Was tun bei einer psychischen Krise? |
Es gibt verschiedene Anlaufstellen, an die sich Betroffene oder Angehörige in psychischen Ausnahmesituationen wenden können. / Foto: Adobe Stock/Syda Productions
Extreme Schmerzen, Herz-Kreislauf-Stillstand, schwere Verletzungen – wer es damit zu tun bekommt, ruft in der Regel den ärztlichen Notdienst, und das ist auch gut so. Schwerer täten sich viele mit der 112, wenn es um psychische Krisen geht, berichtet Dr. Christa Roth-Sackenheim, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie im rheinland-pfälzischen Andernach. »Aber wenn ein Mensch die Kontrolle über sich verliert und dabei für sich selbst oder andere zur Gefahr wird, ist das definitiv ein Fall für den ärztlichen Notdienst.«
Psychiatrische Notfälle sind laut S2k-Leitlinie Notfallpsychiatrie mit einem Anteil von circa 14,7 Prozent etwa gleich häufig wie neurologische und traumatologische Notfälle. Die häufigsten psychiatrischen Notfallsituationen sind Erregungszustände, die beispielsweise Wahnvorstellungen, Panikzustände oder Aggressivität zur Folge haben, sowie Intoxikationen und Suizidabsichten. Besonders Letztere seien mitunter schwer zu erkennen, betont die Vorsitzende des Berufsverbandes Deutscher Psychiater (BVDP): »Häufig merkt man das den Menschen nicht direkt an.«
Umso wichtiger sei es, auf akute Zeichen einer Depression zu achten wie Antriebslosigkeit, Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, Konzentrationsschwäche, Reizbarkeit oder verlangsamte Bewegungsabläufe. Auch psychische Belastungsstörungen – im Volksmund oft als Nervenzusammenbruch bezeichnet – nach einem traumatischen Ereignis wie dem Verlust eines nahestehenden Menschen, einem Unfall oder einer Trennung, sollten psychologisch behandelt werden, wenn Symptome wie Erinnerungslücken, Alpträume oder Herzrasen länger als 48 Stunden anhalten.
PTA können für Menschen in psychosozialen Krisen wichtige Ansprechpersonen sein, betont der Potsdamer Diplom-Psychologe Sebastian Jakobi. »Sie können, sofern es Zeit, Setting und Vertrauensverhältnis zulassen, über Anlaufstellen und Behandlungsmöglichkeiten aufklären sowie Betroffene und ihre Angehörigen unterstützen.« Eine sachliche und einfühlsame Beratung könne dazu beitragen, dass Menschen in akuten psychischen Krisen die Hilfe suchen und erhalten, die sie benötigen, und dass im Anschluss daran langfristige Lösungen gefunden werden, um ihre psychische Gesundheit zu fördern.
Anlass für eine solche Beratung kann auch sein, dass eine Kundin oder ein Kunde in großen Mengen rezeptfreie Schlaf- oder Beruhigungsmittel einkauft, ergänzt Roth-Sackenheim. »Da wäre es gut, wenn der oder die PTA so etwas sagt wie: ‚Sie wissen, dass das Medikamente sind, die nicht dauerhaft oder in großen Mengen gebraucht werden dürfen?‘ Im Idealfall kann sich daraus dann ein Gespräch über die zugrunde liegende gesundheitliche Situation ergeben.«
Für psychische Notfälle gebe es mehrere Anlaufstellen, an die sich Betroffene und ihre Angehörigen wenden können, berichtet Jakobi, der als selbstständiger Arbeitspsychologe und Notfallpsychologe insbesondere Betriebe und Einzelpersonen nach traumatischen Ereignissen am Arbeitsplatz, beispielsweise Arbeitsunfällen oder Bedrohungssituationen, unterstützt. »Zunächst einmal kann man in akuten lebensbedrohlichen Situationen immer den allgemeinen Notruf 112 in Europa wählen, um eine schnelle medizinische Versorgung oder auch eine Aufnahme in einem psychiatrischen Krankenhaus zu erreichen, oder auch den bundesweiten Bereitschaftsdienst unter 116117.« Auch die Polizei ist ein Ansprechpartner, wenn es um Selbst- oder Fremdgefährdung geht.
