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Heilung nicht in Sicht

Was die Demenztherapie so schwierig macht

Das Krankheitsbild der Demenz ist komplex und trotz intensiver Forschungsaktivitäten nicht vollständig verstanden. Besonders herausfordernd für Wissenschaftler: Die Krankheit beginnt meist stumm und entwickelt sich über Jahre und Jahrzehnte symptomlos. Wird sie schließlich erkannt, ist nur noch eine Behandlung der Symptome möglich, aber nicht der Auslöser.
Carina Steyer
09.03.2023  08:00 Uhr

In Deutschland leben nach aktuellen Schätzungen des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE) etwa 1,8 Millionen Menschen mit einer Demenz. Weltweit gehen Experten von etwa 55 Millionen Betroffene aus. Dass es dabei nicht bleiben wird, zeigt eine Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Demnach gilt es als wahrscheinlich, dass bereits 2030 weltweit rund 40 Prozent mehr Menschen betroffen sein werden als heute. Verantwortlich dafür ist in erster Linie die steigende Lebenserwartung der Menschen in vielen Teilen der Welt. Denn obwohl der Begriff Demenz für eine ganze Gruppe an Erkrankungen steht, gilt sie doch als klassische Alterserkrankung. Die Mehrheit der Betroffenen wird nach dem 65. Lebensjahr diagnostiziert. Ab dem 85. Lebensjahr liegt das Erkrankungsrisiko bei etwa 40 Prozent.

Die meisten Betroffenen leiden an der Alzheimer-Krankheit. Sie ist mit einem Anteil von etwa 60 bis 65 Prozent die häufigste Demenzform. Anschließend folgen gefäßbedingte Demenzen, die etwa 20 bis 30 Prozent ausmachen. Auch eine Kombination der beiden Erkrankungsformen ist möglich und liegt bei etwa 15 Prozent der Betroffenen vor. Darüber hinaus gibt es verschiedene weitere Demenzformen, die jedoch wesentlich seltener sind.

Linderung statt Heilung

Allen Demenzformen gemeinsam ist das überdurchschnittliche Nachlassen der geistigen Leistungsfähigkeit, das sich bis zum Verlust jeglicher Alltagskompetenz steigert und ein selbstständiges Leben unmöglich macht. Stoppen oder gar umkehren lässt sich dieser Prozess mit den heutigen therapeutischen Möglichkeiten nicht. Eine Ausnahme bilden lediglich sekundäre Demenzen. Hier ist die Demenzsymptomatik die Folge einer anderen Grunderkrankung und verbessert sich, wenn diese behandelt wird. Im Vergleich zur irreversiblen primären Demenz sind sekundäre Demenzen mit 10 Prozent jedoch eher selten.

Bei Patienten mit einer primären Demenz besteht das Behandlungsziel derzeit darin, die Lebensqualität der Betroffenen und ihrer Angehörigen zu verbessern. Dafür kommen Kunst- und Musik-, Ergo- und Psychotherapien infrage, die helfen, die verbliebenen Fähigkeiten zu trainieren, das Selbstwertgefühl zu stärken und die Diagnose zu verarbeiten. Auch eine medikamentöse Behandlung ist möglich. Zugelassen sind die Acetylcholinesterase-Hemmer Donepezil, Galantamin und Rivastigmin sowie Memantin. Erstere wirken auf die durch Acetylcholin vermittelte Signalübertragung zwischen Nervenzellen ein, Memantin soll die Informationsübertragung zwischen Nervenzellen, die durch Glutamat erfolgt, verbessern. Bei einem Teil der Betroffenen kann durch die Einnahme eine Verbesserung der kognitiven Funktionen und der Verrichtung von Alltagsaktivitäten erreicht werden, mitunter ist auch eine Verzögerung der Symptomatik möglich, allerdings nur um maximal zwei Jahre.

Lange Suche

Weltweit arbeiten Forscher seit Jahrzehnten an neuen Therapieansätzen, doch die Suche nach einem wirksamen Medikament gegen Demenzen und insbesondere der Alzheimer-Krankheit gestaltet sich äußerst schwierig. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Alzheimererkrankung bis heute nicht in allen Einzelheiten verstanden ist. Eine große Herausforderung für die Wissenschaftler ist der symptomfreie Beginn der Erkrankung und ihr langer Verlauf. Treten erste Symptome von Alzheimer auf, sind bereits Jahre bis Jahrzehnte seit Beginn der Erkrankung vergangen, in denen unterschiedliche Krankheitsmechanismen ineinander gegriffen haben. Nun noch einen Auslöser oder die Ursache der Erkrankung zweifelsfrei identifizieren zu können, ist schwer. So wird zum Beispiel angenommen, dass die für die Alzheimer-Krankheit charakteristischen Eiweißablagerungen aus Beta-Amyloid im Gehirn der Patienten für die Zerstörung der Nervenzellen verantwortlich sind, eindeutig bewiesen ist das bisher aber nicht. Es wäre theoretisch auch möglich, dass Beta-Amyloid-Plaques die Folge eines anderen, noch unbekannten Prozesses sind, der die Krankheit auslöst.

Bei der Entwicklung geeigneter Medikamente konzentrieren sich viele Forscher dennoch darauf, die Eiweißablagerungen aufzulösen oder gar nicht erst entstehen zu lassen. Erstmals geglückt ist das mit dem Antikörper Aducanumab, der im Sommer 2021 in den USA unter dem Medikamentennamen Aduhelm eine Zulassung zur Behandlung des Morbus Alzheimer erhalten hat. Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) hat den Antrag auf Zulassung Ende 2021 abgelehnt. Die Risiken des Wirkstoffes seien laut EMA größer als der Nutzen. Denn in Studien konnte zwar belegt werden, dass Aducanumab die Eiweißablagerungen entfernt, eine Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten der Patienten konnte jedoch nicht nachgewiesen werden. Gleichzeitig kann das Medikament schwere Nebenwirkungen haben, die vor allem bei höherer Dosierung verstärkt auftreten. So entwickelten rund 35 Prozent der Probanden mit der höchsten Dosierung eine leichte Gehirnschwellung.

