Was bei der Ernährung im Alter zu beachten ist |
Juliane Brüggen |
31.01.2023 16:00 Uhr |
Neben der bedarfsgerechten Ernährung wirken sich auch andere Faktoren wie gemeinsames Essen auf den Ernährungsstatus aus. / Foto: Getty Images/Geber86
»Altern ist im Wesentlichen eine Entzündung«, erklärte Smollich, Leiter der Arbeitsgruppe Pharmakonutrition am Institut für Ernährungsmedizin, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Lübeck. Diese Erkenntnis sei wichtig, weil sich daraus die heutigen Empfehlungen für Ernährung und Supplementation ergeben. »Es geht weniger darum, Abnutzungserscheinungen zu verhindern, sondern eher um das Ziel die Entzündung zu bremsen – ›antientzündliche Ernährung‹ ist das Stichwort.«
Problematisch seien in der westlichen Welt vor allem zwei Punkte: Überernährung und konstante Nahrungszufuhr. Ein Zuviel an Kalorien und Kohlenhydraten führt – ebenso wie Unterernährung – zu einer latenten Entzündung im Körper, was die Alterungsprozesse beschleunigt. Auch die Zeitpunkte des Essens sind relevant: So hemmt eine konstante Energiezufuhr beispielsweise die Autophagie, den »Recycling-Prozess« der Zellen. Smollich: »Wenn Sie mit dem Auto 180 km/h auf der Autobahn fahren, können Sie nebenbei keinen Reifenwechsel oder eine Inspektion machen.« Unser Körper braucht somit die Pausen zwischen dem Essen.
Zentral ist nicht zuletzt, was wir essen. Denn das beeinflusst die Zusammensetzung des Darm-Mikrobioms. Wenn wir uns einseitig ernähren, sterben bestimmte Bakterien ab, weil ihnen das Substrat fehlt. »Heute wissen wir, dass die intestinale Mikrobiota physiologisch ein zentraler Bereich ist und unseren ganzen Körper mit steuert «, betonte der Fachapotheker für Klinische Pharmazie. So gibt es die Darm-Hirn-Achse, die Darm-Leber-Achse und die Darm-Fettgewebe-Achse.
Wie sieht aber ein Speiseplan aus, der gesundes Altern fördert? Der Fokus muss laut Smollich auf der Prävention von Herz-Kreislauf-Krankheiten, Krebs und Demenz liegen. In Kürze bedeutet das: Mehr Gemüse, Obst, Vollkorn, Seefisch und Nüsse essen, weniger rotes Fleisch, gesättigte Fettsäuren, Kochsalz und Alkohol und so wenig wie möglich Transfettsäuren, Zucker und verarbeitetes Fleisch. Auch ein gesundes Körpergewicht ist essenziell, vor allem, wenn es um die Krebsprävention geht. Smollich: »Adipositas ist für sehr viele Krebsarten einer der Hauptrisikofaktoren.« Um einer Demenz vorzubeugen, müssten darüber hinaus Hypertonie, Diabetes und Fettstoffwechselstörungen im mittleren Lebensalter vermieden oder konsequent behandelt werden. Gut zu wissen: Eine Ernährungsumstellung kann selbst im Alter von 50 oder 60 Jahren noch ein Plus an gesunden Lebensjahren bringen.
Ist das Altwerden gelungen, müssen beim Essen bestimmte physiologische Änderungen berücksichtigt werden. Zentral ist der veränderte Energie- und Nährstoffbedarf im Alter. Der Körper benötigt weniger Kohlenhydrate und Fett. Außerdem sinkt der Grundumsatz. Während die Portionen dementsprechend kleiner werden, bleibt der Bedarf an Mikronährstoffen jedoch überwiegend gleich. »Die Konsequenz ist, dass die Mikronährstoffdichte ansteigen muss«, erklärte Smollich, was jedoch oftmals nicht erreicht werde. Erschwerend kommt hinzu, dass im Alter die intestinale Absorption reduziert ist und die Magensäureproduktion sinkt. »Das bedeutet, dass der Aufschluss von Mikronährstoffen aus der Nahrung schlechter wird.« Weitere Risikofaktoren für eine Mangelernährung sind nachlassende Sensorik, Zahn- und Kauprobleme, Demenz, eingeschränkte Mobilität, nachlassendes Hunger- und Sättigungsgefühl (»Altersanorexie«) sowie unerwünschte Arzneimittelwirkungen wie Mundtrockenheit oder Appetitlosigkeit.
