Was Berührungslosigkeit mit uns macht |
Vor allem die Berührungen zwischen Enkelkindern und ihren Großeltern fallen während der Pandemie weg. / Foto: Adobe Stock/RyanJLane
Wie wichtig Berührungen für uns Menschen sind, legen schon die grausam anmutenden Experimente des amerikanischen Psychologen Harry Harlow nahe, die dieser in den 1950er-Jahren mit kleinen Rhesusäffchen gemacht hatte. Für die Babyäffchen hatte der Forscher ein Drahtgestell mit Milchflasche gebastelt sowie eine »Stoffmutter«, mit Frotteestoff umkleidet und flauschigen Polstern.
Wenig überraschend: Die Äffchen klammerten sich an die »Stoffmutter«, lebten gleichsam auf ihr – und waren gesünder als die Affenbabys mit Drahtmutter. »Das zeigt, wir brauchen das, wir sind nicht so anders als Äffchen und Ratten«, sagt Jürgen Margraf, Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Ruhr-Universität Bochum.
Jemanden zu berühren ist Teil der menschlichen Kommunikation von Gefühlen. »Es gibt emotionspsychologische Experimente, die gezeigt haben, dass Menschen Gefühle wie Liebe, Dankbarkeit, Sympathie, Ärger, Angst, Ekel erkennen können – nur anhand der Berührung durch eine andere Person«, sagt der Entwicklungspsychologe Simon Forstmeier von der Universität Siegen. Das Bedürfnis nach tröstenden oder zärtlichen Berührungen bleibe bis ins hohe Alter bestehen. Und es gebe sogar Forschung, die zeige, dass Berührungen mit dem Altern als immer angenehmer wahrgenommen werden.
Werden wir also krank, wenn Berührungen über längere Zeit ausbleiben? Klar sei: Mittels Berührungen entwickelten Menschen Vertrauen, fühlten sich wohler, erklärt Margraf. »Aber man darf es nicht verabsolutieren.« Denn Menschen könnten in die Zukunft sehen und erkennen: es kommen auch wieder andere Zeiten. Wer dies wisse, könne die berührungslose Zeit durchstehen – für viele Monate, schätzt er. Es hänge davon ab, ob wir den Stress als kontrollierbar empfinden.
»Wenn man isoliert und weggesperrt wird, ohne den Grund zu wissen, dann würde das Folgen haben, aber wir wissen, warum, und machen das freiwillig«, erklärt der Psychologe. »Dann ist es bei weitem nicht so schlimm.« Dazu komme: Gemeinsame Herausforderungen und Extremsituationen zu bestehen, steigere das Selbstwertgefühl: »Das muss auf die andere Seite der Waagschale. Wenn wir einschneidende Erfahrungen machen, kommt es ganz stark darauf an, wie wir das weiter verarbeiten – und welche Geschichte wir erzählen.«
Immerhin hätten Kinder und Jugendliche in der Krise auf Berührungen in der Familie nicht verzichten müssen, auch ältere Paare nicht, sagt Forstmeier. »Was leider wegfällt, sind die Berührungen zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern, die vielleicht den Einkauf vor die Tür stellen, aber die Eltern nicht in den Arm nehmen können. Und die Berührungen zwischen den Enkelkindern und ihren geliebten Großeltern.« Wenn Berührung eine Form sei, Zuneigung zu zeigen, gebe es das Risiko, dass dieses Bedürfnis nicht gestillt werde. Dabei habe sich gezeigt, dass Berührung den Stresslevel senke – dank des Hormons Oxytocin, das etwa bei Berührung im Gehirn ausgeschüttet werde.
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.