Hoffen auf Verzögerung

Ein ähnliches Prinzip wie Aducanumab verfolgt der Antikörper Lecanemab. Er hat Ende 2022 für große Aufmerksamkeit gesorgt, da in einer Phase-3-Studie gezeigt werden konnte, dass Lecanemab nicht nur die Beta-Amyloid-Ablagerungen im Gehirn der Studienteilnehmer abbaut, sondern auch den Krankheitsverlauf verzögern kann. Gleichzeitig fielen die Nebenwirkungen im Vergleich zu anderen Wirkstoffen mit gleichem Ansatz geringer aus. So konnten Hirnschwellungen nur bei 17 Prozent der Studienteilnehmer beobachtet werden und verliefen in den meisten Fällen symptomlos. Engmaschige Kontrollen sind dennoch notwendig, um Komplikationen wie Hirnblutungen frühzeitig zu erkennen. Im Rahmen der Studie verstarben drei Menschen. Die entwickelnden Pharmaunternehmen (Eisai und Biogen) weisen in einer Stellungnahme darauf hin, dass diese Todesfälle nicht auf die Einnahme von Lecanemab zurückzuführen seien, sondern in zwei Fällen mit der Einnahme von Blutverdünnern assoziiert wären.

Fraglich ist derzeit noch, ob der Effekt, den Lecanemab erzielt, für Betroffene im Alltag spürbar ist. Hoffnung weckt, dass sich der krankheitsverzögernde Effekt mit zunehmender Dauer der Wirkstoffeinnahme verstärkt hat. Ob dies auch nach der untersuchten Einnahmezeit von 18 Monaten der Fall ist, soll nun weiter beobachtet werden. In den USA wurde dennoch bereits Anfang dieses Jahres eine vorläufige Marktzulassung durch die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA erteilt.

Ein Antrag auf Zulassung bei der FDA soll dieses Jahr auch für den Antikörper Donanemab gestellt werden. Er soll eine veränderte Form der Beta-Amyloid-Proteine, das sogenannte N3-Pyroglutamat (N3pG), binden und verringern. N3pG gilt als wesentlicher Faktor für die schädlichen Proteinverklumpungen im Gehirn.

Kombinationen notwendig

Auch wenn die derzeitigen Entwicklungen in der Demenzforschung Hoffnung wecken, darf eines nicht vergessen werden: Keines der untersuchten Medikamente kann die Erkrankung heilen. Demenzforscher gehen sogar inzwischen davon aus, dass es niemals das eine Heilmittel gegen Alzheimer geben wird. »Wir werden die Alzheimer-Krankheit vermutlich nicht mit einem Wirkstoff heilen können, sondern es werden Kombinationstherapien gebraucht, die individuell an unterschiedlichen Krankheitsmechanismen ansetzen«, sagt etwa Dr. Linda Thienpont, Leiterin Wissenschaft bei der Alzheimer Forschung Initiative in einer Stellungnahme zu den Ergebnissen der Phase-3-Studie des Alzheimer-Wirkstoffs Lecanemab. Wichtig sei es deshalb auch, andere Forschungsansätze zu verfolgen, die sich mit weiteren charakteristischen Merkmalen der Erkrankung wie Ablagerungen des Tauproteins oder entzündlichen Prozessen beschäftigen.

Entscheidend für die Behandlung von Demenzen könnte zudem das Timing sein. Aktuell hinkt die Medizin der Demenz hinterher. Werden die ersten Krankheitssymptome bemerkt, ist das Gehirn bereits irreparabel geschädigt. Krankhafte Veränderungen im Gehirn treten bei Alzheimer allerdings schon mehr als 20 Jahre vor den Symptomen auf. Würden diese rechtzeitig erkannt und behandelt, könnte der Effekt größer ausfallen, hoffen Wissenschaftler. Sie arbeiten deshalb an neuen und einfach anwendbaren Methoden zur Früherkennung. Ein Beispiel dafür ist ein Bluttest, der von Wissenschaftlern der Universität Bochum gemeinsam mit niederländischen Kollegen entwickelt wurde. Er bestimmt die Fehlfaltung des Beta-Amyloid, die bei Alzheimer-Betroffenen bereits zehn Jahre vor der eigentlichen Plaquebildung messbar ist. Die Genauigkeit des Frühtests soll derzeit bei 90 Prozent liegen.

Auch der Prävention könnte eine wichtige Rolle zukommen. So geht die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in ihrer Leitlinie zur Demenzprävention davon aus, dass 30 Prozent der Demenzfälle durch einen gesunden Lebensstil vermieden werden könnten. Als bewiesen gilt, dass körperliche Bewegung, ausgewogene Ernährung, geistige Aktivität und soziale Teilhabe das Krankheitsrisiko reduzieren, während Übergewicht, Bluthochdruck, Rauchen, übermäßiger Alkoholkonsum, Diabetes, Depressionen und eine unbehandelte Hörminderung das Erkrankungsrisiko erhöhen. Von Bedeutung könnte zudem die frühzeitige Umsetzung von Präventionsmaßnahmen sein. Da der Krankheitsprozess 15 bis 30 Jahre vor dem Auftreten der Symptome startet, sollte bereits im mittleren Lebensalter mit der Umsetzung begonnen werden.

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