Essenziell ist laut Smollich, den Verlust an Muskelmasse (Sarkopenie) im Blick zu behalten. Denn durch diesen gehe die Funktionalität im Alltag verloren, was in einen »Teufelskreis der Gebrechlichkeit« führen könne. Schon einige Tage im Liegen haben drastische Auswirkungen: »Wir haben bei über 65-Jährigen, wenn sie fünf Tage im Bett liegen, einen Verlust von 20 Prozent der Beinmuskulatur.«
Zur Entstehung der Sarkopenie trägt ganz wesentlich ein Proteinmangel bei. Die Zufuhrempfehlung lautet 1,0 bis 1,2 g Protein/kg Körpergewicht (KG) pro Tag inklusive 2,5 g Leucin pro Mahlzeit. »Gerade verzweigte Aminosäuren sind wichtig, da sie muskelanabol wirken.« Bei Krankheit oder bestehender Mangelernährung sollten es 1,2 bis 2,0 g Protein/kg KG pro Tag sein, was oft nur mit Supplementation erreichbar ist. Wichtig ist Smollich zufolge, diese mit Krafttraining zu verbinden: »Wir brauchen den physiologischen Stimulus, damit eine proteinreiche Ernährung wirken kann.«
Zu den im Alter kritischen Mikronährstoffen zählen unter anderem Calcium und Vitamin D sowie Vitamin B12. Bei letzterem besteht häufig ein Defizit: etwa 30 Prozent der älteren Menschen haben einen Mangel. »Gerade Protonenpumpeninhibitoren und Metformin reduzieren die B12-Aufnahme«, warnte Smollich. Bei Symptomen wie Polyneuropathie, Frailty-Syndrom oder depressiver Pseudodemenz müsse daran gedacht werden. »Die Mangelsymptome werden ganz oft als alterstypisch bagatellisiert.«
Calcium und Vitamin D sollten Senioren außerhalb von Gemeinschaftseinrichtungen nicht unspezifisch einnehmen, sondern nur bei Risikofaktoren wie Osteoporose, knochendichtereduzierender Medikation oder einem Mangel. Zwei Fallstricke gibt es zu beachten: Vitamin D sollte bei einer täglichen Calciumaufnahme unter 1000 mg nicht isoliert eingenommen werden und eine Calciumzufuhr von über 2400 mg pro Tag erhöht das kardiovaskuläre Risiko. Das erreiche man schnell mit mineralhaltigem Wasser und Tabletten, so Smollich.
Bei Menschen über 65 Jahren die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) zur Nährstoffzufuhr heranzuziehen, ist Smollich zufolge nicht immer eine gute Idee. Denn die Referenzwerte gelten nicht für Kranke, Rekonvaleszente und Menschen, die regelmäßig Medikamente einnehmen, entleerte Nährstoffspeicher haben oder regelmäßig Alkohol trinken. Bei diesen Personen sollten stattdessen die medizinischen Leitlinien zurate gezogen werden.
Liegt eine Mangelernährung vor, sollte nicht sofort der Griff zur hochkalorischen Trinknahrung folgen. »Die Maßnahmen haben einen bestimmten Ablauf«, betonte Smollich. An erster Stelle stehe immer, die Ernährungshemmnisse zu identifizieren und zu beheben. Das können Zahnprobleme, belastende Symptome wie Schmerzen oder Übelkeit, aber auch unerwünschte Arzneimittelwirkungen sein. Restriktive Diäten oder »zu gesundes« Essen können im Alter ebenfalls zu Defiziten führen. Erst nach weiteren Maßnahmen wie einer angenehmeren Gestaltung der Essumgebung, adäquaten Pflegemaßnahmen, Anpassungen und Anreicherungen der Mahlzeiten sowie Zubereitung und Lieferung sollten Trinknahrung und als letzte Optionen Sondenernährung oder parenterale Ernährung zum Einsatz kommen.
Zu beachten sei, dass es nicht nur um harte Fakten geht: »Essen ist mehr als Nährstoffe in den Körper zu bringen. Nahrung ist Genuss und Lebensqualität.« So verbessern auch gemeinsames Essen (»family style meal«), farbige Teller und eine schöne Präsentation des Essens den Ernährungsstatus.