Was hilft, wenn Babys zahnen? |
Auf etwas herumzukauen, mindert die Schmerzen und erleichtert Babys so das Zahnen. / Foto: Getty Images/ Science Photo Library - RUTH JENKINSON
»Der erste Zahn kommt etwa ab dem sechsten Lebensmonat. Aber es gibt eine sehr große Bandbreite«, erklärt Zahnarzt Professor Dr. Ulrich Schiffner im Gespräch mit PTA-Forum. Denn während bei einigen Säuglingen schon mit vier Monaten der erste Zahn durchblitzt, bekommt jedes 20. Kind erst mit zwölf Monaten den ersten Zahn. Beide Fälle sind vollkommen in Ordnung und bewegen sich innerhalb der Norm.
Auch die Zahnungs-Symptome variieren von Kind zu Kind. Einige Babys sind nur etwas quengelig oder sabbern mehr als üblich. Ihre Eltern entdecken nach einigen Tagen überrascht, dass fast unbemerkt ein neuer Zahn da ist. »Andere kriegen es knüppelhart«, weiß Schiffner nach jahrzehntelanger Arbeit mit Spezialisierung auf Kinderzähne. »Sie fühlen sich unpässlich und das kann bis zur Appetitlosigkeit führen. Auch Schmerzen sind möglich.« Ob Holzstäbe vom Kinderbett, Kuscheltier oder Decke – geplagte Kinder wollen Druck auf die Stelle ausüben und kauen auf allem herum, was sie in die Finger bekommen. Typischerweise bereitet der allererste Zahn ebenso wie der erste Backenzahn die größten Probleme. Viele Eltern staunen nicht schlecht, wie so ein dicker Zahn in den zarten, kleinen Mund passen kann.
»Nach Lehrbuch sollte die Zahnung übrigens ohne Bluten erfolgen. Denn theoretisch müssen die Zähne nur ein Epithel durchstoßen und das hat keine Blutgefäße«, erklärt Schiffner. In diesem Fall stimmt die Theorie mit der Praxis aber nur wenig überein. »Das Kind spürt einen Reiz, manipuliert unentwegt am Zahnfleisch und dann blutet es natürlich auch.«
Typisch sei bei starker Speichelproduktion auch eine entzündete, gerötete Haut rund um den Mund. Am besten schützen Eltern die empfindliche Haut rechtzeitig mit einer fetthaltigen Creme. Denn wenn das Baby häufig weint und unentwegt Speichel aus dem offenen Mund rinnt, reizt das die Haut und ein Teufelskreis entsteht. Trocken halten und eine wundheilungsfördernde Creme wie Tannosynt® oder Mirfulan® verschaffen meist rasch Linderung. Will der Hautausschlag nicht besser werden, ist der Kinderarzt der richtige Ansprechpartner.
»Fieber durch Zahnen? Das ist wissenschaftlich nicht belegt«, so Schiffner. »Dennoch sind Arzt und Apotheker schlecht damit beraten, Eltern diese Beschwerden in Abrede zu stellen. Schließlich hatte das Kind ja Fieber.« Nichtsdestotrotz ist der aktuelle Stand der Wissenschaft der, dass Zahnen alleine allenfalls erhöhte Temperatur auslöst und Fieber eine andere Ursache haben muss, wie etwa einen gleichzeitig verlaufenden Infekt. »Durch die Temperaturerhöhung werden alle Stoffwechselprozesse angeheizt. Das beschleunigt somit auch das Zahnen«, erklärt Schiffner. Eine Ursächlichkeit läge allerdings nicht vor.
Wenn das Kind unter Fieber und starken Beschwerden leidet, können Eltern je nach Allgemeinbefinden des Kindes eine Fieber- und Schmerzlinderung mit Ibuprofen oder Paracetamol erwägen. Das Zahnen selbst dauert in der Regel ein bis zwei Wochen. Es liegt auf der Hand, dass Analgetika nicht unkritisch über einen so langen Zeitraum gegeben werden dürfen, sondern allenfalls für einzelne Tage infrage kommen, wenn der Säugling wirklich geplagt scheint. Ob es dann aber am Zahnen liegt, ist wiederum eine andere Frage.
Grundsätzlich helfen Hausmittel meist sehr gut. Leichtes Massieren oder kühle Eisbeißringe sind beispielsweise eine gute Wahl. Letztere dürfen keinesfalls in das Eisfach gelegt werden, auch wenn der Name etwas anderes suggeriert. Andernfalls drohen Erfrierungen und Reaktionen an der Schleimhaut. Auch kühle Gurke, ein kalter nasser Waschlappen oder genoppte Beißringe werden oft dankend angenommen. Eine Veilchenwurzel zum Kauen ist ebenfalls ein Klassiker. Aus hygienischen Gründen sollte sie nach Gebrauch getrocknet werden und immer wieder in kochendes Wasser getaucht werden. Eine Bernsteinkette hilft dagegen eher nicht gegen Zahnungsbeschwerden. Der Bundesverband der Kinderzahnärzte warnt sogar explizit davor, Babys und Kleinkindern diese umzulegen. Zu groß sei die Gefahr, dass Babys mit der Kette hängen bleiben oder – falls sie reißt – Teile davon verschlucken oder in die Nase stecken.
