Was in fermentierten Lebensmitteln steckt |
Milch ist Ausgangsprodukt etlicher fermentierter Lebensmittel. / Foto: Adobe Stock/makistock
Schon seit Jahrhunderten werden mithilfe der Fermentation Lebensmittel haltbar, schmackhaft und bekömmlich gemacht. Gerade bei jüngeren und ernährungsbewussten Menschen ist das Fermentieren wieder in Mode gekommen. Das liegt zum Teil an dem einzigartigen Geschmack, aber auch an den gesundheitlichen Vorteilen, die fermentierte Produkte mit sich bringen. Verantwortlich dafür sind vor allem die darin enthaltenen lebenden Mikroorganismen und ihre Stoffwechselprodukte. Nicht zuletzt verleihen der Trend zum Selbermachen und die vielfältigen Möglichkeiten dieser Art der Lebensmittelherstellung neuen Schwung.
Schätzungsweise machen fermentierte Nahrungsmittel weltweit etwa ein Drittel der Ernährung von Menschen aus. Und in jedem Land finden sich traditionelle Produkte. In Japan werden Miso, Natto und Sojasoßen aus fermentierten Sojabohnen hergestellt, die Koreaner verarbeiten Chinakohl zu Kimchi, in China fermentiert man Tee zu Kombucha und in Schweden ist fermentierter Hering eine Delikatesse. Typische fermentierte Speisen in Europa sind zum Beispiel Sauerkraut, Essig, Sauerteigbrot, Bier, Wein, fermentierte Würste, Oliven und alle möglichen Milchprodukte. Die Mikroorganismen sorgen auch dafür, dass Kaffee- und Kakaobohnen sowie Teeblätter ihren typischen Geschmack erhalten. Mittlerweile gibt es eine große Auswahl fermentierter Spezialitäten aus aller Welt in den Supermarktregalen.
Fermentieren ist ein natürlicher Prozess, bei dem Mikroorganismen wie Bakterien, Pilze und Hefen organische Stoffe eines Lebensmittels umwandeln. Bei Joghurt und Sauergemüse sind beispielsweise die Milchsäurebakterien am Werk, bei Tempeh und Weichkäse ganz bestimmte Schimmelpilze und bei Apfelessig die Essigsäurebakterien. Die Mikroorgansimen befinden sich natürlicherweise auf der Oberfläche vieler Lebensmittel oder in der Luft. Sie benötigen lediglich günstige Wachstumsbedingungen wie Sauerstoffentzug, Feuchtigkeit und Nährstoffe als Futter. Jede Spezies hat ein ganz eigenes Spektrum, unter dem sie optimal gedeiht. Die Mikroorganismen zerlegen Proteine und Fette, vor allem aber bauen sie komplexe Kohlenhydrate wie Stärke oder auch Milchzucker zu einfachen Zuckern ab. Diese verwandeln sie in Milch- und Essigsäure, Kohlendioxid oder Alkohol. Es entstehen weitere Säuren, Zuckerverbindungen, Salze und vieles mehr. All das verleiht dem Nahrungsmittel ein anderes Aussehen sowie einzigartige Geschmacksrichtungen und Texturen. Abbauprodukte von Proteinen sorgen beispielsweise bei Miso für den charakteristischen süß-umami-Geschmack. Das saure Milieu beziehungsweise der gesunkene pH-Wert sorgt zudem dafür, dass sich keine Fäulnisbakterien ansiedeln können und das Produkt dadurch länger hält. Außerdem gedeihen bei der Fermentation Bakterienstämme, die unerwünschte Mikroorganismen vertreiben.
In manchen Fällen läuft die Fermentation von alleine ab, zum Beispiel bei der Herstellung von Sauerkraut. In anderen Fällen wie bei Joghurt und Brot wird der Prozess mit der Zugabe von Kulturen mit Mikroorganismen gestartet. Auch die industrielle Gärung überlässt meist nichts dem Zufall, gezielt werden Gärbakterien, Hefen oder Schimmelpilze zugesetzt. So lassen sich Ablauf der Gärung und Qualität der Produkte steuern.
