Was können Postbiotika? |
Bakterien in Naturjoghurt unterstützen die Darmgesundheit. Als Probiotika werden sie vielfach angeboten. Doch nicht jeder verträgt die lebenden Keime. Eine andere Möglichkeit, um von den Mikroorganismen dennoch zu profitieren, könnte daher die Zufuhr von Postbiotika sein. / Foto: Adobe Stock/auremar
Ein verändertes Mikrobiom kann zur Entstehung verschiedener Krankheiten beitragen. Die Gabe von Probiotika soll dem entgegenwirken. Die körperfremden, lebenden Keime können jedoch insbesondere bei Menschen mit schwachem Immunsystem, akuter Pankreatitis oder schweren Erkrankungen mit Risiken verbunden sein. Möglicherweise müssen sich Patienten diesem Risiko nicht unbedingt aussetzen.
Ein Teil des gesundheitlichen Nutzens der Mikroorganismen scheint nämlich aktuellen Forschungen zufolge auf von ihnen produzierte Stoffe zurückzugehen. Sie können in Form von bereits auf dem Markt angebotenen Nahrungsergänzungsmitteln (NEM) als sogenannte Postbiotika direkt zugeführt werden.
Es handelt sich bei den auch als Metabiotika bezeichneten bioaktiven Verbindungen um niedermolekulare Metaboliten oder Bestandteile von Bakterien. Den Stoffen werden zahlreiche gesundheitsfördernde Eigenschaften zugeschrieben. Sie sollen unter anderem das Immunsystem stärken, die Darmgesundheit verbessern, die Nährstoffaufnahme fördern und die Herzgesundheit unterstützen. Die Forschung zu Postbiotika steckt jedoch noch in den Kinderschuhen. Die genauen Wirkungsmechanismen und potenziellen Anwendungen sind daher noch ungewiss.
Eine Gruppe von Verbindungen, die als Postbiotika von Interesse sind, sind die kurzkettigen Fettsäuren (SCFA, short chain fatty acids). Die bei Raumtemperatur flüssigen Stoffe wie Acetat (C2), Propionat (C3) und Butyrat (C4) bestehen aus maximal sechs Kohlenstoffatomen und verströmen einen starken, charakteristischen, meist als unangenehm wahrgenommenen Geruch.
SCFAs im menschlichen Darm werden aus der intestinalen mikrobiellen Fermentation unverdaulicher Kohlenhydrate wie Ballaststoffen gewonnen. Es verstärken sich die Hinweise, dass eine verringerte Aufnahme von unverdaulichen Polysacchariden, die wiederum zu einer reduzierten Produktion von SCFAs durch mikrobielle Fermentation im Dickdarm führt, ein Grund für die ansteigende Prävalenz einiger Krankheiten sein könnte. Dabei handelt es sich vor allem um Krankheiten, die in Ländern mit hohem Einkommen in den letzten 50 Jahren stetig zugenommen haben. Die Mechanismen, durch die SCFAs ihre für die Gesundheit wichtigen Wirkungen im Darm und anderen Geweben und Organen im Körper entfalten, werden derzeit erforscht.
Es ist bereits bekannt, dass die Darmmikrobiota über ihre Metaboliten mit dem Immunsystem interagiert. SCFAs spielen bei diesem Zusammenspiel (»Crosstalk«) eine Rolle. Acetat, Propionat und Butyrat regulieren verschiedene Arten von Immunzellen und ein Mangel könnte an der Entstehung einiger Autoimmunkrankheiten beteiligt sein. 2023 fassten iranische Wissenschaftler das aktuelle Wissen über die immunmodulatorische Rolle von SCFAs im Zusammenhang mit Zöliakie, entzündlichen Darmerkrankungen, rheumatoider Arthritis, Multipler Sklerose, systemischem Lupus erythematodes, Typ-1-Diabetes und anderen immunvermittelten Erkrankungen zusammen.
Neben der Genetik und der Umwelt scheint dabei die Darmdysbiose einen Einfluss zu haben. Eingenommene SCFAs könnten durch immunmodulatorische Eigenschaften dabei mitwirken, das Immungleichgewicht wieder herzustellen. SCFAs beeinflussen einerseits die systemische Immunantwort über den Darm und das Lymphgewebe, andererseits scheinen sie auch direkt am Ort der Pathogenese, also etwa in Bauchspeicheldrüse, Knochen oder im ZNS, zu wirken. Die zugrunde liegenden Mechanismen sind allerdings noch nicht genau bekannt. Es gibt weiterhin Hinweise, dass kurzkettige Fettsäuren die Bildung von pro- und antientzündlichen Zytokinen beeinflussen und dadurch eine Rolle bei chronischen Entzündungen und entzündlichen Erkrankungen spielen.