Auf dem Markt gibt es auch einige Arzneimittel und Kosmetika, die infrage kommen. Einige pflanzliche Zahnungsgele wirken kühlend, beruhigend und pflegen das gereizte Zahnfleisch (wie Osa® Pflanzen-Zahngel mit Kamille, Nelke, Salbei, Pfefferminze und Propolis, DHU Dentilin® Zahnungsgel mit Malvenextrakt und Provitamin B5). Andere Eltern schwören auf homöopathische Komplexmittel wie die zuckerfreien Osanit® Globuli oder Viburcol®-Zäpfchen. »Sie sind vielleicht eine Alternative für die Nerven der Eltern«, meint Schiffner. »Ein Wirkmechanismus fehlt. Wir empfehlen es daher nicht aktiv, aber wer damit zurechtkommt, dem reden wir es nicht aus.« Denn tatsächlich sei die einzige pharmakologische Alternative ein heikles Thema: Lokalanästhetika wie Lidocain etwa in Dentinox®, Dynexan® und Infectogingi®. »Unser Problem als Zahnärzte ist, dass Lidocain eine gewisse Allergisierungsquote hat. Das macht es uns schwer mit einer aktiven Empfehlung.«
Zahlen zur Häufigkeit einer Lokalanästhetika-Allergie schwanken in der Literatur stark. Es werden Typ-I- und Typ-IV-Reaktionen beschrieben. Zur Erinnerung: Typ-I-Reaktionen beruhen auf einer IgE-vermittelten Sofortreaktion, Beschwerden wie Urtikaria oder Bronchospasmus treten unmittelbar auf. Im Gegensatz dazu äußert sich eine T-Zell-vermittelte Typ-IV-Spätreaktion erst nach 24 bis 72 Stunden, beispielsweise eine Kontaktdermatitis. Allergische Reaktionen können auch auf zugesetzten Konservierungsmitteln wie Methylparaben beruhen. Grundsätzlich gelten Lokalanästhetika vom Amidtyp (Lidocain) jedoch als weit weniger kritisch als jene vom Estertyp (Procain, Tetracain). Letztere werden nämlich hauptsächlich zu Paraaminobenzoesäure abgebaut, die eine hohe allergene Potenz aufweist. Zur genauen Abklärung sollte bei Verdacht auf eine Allergie immer eine allergologische Testung erfolgen.
In Bezug auf das Zahnen ist in der Literatur nach Aussage des Experten nicht wirklich etwas zu finden. Daher gestalte sich die Nutzen-Risiko-Abwägung besonders schwierig. »Diese den Eltern zu überlassen ist aber auch keine Lösung.« Wenn das Kind sich also quält, die Nächte sehr unruhig sind und auch die Eltern im wahrsten Sinne des Wortes auf dem Zahnfleisch kriechen, könne er jeden verstehen, der zum Lidocain-haltigen Zahnungsgel greift. »Schreit das Kind ansonsten jede Nacht durch, dann haben Eltern wie Kind erst mal Ruhe«, so Schiffners Erfahrung. »Es wirkt gut.«
Wichtig: Eltern sollten sich unbedingt an die empfohlene Dosierung halten. Im Fall von Dentinox® ist dies maximal drei- bis viermal täglich eine erbsengroße Menge. Lege artis wird die betroffene Schleimhaut zunächst mit einem Wattestäbchen trocken getupft und dann das Gel mit leichtem Druck einmassiert. Überdosierungen müssen vermieden werden, denn neben dem Allergisierungspotenzial drohen schlimmstenfalls Krampfanfälle, Hirnschäden oder Herzprobleme. Eine solche Intoxikation ist zwar höchst unwahrscheinlich und wurde bisher lediglich im Zusammenhang mit anderen hoch dosierten Arzneimitteln beschrieben. Eine etwas mildere Alternative stellt auch Kamistad® Baby mit Auszügen aus Kamille, Polidocanol und Hyaluronsäure dar.
Glücklicherweise geht das Zahnen irgendwann vorüber. Mit zweieinhalb bis drei Jahren haben die meisten Kinder ihr vollständiges Milchzahngebiss, ehe sie in die Wackelzahnpubertät kommen. Was Erwachsene tun können, wenn das Zahnfleisch gerötet und gereizt ist oder sie eine schmerzhafte Aphthe haben, das erfahren Sie im nächsten Beitrag der Zahnserie.