Hierzulande sind vor allem fermentierte Milchprodukte beliebt, allen voran Joghurt und Käse, gefolgt von Quark, Sauerrahm, Sauerrahmbutter, Kefir und Buttermilch. Die Basis für die Herstellung der Produkte ist die Milchsäuregärung. Die Molkereien versetzen pasteurisierte Milch mit speziellen Milchsäurebakterien, die bei warmen Temperaturen am besten arbeiten. Als Starterkulturen dienen hauptsächlich Laktobazillen, Streptokokken und Bifidobakterien. Es gibt Kulturen, die eher einen milden oder einen säuerlichen Joghurt produzieren. Die Bakterien bauen den in der Milch enthaltenen Milchzucker (Lactose) zu Galactose und Glucose ab. Daraus entsteht die für diese Produkte typische Milchsäure. Durch den sinkenden pH-Wert gerinnt außerdem das Milchprotein Kasein, was zu einer festeren Konsistenz führt. Bei der Herstellung von Kefir sind neben Milchsäurebakterien auch Hefen beteiligt, die Kohlensäure und geringe Mengen Alkohol bilden. Die Mikronährstoffe bleiben bei der Fermentation weitgehend erhalten. Der Gehalt an Folat steigt sogar und auch Vitamin B6 nimmt etwas zu.
Eine weitere gute Quelle für Milchsäurebakterien stellt milchsauer vergorenes Gemüse dar. Neben Weißkohl eignen sich beispielsweise auch Möhren, Blumenkohl, Broccoli, Rote Bete, Gurken, Bohnen, Zwiebeln, Wirsing, Kohlrabi, Rotkohl, Sellerie oder Rettich. Für besondere Geschmacksnoten sorgen weitere Zutaten wie frische Kräuter, aber auch Gewürze wie Kümmel, Senf- oder Pfefferkörner. Ein neuer Trend aus der koreanischen Küche ist Kimchi, ein durch Milchsäuregärung zubereitetes, scharf gewürztes Gemüse. Es gibt viele verschiedene Arten von Kimchi. Hierzulande kennt man es vor allem mit Chinakohl, Ingwer, Knoblauch und Chili.
Die für das Sauergemüse verantwortlichen Bakterien mögen es sauerstoffarm und feucht. Das Gemüse wird zunächst gehobelt, mit Salz vermengt und kräftig gestampft oder fest ins Glas gedrückt, bis es im eigenen Saft steht. Eventuell muss man Wasser nachgießen. Das Gärgut muss komplett bedeckt sein, damit es nicht mit Luft in Berührung kommt. In einem ersten Prozess verbrauchen Bakterien und Hefen zunächst den restlichen Sauerstoff. Nun können sich Milchsäurebakterien verstärkt vermehren und in der sauerstoffarmen Umgebung die Kohlenhydrate umwandeln. Es entstehen Milchsäure, Kohlendioxid und Alkohol sowie Duft- und Geschmacksstoffe, die für das Aroma milchsauer vergorener Produkte verantwortlich sind. Je nach Gemüseart dauert die Gärung eine bis sechs Wochen. Dann ist ein pH-Wert von 3,8 bis 4,2 erreicht. Neben Gärgemüsen haben Naturkostläden auch milchsaure Säfte aus Sauerkraut, Möhren und Roter Bete im Sortiment.
Bei der Herstellung von Sauerteig sind neben Milchsäurebakterien vor allem Hefen am Werk. Durch das Mischen von Mehl mit Wasser werden die Mikroorganismen, die sich natürlicherweise auf dem Mehl und in der Luft befinden, aktiv, wenn man ihnen dafür ausreichend Zeit gibt. Sie produzieren Milch- und Essigsäure, Kohlendioxid, Alkohol und viele wichtige Aromastoffe. Die Säuren verleihen dem Brot Geschmack, Stabilität und unterdrücken das Wachstum unerwünschter Bakterien. Das Kohlendioxid sorgt vor allem für die Lockerheit der Brote. Es gibt noch eine ganze Reihe anderer Lebensmittel, die mit Hilfe der Milchsäuregärung gewonnen werden, zum Beispiel der alkoholfreie Brottrunk, bei dem Sauerteig-Vollkornbrot vergärt.
