wie beispielsweise Mozzarella zeichnen sie sich durch eine traditionelle Zusammensetzung und Herstellung aus.
Immer öfter finden sich auf Lebensmitteln gesundheitsbezogene Angaben. Die Health Claims auf diesen auch als functional foods bezeichneten Produkten benötigen eine Zulassung. Bekanntestes Beispiel ist hier wohl Phytosterin-haltige Margarine, die damit werben darf, zur Aufrechterhaltung eines normalen Cholesterinspiegels beizutragen. Diese Margarine fällt außerdem unter die Novel-Food-Verordnung. Dort sind neuartige Lebensmittel beschrieben, die vor 1997 in der EU nicht in nennenswertem Umfang verzehrt wurden; so etwa auch Chiasamen, nachhaltige Insektenburger aus Buffalowürmern oder UV-behandelte Champignons für das Mehr an Vitamin D.
Es ist nicht neu: Die Deutschen essen zu süß, zu fett, zu einseitig, zu kalorienreich. Fast jeder zweite ist übergewichtig. Neu ist, dass die Bundesregierung mit dem Nutri-Score die Nährwertkennzeichnung von Fertigprodukten deshalb einfacher gestalten will. Der Aufdruck einer fünfstufigen Farb- und Buchstabenskala soll den schnellen Vergleich innerhalb einer Lebensmittelkategorie schon im Verkaufsregal ermöglichen.
Für die Einordnung vom grünen A bis zum roten E werden Energiegehalt sowie günstige und ungünstige Zutaten miteinander verrechnet. Dabei bleiben jedoch einige wertgebende Inhaltsstoffe wie Vitamine, Mineralstoffe oder ungesättigte Fettsäuren unberücksichtigt. Auch Zusatzstoffe gehen in die Berechnung nicht ein.
Ein Ergebnis der Verbraucherzentrale Hamburg: Im Produktvergleich erhielt Mineralwasser ein grünes A, Hohes C Milde OrangeTM ein gelbes C und Coca-Cola classicTM ein rotes E. Während letztere beiden bezüglich ihres Zuckeranteils durchaus vergleichbar sind, wirkt sich enthaltenes Obst positiv auf die Einstufung des Orangensaftes aus.
Insgesamt soll Verbrauchern der Griff zur gesünderen Produktvariante erleichtert und Hersteller motiviert werden, ihre Produkte ernährungsphysiologisch zu verbessern. Noch beteiligen sich wenige Unternehmen; gerade auf ungesunden und stark verarbeiteten Lebensmitteln sucht man den Nutri-Score bislang oft vergeblich.