Was ist Cholin und wofür ist es wichtig? |
Mit der richtigen Nahrungsmittelauswahl klappt es auch in der Schwangerschaft mit der Cholinmenge. / Foto: Adobe Stock/Nattaro
Cholin ist ein semiessenzieller Nährstoff, der in Lebensmitteln natürlicherweise vorkommt und als Nahrungsergänzungsmittel (NEM) supplementiert werden kann. Die Verbindung, die den wasserlöslichen Vitaminen des B-Komplexes ähnelt, wurde 1849 entdeckt. Die quartäre Ammoniumverbindung trägt zu einem normalen Fettstoffwechsel bei und ist unter anderem wichtig für die Synthese von Phospholipiden in den Zellmembranen und die Produktion des Neurotransmitters Acetylcholin.
Eine gesundheitserhaltende Wirkung hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) offiziell anerkannt. Sie erlaubt damit zu werben, dass bestimmte cholinhaltige Lebensmittel und NEM eine normale Leberfunktion beim Erwachsenen unterstützen, zu einem normalen Lipidstoffwechsel sowie einem normalen Homocystein-Stoffwechsel beitragen. Erhöhte Homocystein-Serumspiegel gelten als Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Im November vergangenen Jahres erfolgte der nächste Meilenstein für die Substanz. Die EFSA betrachtete es als ausreichend belegt, dass Cholin als essenzieller Nährstoff für die normale Leberfunktion des Fetus und ausschließlich gestillten Säuglings erforderlich ist. Das Gremium gab damit einem Antrag auf diesen Claim von Procter & Gamble Health statt. Die Fembion-Produkte dieser Firma für Schwangerschaft und Stillzeit enthalten Cholin.
Die Tatsache, dass Cholin essenzielle Funktionen im Körper ausübt und in NEM enthalten ist, bedeutet jedoch nicht, dass jeder supplementieren muss, um seine Gesundheit zu erhalten. Der menschliche Organismus kann Cholin selbst synthetisieren, hauptsächlich in Form von Phosphatidylcholin, auch als Lecithin bekannt. Dabei handelt es sich um einen Bestandteil der Lipidmembran. Die Eigenproduktion reicht jedoch für die Versorgung nicht aus und es ist eine zusätzliche Aufnahme über die Ernährung erforderlich.
Die EFSA empfiehlt Erwachsenen, täglich 400 mg Cholin zuzuführen. In der Schwangerschaft erhöht sich der Bedarf auf 480 mg pro Tag, um das Wachstum des Fetus und körperliche Veränderungen der Mutter zu berücksichtigen. In der Stillphase werden sogar 520 mg Cholin pro Tag empfohlen, da der Nährstoff in die Muttermilch abgegeben wird.
Ein Problem bei der Interpretation dieser Studien ist, dass Cholin an Funktionen beteiligt ist, die sich mit denen von Folsäure und anderen B-Vitaminen überschneiden. In vielen Studien wird allerdings nicht der Status aller B-Vitamine berücksichtigt, was die tatsächliche Rolle von Cholin bei den beobachteten Effekten verschleiern könnte. Wie sich der Mikronährstoff auf die kardiovaskuläre Gesundheit auswirkt, ist unklar. Zwar könnte Cholin den Blutdruck senken und sich auf die Lipidprofile und den Homocysteinspiegel günstig auswirken, zu viel davon könnte jedoch auch wieder das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen ansteigen lassen, da Cholin von Darmbakterien in Trimethylamin (TMA) umgewandelt werden kann. Die Leber baut diese Substanz zu Trimethylamin-N-oxid (TMAO) um, das mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Verbindung gebracht wird.
Cholin beeinflusst vermutlich neurologische Funktionen. Einige Beobachtungsstudien haben einen Zusammenhang zwischen der kognitiven Leistung bei Erwachsenen und sowohl einer höheren Cholinaufnahme als auch einer höheren Plasmakonzentration gezeigt. Kleinere randomisierte Interventionsstudien ließen ebenfalls den Schluss zu, dass Cholinpräparate die kognitive Leistung bei Erwachsenen verbessern könnten. Eine systematische Überprüfung von 13 Studien zum Zusammenhang zwischen Cholin und neurologischen Ergebnissen bei Erwachsenen aus dem Jahr 2015 ergab jedoch, dass die Präparate bei gesunden Erwachsenen die Kognition nicht verbesserten.
Bei der nichtalkoholischen Fettlebererkrankung (NAFLD) sammeln sich Lipide in der Leber an, obwohl die Betroffenen weniger als 20 g Ethanol pro Tag konsumieren. Es handelt sich um die häufigste chronische Lebererkrankung. Sie tritt bei bis zu 65 Prozent der übergewichtigen Personen auf und bei 90 Prozent der Menschen mit Fettleibigkeit. Die NAFLD kann in einer Steatohepatitis, fibrotischen Veränderungen, einer Zirrhose, in Leberversagen und schlimmstenfalls Leberkrebs münden. Welche Rolle nimmt Cholin hier ein?
