Was Frauen über Alkoholabhängigkeit wissen sollten |
»Wine Moms« stellen das Trinken in den sozialen Netzwerken mitunter als Akt der Selbstfürsorge dar. Das könne passieren, so Mediziner Kiefer. Also ein Glas Wein zu trinken – vielleicht mit anderen Müttern und dabei zu denken: »Ich muss immer Höchstleistungen erbringen und für die Kinder da sein. Aber ich bin auch ein Mensch und brauche Zeit für mich.« So beginne der sogenannte »funktionale Gebrauch«.
Kiefer berichtet, dass Alkohol auch eine Art Selbstmedikation ist, etwa bei Angsterkrankungen oder Depressionen – und »manchmal kommen solche Befindlichkeitsstörungen oder psychischen Erkrankungen auch in einer bestimmten Lebensphase auf«. Ein weiterer wichtiger Faktor: Alkohol ist vergleichsweise billig und praktisch überall verfügbar.
Nicht unbedingt daran, wie viel man trinkt. »Wenn man den Schweregrad einer Alkoholabhängigkeit messen will, dann orientiert sich das kaum an den berichteten Trinkmengen«, erklärt Kiefer. »Das wichtigste Kriterium sind die negativen Konsequenzen, die man bereit ist in Kauf zu nehmen.« Wenn es schwerfällt, auf Alkohol zu verzichten – »wenn man merkt, es gibt Dinge, die besser laufen würden, wenn ich nicht trinke, aber man trinkt trotzdem. Dann hat man auch schon ein Alkoholproblem«, sagt der Mediziner.
Mia Gatow erzählt: »Ich hatte mir zehn Jahre eingeredet, dass ich weniger trinken muss.« Sie dachte, sie müsse »normal« – also wie andere Leute trinken. »So wie die Alkoholindustrie das ja auch immer verkauft, dass das ja alle Leute könnten.« Und wer das nicht kann, habe eine Art persönlicher Schwäche. »Obwohl das natürlich überhaupt nicht stimmt.«
Tatsächlich kann das sogar symptomatisch für eine Alkoholerkrankung sein: »Wenn Sie feststellen, dass Sie Ihren Alkoholkonsum bewusst zu kontrollieren versuchen, weil Sie befürchten, zu viel zu trinken, kann dies ein Zeichen für ein problematisches Trinkverhalten sein«, schreibt die Stiftung Gesundheitswissen.
Dies könne in schädlichen Konsum übergehen: »Normalerweise richten wir unser Verhalten an positiven und negativen Konsequenzen aus«, so Kiefer. Wer etwa joggen geht, habe gelernt, dass es ihm damit besser geht. »Wenn Sie sich aber den Knöchel verstaucht haben, werden Sie eine Pause einlegen und nicht damit laufen gehen. Im übertragenen Sinne tun Menschen mit problematischem Alkoholkonsum aber genau das, und zwar in ganz kleinen Schritten.«
Also man trinkt, obwohl es unangenehme Folgen haben dürfte. Kiefer nennt ein Beispiel: »Wenn Sie etwa sagen, eigentlich habe ich morgen was zu tun, aber heute ist so eine nette Feier, da trinke ich jetzt zwei Gläser Wein mehr. Wenn ich dann morgen nicht 100 Prozent performe, sondern 90 Prozent, ist das auch okay.« Das deute dem Suchtmediziner zufolge auf ein Alkoholproblem hin – ein vergleichsweise kleineres.