Wer von den Milchsäurebakterien profitieren will, muss zu unerhitztem Joghurt und Sauergemüse greifen und diese Produkte roh verzehren. Industriell hergestellte Lebensmittel werden nach dem Fermentationsprozess aus Gründen der Haltbarkeit oftmals pasteurisiert. Dies tötet die Mehrzahl der günstigen Milchsäurebakterien ab und wertvolle B-Vitamine gehen verloren. Auf Wochenmärkten, in Bioläden oder Reformhäusern findet man am ehesten Fermentiertes in Frischkostqualität. Es ist auch gar nicht schwer, in der eigenen Küche zu fermentieren. Das braucht jedoch etwas Geduld und ein Maximum an Hygiene, damit keine Krankheitserreger die Lebensmittel kontaminieren. Zu Hause kann man die Zutaten selbst bestimmen und den Kulturen viel mehr Zeit geben, sich zu vermehren, was eine deutliche dichtere Besiedlung mit den nützlichen Bakterien bedeutet. Entscheidend für eine positive Wirkung auf das Darmmikrobiom ist die Überlebensrate der Milchsäurebakterien im Magen-Darm-Trakt und die kontinuierliche Aufnahme von lebenden Keimen.
Während der Gärung lockern verschiedene Mikroorganismen und Hefen die Zellwände von Gemüse auf, zudem werden Proteine zerlegt, das Essen wird quasi »vorverdaut«. Das macht beispielsweise Kohlsorten und Bohnen besser verträglich. Auch fermentierte Milchprodukte sind besser bekömmlich, insbesondere für Menschen mit Lactoseintoleranz. Denn die Milchsäurebakterien spalten bis zu 30 Prozent der Lactose auf. Experten vermuten zudem, dass Enzyme aus den Bakterien den menschlichen Darm beim Abbau der Lactose unterstützen. Da Käse noch deutlich länger fermentiert, kann der Milchzucker fast komplett abgebaut sein. Vor allem Hart- und Schnittkäse wie Emmentaler, Gouda, Bergkäse oder Parmesan sind bei Lactoseintoleranz sehr gut verträglich. Bei Hülsenfrüchten und Vollkorngetreide sinkt außerdem der Gehalt von Inhaltsstoffen, die die Verwertung von Nährstoffen behindern, wie beispielsweise die Phytinsäure. Dadurch sind Mineralstoffe wie Eisen, Zink, Calcium und Magnesium für den Körper besser verfügbar.
Während der Reifung von Sauerteig bauen Mikroben zudem das Klebereiweiß Gluten ab, dass manche Menschen nicht vertragen. Das heißt jedoch nicht, dass Menschen mit Zöliakie nun glutenhaltiges Brot essen dürfen, denn für sie sind schon kleinste Mengen schädlich. Auch die Konzentration von immunreaktiven Proteinen, zum Beispiel Amylase-Trypsin-Inhibitor in Weizen, verringert sich. Daher vertragen Menschen mit einer Weizensensitivität Sauerteigbrote meist besser als herkömmliche Brote. Außerdem werden besonders viele FODMAPs durch lange Geh- und Stehzeiten reduziert. Das sind fermentierbare Nahrungsbestandteile, die bei empfindlichen Menschen Magen-Darm-Beschwerden hervorrufen können. Beim industriellen Backen geht der Brotteig allerdings möglichst kurz. Traditionelle Bäckereien und Biobäckereien lassen den Teig üblicherweise länger reifen als Großbäckereien.