Die meisten Forschungsarbeiten konzentrieren sich bisher auf Butyrat. Diese Fettsäure ist besonders wichtig für die Gesundheit des Dickdarms, da sie die primäre Energiequelle für die Epithelzellen des Dickdarms, die Kolonozyten, ist. Ein Mangel an Butyrat könnte das Darmepithel schädigen und seine Permeabilität steigern. Daraus ließe sich schließen, dass die Gabe der Fettsäure einer gestörten Darmbarriere entgegenwirken könnte.
Unter den kurzkettigen Fettsäuren wird Butyrat zudem sowohl ein präventives als auch therapeutisches Potenzial bei Colitis ulcerosa und Darmkrebs zugeschrieben. Butyrat erhöht die Expression von Interleukin 10, einem entzündungshemmenden Zytokin, und kann inflammatorische Prozesse in einer Vielzahl von Gewebe reduzieren.
Interessant sind seine unterschiedlichen Effekte in gesunden Zellen und Krebszellen. Unter dem »Butyrat-Paradoxon« versteht man, dass Butyrat Tumorzellen im Dickdarm hemmt, weil diese die Fettsäure nicht richtig verstoffwechseln können, während es die Proliferation gesunder Dickdarmepithelzellen stimuliert. Butyrat konnte in Untersuchungen Entzündungssymptome wirksam und mit minimalen bis gar keinen Nebenwirkungen bekämpfen. In einer Studie, in der Patienten mit Colitis ulcerosa mit Butyrat-Einläufen behandelt wurden, gingen beispielsweise Entzündungen und Blutungen deutlich zurück.
Weiterhin könnte Butyrat bei Enteritis helfen. Die kurzkettige Fettsäure konnte im Tierversuch die Spiegel an Hexokinase 2 (HK2) in Darmepithelzellen senken, wie Forscher aus Kiel 2021 zeigten. Das Enzym HK2 wird bei Entzündung verstärkt gebildet und durch das Mikrobiom reguliert. Wenn weniger HK2 in den Zellen vorhanden war, ging in den Versuchen die Entzündung zurück. Damit bestätigten die Forscher Erkenntnisse aus früheren Studien, denen zufolge Butyrat die Darmbarriere stabilisiert und antientzündlich wirkt. Ein Problem für die therapeutische Anwendung ist allerdings, dass Buytrat unangenehm riecht und stark abführend wirkt.
Propionsäure, auch als Propansäure bekannt, wird im Dickdarm von verschiedenen Bakterien, unter anderem Clostridien, gebildet. In einer Tierstudie aus 2018 erwies sich die orale Gabe von Propionat als kardioprotektiv. Systemische Entzündungen wurden bei den Versuchsmäusen zurückgedrängt.
Propionsäure kann zudem regulierend in das Immunsystem eingreifen und überschießende entzündliche Prozesse reduzieren. Untersuchungen zeigen, dass sich das positiv auf den Krankheitsverlauf von Patienten mit Multipler Sklerose (MS) auswirken kann.
Acetat ist das Anion der Essigsäure. Essigsäure ist in Apfelessig enthalten. Die kurzkettige Fettsäure können jedoch auch einige Darmbakterien herstellen. Acetat aus dem Dickdarm wiederum könnte die Blut-Hirn-Schranke passieren und im Gehirn den Appetit hemmen. Es soll unter anderem eine direkte Rolle bei der zentralen Appetitregulation spielen.
Einen beantragten Health Claim für Apfelessig (als Pulver) hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) jedoch abgelehnt. Das Gremium war zum einen der Ansicht, dass Apfelessig (als Pulver) nicht ausreichend charakterisiert ist. Zum anderen wurde die vermeintliche Wirkung »normalisiert/fördert den Darm« als nicht ausreichend bewiesen abgelehnt, da die EFSA keinen Zusammenhang zwischen dem Verzehr von Apfelessigpulver und einer Verbesserung der Darmmotorik feststellen konnte.
Wirksamkeit und Nutzen von kurzkettigen Fettsäuren als Postbiotika sind somit insgesamt noch unklar. Fragen zur Sicherheit sind ebenfalls noch offen. Bisherige interventionelle Studien am Menschen zeigten hauptsächlich, dass SCFAs gut verträglich zu sein scheinen. Es wurden keine wesentlichen Nebenwirkungen gemeldet. Allerdings sind die Risiken einer langfristigen und/oder hoch dosierten Supplementierung noch nicht ausreichend untersucht. Entsprechende Studien wären jedoch wünschenswert.
In einigen Untersuchungen wurden die besten Ergebnisse mit Dosen erzielt, die über den physiologischen Konzentrationen liegen, und in anderen erzielten SCFAs bei nur kurzzeitiger Gabe keine signifikanten Resultate. Sind Wirksamkeit und Sicherheit jedoch erst mal erwiesen, könnten Postbiotika als stabile, kostengünstige und gut haltbare Anwendung eine Option gerade für Risikopatienten sein, die von den gesundheitlichen Vorteilen einer ausgeglichenen Darmmikrobiota profitieren wollen.