Was hilft in den Ruhemodus? |
Isabel Weinert |
05.08.2025 08:00 Uhr |
Stimulation des Vagusnervs mit kaltem Wasser zeigt einen positiven Effekt. / © Adobe Stock/Lars Zahner
Das autonome oder auch vegetative Nervensystem steuert alle Prozesse im Körper, die der Mensch nicht willentlich regelt. Dazu gehören etwa Verdauung, Atmung, Herzschlag, Schweißbildung, Kältezittern und unendlich viele weitere Prozesse, die den Menschen leben lassen. Es besteht aus drei Teilen: dem sympathischen, dem parasympathischen und dem enterischen System. Letzteres wird von Sympathikus und Parasympathikus mit beeinflusst. Während der Sympathikus aus vielen verschiedenen Nerven besteht, hat der Parasympathikus mit dem Vagusnerv zwar nicht den einizigen, aber einen entscheidenden Hauptnerv.
Der Vagusnerv entspringt dem Hirnstamm und verläuft dann, sich immer feiner verzweigend, zu den Organen wie zum Beispiel Herz, Lunge, Magen, Leber, Milz, Nieren, Gallenblase, Bauchspeicheldrüse, Dünndarm und Dickdarm. Er ist der längste Hirnnerv und wird auch als der zehnte Hirnnerv bezeichnet. Vor allen Dingen – zu 80 Prozent – sendet er Informationen von den Organen zum Gehirn. So zum Beispiel die Information über Magenleere, Energiebedarf und einiges mehr, aus denen das Gehirn dann in Summe das für den Menschen spürbare Signal »Hunger« macht. Der Vagusnerv steuert auch die sogenannte Herzfrequenzvariabilität (HRV = Heart Rate Vaiability).
Die HRV zeigt an, wie flexibel das Herz auf unterschiedliche Belastungen reagiert und wie schnell es wieder in seinen Ruherhythmus zurückfindet. Platt gesagt ist ein Mensch umso gesünder je höher seine HRV ist, je besser sich der Herzschlag also an die jeweiligen Anforderungen anpassen kann. Dann ist auch das Nervensystem anpassungsfähig, das unter anderem das Herz innerviert und der Körper besitzt eine gute Fähigkeit, sich selbst zu regulieren. Der Vagusnerv ist daran maßgeblich beteiligt. Er verlangsamt die Herzfrequenz und steigert die HRV.
Der Vagusnerv beschäftigt derzeit wissenschaftliche Laien und Forschende – allerdings mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Für Laien liegt das Hauptaufgenmerk darauf, mithilfe der Aktivierung des Vagusnervs Stress zu mindern, mehr innere Ruhe zu finden und das Wohlbefinden zu steigern. Anwender entsprechender Geräte und Methoden erhoffen sich auch einen Einfluss auf das eigene Immunsystem und viele andere Körperfunktionen.
Im medizinischen Bereich ist eine Stimulation des Vagusnervs (Vagusnervstimulation = VNS) bereits länger bei zwei Erkrankungen etabliert: bei Epilepsie und bei therapieresistenten Depressionen. Den Betroffenen, bei denen die Therapie nach strengen Gesichtspunkten als Option gewählt werden kann, wird in einer zwei- bis dreistündigen Operation ein kleiner Generator im Brustbereich unter die Haut implantiert. Dessen elektrische Impulse stimulieren den Vagusnerv. Bei einer Epilepsie beeinflusst das die Aktivität von Nervenzellen derart, dass die Anfallshäufigkeit abnehmen kann. Bei Depressionen sollen die Impulse die Ausschüttung von Neurotransmittern im Gehirn so verändern, dass depressive Symptome nachlassen.
In der Forschung stehen Wissenschaftler eher noch am Anfang, was die Beeinflussung des Vagusnervs zu medizinischen Zwecken betrifft. Besserung von Long Covid, chronischen Schmerzen, Genesung von Entzündungen und Verletzungen, mehr Motivation, ausgewogene Hunger-Sättigungs-Balance sind einige der Themen, mit denen sich Forschende im Zusammenhang mit einer gezielten Beeinflussung des Vagusnervs beschäftigen.
In wissenschaftlichen Untersuchungen erfolgt eine Stimulation des Vagusnervs über Elektroden, die am Ohr angebracht werden, weil hier an einer Stelle der Vagusnerv direkt unter der Haut verläuft. Die entsprechenden Geräte geben elektrische Impulse an den Vagusnerv ab, was fachsprachlich auch als transkutane Vagusnervenstimulation (tVNS) bezeichnet wird. Der einzige andere Ort, an dem der Vagusnerv direkt unter der Haut verläuft, ist der Hals. Hier verläuft er beiderseits seitlich der Halsschlagader.
Laut Experten lässt sich der Vagusnerv auch durch bestimmte Atemtechniken stimulieren. Dazu zählt die sogenannte Boxenatmung. Der Mensch atmet auf vier zählend ein, hält auf vier zählend die Luft an, atmet auf vier zählend aus, hält auf vier zählend die Luft an und atmet wiederum auf vier zählend ein. Diesen Kreislauf wiederholt man einige Male. Regelmäßig ausgeübt, kann die Boxenatmung dazu beitragen, das Nervensystem zu beruhigen und zum Beispiel auch akute Ängste zu lindern. Sinnvoll ist es auch, täglich Reize mit kaltem Wasser zu setzen, also etwa kaltes Wasser über die Unterarme laufen zu lassen, um den Vagusnerv zu stimulieren. Ausgesprochen positiv reagiert der Vagusnerv erwiesenermaßen auch auf regelmäßigen moderaten Ausdauersport.
Von im Internet feilgebotenen Nervusstimulationsgeräten raten Wissenschaftler ab. Es ist nicht ganz einfach, den richtigen Ort für die Stimulation zu finden, zudem die passende Impulsstärke und -frequenz zu setzen. Einfach mal so ein wenig am Ohr herumstimulieren, das ist eher nicht von Erfolg gekrönt, das Geld für solche Geräte könne man sich sparen. Auch ob Summen oder Klopfen auf den Brustkorb und vielerlei weitere genannte Techniken den Vagusnerv irgendwie und am besten noch positiv beeinflussen, ist völlig unklar. Bei diesen manuell-harmlosen Methoden können Menschen aber ausprobieren, ob sie sich damit irgendwie besser fühlen. Ob das dann aber mit dem Vagusnerv zusammenhängt, weiß allerdings bis dato niemand.