Sauerkraut, Kefir, Joghurt, Kimchi und Co. sind aber nicht nur besser bekömmlich. Die in fermentierten Produkten enthaltenen Mikroorganismen fördern auch die Gesundheit des Darms. Denn diese werden durch den Verzehr mit dem Darmmikrobiom zusammengebracht und können die mikrobielle Vielfalt erhöhen. Und dass die Zusammensetzung der Darmbakterien für zahlreiche Krankheiten und das Immunsystem eine entscheidende Rolle spielt, ist unumstritten. Die Kleinstlebewesen beeinflussen die Gesundheit auf vielfältige Weise. So sorgt die von Milchsäurebakterien produzierte Milch- und Essigsäure für eine leicht saure Umgebung im Darm, sodass sich krank machende Bakterien nicht vermehren können, erwünschte Bakterien sich hingegen sehr wohl fühlen.
Die Darmgemeinschaft kann Lebensmittelbestandteile weiter in bioaktive Substanzen umwandeln wie Peptide, Bakteriozine, Aminosäuren, konjugierte Linolsäure und kurzkettige Fettsäuren. Die Stoffwechselprodukte der Bakterien haben ganz unterschiedliche Funktionen. Bakteriozine wirken beispielsweise gegen pathogene Darmbakterien wie Salmonellen oder Clostridien. Kurzkettige Fettsäuren regen die Darmperistaltik an und stärken die Darmbarriere, da sie die wichtigste Energiequelle für Schleimhautzellen darstellen. Die Mikroorganismen und Zellprodukte interagieren zudem mit dem Immunsystem und können dadurch entzündliche Vorgänge eindämmen. Denn 70 Prozent des Immunsystems befinden sich im Magen-Darm-Trakt. Eine kleine Studie der Stanford-Universität, die 2021 im Fachmagazin »Cell« erschienen ist, bestätigt den positiven Einfluss einer Fermentationsdiät. Diese wirkte sich bei den Probanden deutlich auf die Vielfalt des Mikrobioms und auf Entzündungsmarker aus.
Besonders zum gesundheitlichen Nutzen milchsauer vergorener Milchprodukte gibt es neben Zell- und Tierstudien viele Beobachtungsstudien und einige kleinere Interventionsstudien. So soll sich der Verzehr günstig auf den Cholesterinstoffwechsel auswirken. Dieser Effekt wird unter anderem mit der Fähigkeit bestimmter Mikroorganismen erklärt, Cholesterol aus der Nahrung abzubauen. Studien deuten zudem darauf hin, dass das Risiko für Adipositas, Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Dickdarmkrebs sinkt, wenn fermentierte Milchprodukte auf dem Speiseplan stehen. Zudem können sie bei Darmentzündungen und Durchfallerkrankungen therapeutisch nützlich sein. Auch andere Fermentationsprodukte wie Kimchi, Sauerkraut und Natto haben das Potenzial, den Organismus günstig zu beeinflussen. Viele fermentierte Produkte, zum Beispiel Kombucha, sind noch nicht so gut erforscht. Bei dem durch ein Bakterien-Hefe-Gemisch vergorenen Tee ist beispielsweise auch der erhebliche Restzuckergehalt und der Gehalt an Alkohol von bis zu zwei Prozent zu bedenken.
Fermentierte Lebensmittel können bei manchen Menschen allerdings auch negative Reaktionen hervorrufen. Denn bei der Gärung entsteht aus der Aminosäure Histidin Histamin, ein biogenes Amin, das bei sensiblen Personen Kopfschmerzen, Übelkeit und Hautauschläge auslöst.
Wie viele der lebenden Bakterien aus fermentierten Produkten sich tatsächlich im Darm ansiedeln können, ist unklar. Wissenschaftler untersuchen immer noch, wie genau sie sich auf den Körper und die Gesundheit auswirken. Nichtsdestotrotz sind fermentierte Nahrungsmittel eine wertvolle Ergänzung für eine ausgewogene Darmmikrobiom-freundliche Ernährung. Es ist auch denkbar, dass zukünftige Erkenntnisse in Ernährungsrichtlinien einfließen könnten.