Phosphatidylcholin, für dessen Aufbau Cholin gebraucht wird, ist am Transport von Lipiden aus der Leber beteiligt. Bei einem Cholinmangel sammelt sich Fett in der Leber an, sodass das Organ verfetten kann. Eine Querschnittsstudie mit 56.195 chinesischen Erwachsenen im Alter von 40 bis 75 Jahren zeigte, dass eine erhöhte Nahrungsaufnahme von Cholin das NAFLD-Risiko senken kann. Allerdings zeigte sich dieser Effekt nur bei normalgewichtigen Frauen, nicht aber bei Frauen mit Übergewicht oder Adipositas und auch nicht bei Männern. Um die Rolle von Cholin bei der Vorbeugung oder Behandlung von NAFLD zu bewerten, sind daher aktuell noch weitere Untersuchungen erforderlich.
Nehmen Menschen zu wenig Cholin auf, können sich Studien zufolge also Leberfunktionsstörungen, aber auch Muskelschäden entwickeln. Diese lassen sich durch die Zufuhr des Stoffes wieder rückgängig machen. Bei anderen Krankheiten könnte Cholin ebenfalls eine Rolle spielen. Hier befindet sich die Forschung noch am Anfang. Eine Übersicht über den aktuellen Kenntnisstand gab im Juni 2022 das US-Amerikanische National Institutes of Health (NIH) in einem Fact Sheet for Health Professionals.
Kann das Apothekenteam raten, Cholin zu ergänzen? So einfach ist es nicht, da zu viel davon Schaden anrichten könnte und noch nicht geklärt ist, ab wann die Dosierung zu hoch liegt. Eine hohe Cholinaufnahme wird mit Nebenwirkungen wie einem fischigen Körpergeruch, Erbrechen, übermäßigem Schwitzen und Speichelfluss, Hypotonie und Lebertoxizität in Verbindung gebracht. TMAO, das im Zusammenhang mit einem erhöhten Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen steht, wird dosisabhängig produziert.
Das US-amerikanische Food and Nutrition Board (FNB), eine Einrichtung innerhalb der US-amerikanischen Non-Profit- und Nichtregierungsorganisation National Academy of Medicine (NAM), hat Grenzwerte für Cholin aus Nahrungsmitteln und NEM festgelegt, die auf den Mengen basieren, die mit Hypotonie und fischigem Körpergeruch verbunden sind. Gesunde Erwachsene sollen demnach die tägliche tolerierbare obere Aufnahmemenge von 3500 mg Cholin nicht überschreiten. Für Kinder gibt es nach dem Alter gestaffelte Höchstgrenzen, so sollen zum Beispiel die ein- bis achtjährigen nicht mehr als 1000 mg pro Tag aufnehmen und die neun- bis 13-jährigen nicht mehr als 2000 mg.
Menschen, die ausreichend, aber nicht übermäßig mit Cholin versorgt sein wollen, rät das Apothekenteam am besten, die Lebensmittelauswahl zu optimieren. Natürliche Nahrungsmittel haben gegenüber NEM den Vorteil, dass sie eine große Vielfalt von verschiedenen Nährstoffen und gesundheitsfördernden Bestandteilen enthalten und Überdosierungen nahezu unmöglich sind. Besonders reich an Cholin sind tierische Lebensmittel wie Fleisch, Geflügel, Fisch, Milchprodukte und Eier. Pflanzliche Quellen sind ärmer an Cholin. Relevante Mengen finden sich aber zum Beispiel in einigen Bohnenarten wie Sojabohnen oder Kidneybohnen, Kreuzblütler-Gemüse wie Brokkoli und Blumenkohl, Nüssen, Samen und Vollkorngetreide.
Ein schwerer Cholinmangel ist wohlgemerkt bei gesunden Menschen selten, auch wenn sie weniger Cholin als empfohlen aufnehmen. Das liegt daran, dass der Körper bei einer geringen Aufnahme mehr Cholin selbst herstellt. So sinkt der Plasma-Cholinspiegel nicht unter 50 Prozent des Normalwerts, selbst bei Personen, die länger als eine Woche gefastet haben. Ein erhöhtes Risiko dafür, defizitär versorgt zu sein, haben in erster Linie Schwangere, Menschen mit genetischen Veränderungen, die den Metabolismus von Cholin, Folsäure und Methionin beeinflussen, sowie Patienten, die eine vollständige parenterale Ernährung benötigen. In diesen Fällen können angereicherte Lebensmittel und NEM eine Option sein.