Viele Regionen haben darüber hinaus spezielle Krisendienste oder Krisenhotlines, die rund um die Uhr erreichbar sind. »Dort arbeiten geschulte Fachkräfte, die Unterstützung und Beratung in akuten psychischen Krisen bieten«, erläutert Jakobi. Zu finden sind diese Dienste meist unter den Kürzeln PSNV (Psychosoziale Notfallversorgung) oder KIT (Krisen-Interventionsteam). Es ist hilfreich, Kontaktdaten dieser örtlichen Anlaufstellen vorab zu recherchieren und für den Bedarfsfall in der Offizin parat zu haben. In größeren Städten gibt es zudem psychiatrische Kliniken und Ambulanzen, die auch außerhalb der üblichen Öffnungszeiten Notfälle behandeln.
Eine erste Anlaufstelle bei psychischen Problemen ist auf jeden Fall auch immer der Hausarzt, der die betroffene Person idealerweise kennt und gegebenenfalls eine Überweisung an einen Facharzt für Psychiatrie oder Psychotherapie veranlassen kann. Die akute Hilfe, die Betroffene bei diesen Stellen erhalten, kann fließend in eine längerfristige Therapie übergehen. Dabei kommt es ganz darauf an, wie es den Betroffenen geht. »Eine psychische Krise muss nicht als Desaster durchlebt und erinnert werden, wenn Lösungsmöglichkeiten erfolgreich genutzt werden können«, erklärt Jakobi. Wichtig sei, die Überforderung – als die die psychische Krise oft erlebt wird – zu überwinden. Gelingt das und die hilfesuchende Person fühlt sich stabil, kann der weitere Weg selbstständig gegangen werden. Wichtig ist, dass Betroffene reflektieren und tun, was ihnen guttut.
Auf dem weiteren Weg kann auch die soziale Unterstützung durch Freunde und Familie hilfreich sein. Dazu können Betroffene ihren Freunden und Angehörigen signalisieren, wenn Gesprächsbedarf besteht oder andersherum Familie und/oder Freunde ihre Gesprächsbereitschaft in unaufdringlicher Weise zeigen. Falls die psychische Krise durch ein Ereignis wie beispielsweise eine schwere Krankheit, Verlust des Arbeitsplatzes, Überschuldung oder auch problematischen Alkoholkonsum ausgelöst wurde, empfiehlt Roth-Sackenheim auch Angebote von Trägern der Wohlfahrtshilfe, so etwa die Beratungsstellen der Deutschen Krebshilfe oder auch solche für Arbeitskonflikte oder Überschuldung.
Nach einer akuten Behandlung können eine längerfristige psychologische Betreuung und Therapie sinnvoll sein, um Rückfällen vorzubeugen und die Bewältigung der psychischen Probleme zu unterstützen. Dazu können verschiedene Maßnahmen gehören. Eine psychotherapeutische Behandlung, wie eine kognitive Verhaltenstherapie oder eine tiefenpsychologische Therapie, kann dabei helfen, die zugrunde liegenden Ursachen der Krise zu bewältigen und neue Bewältigungsstrategien zu entwickeln. In einigen Fällen kann auch eine Rehabilitation notwendig sein, um die Rückkehr in den Alltag und das Arbeitsleben zu ermöglichen.
Je nach Diagnose und individueller Situation kann auch eine fachärztliche Behandlung mit Medikamenten erforderlich sein, um die Symptome zu kontrollieren und das Risiko von Rückfällen zu reduzieren. Dabei werden in der Regel Psychopharmaka verschrieben, um akute Symptome zu lindern und die langfristige Stabilisierung der Person zu unterstützen. Die Auswahl des Medikaments hängt von der Art der Krise und der zugrunde liegenden Diagnose ab. »Diese medikamentöse Behandlung sollte jedoch immer von einem Facharzt oder einer Fachärztin für Psychiatrie oder einem erfahrenen Arzt, einer erfahrenen Ärztin durchgeführt werden, die die individuelle Situation der betroffenen Person berücksichtigt«, betont Jakobi.
Die Diagnose »posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)« wird frühestens gestellt, wenn typische Beschwerden länger als vier Wochen andauern. Auch eine Psychotherapie wird meist erst danach begonnen – manche Menschen sind auch erst nach einer gewissen Zeit bereit für eine Psychotherapie.
Einige Menschen bekommen schon kurz nach einem Trauma professionelle psychische Hilfsangebote – etwa von Berufsgenossenschaften (bei Arbeitsunfällen, auf betriebliche Veranlassung), im Rahmen betrieblicher Betreuungsangebote (zum Beispiel bei Bahnbetrieben oder einigen Großunternehmen) oder von Polizeipsychologinnen und -psychologen. Sie haben vor allem das Ziel, einer PTBS vorzubeugen.