Wenn das Mikrobiom auftaut |
Caroline Wendt |
28.08.2025 16:00 Uhr |
Eis soweit das Auge reicht – doch die Gletscher schwinden täglich mehr und mit ihnen ein einzigartiges Mikrobiom. / © Getty Images/ James O'Neil
Weltweit sind etwa 10 Prozent der Erdoberfläche von Gletschereis bedeckt – derzeit. Doch die Eisdecke schmilzt bedenklich schnell und die Geschwindigkeit dieses Abbaus nimmt weiter zu. Paradoxerweise beschleunigt das Tauen der Gletscher den Prozess der Klimaerwärmung zusätzlich: Die Eismassen reflektieren das Sonnenlicht. Weniger Eis, bedeutet also weniger Reflexion – und damit mehr Wärme.
Gletscher speichern nicht nur große Mengen an Süßwasser, sie sind auch ein wichtiges Reservoir für Bakterien, Viren und Pilze. Einige dieser Mikroorganismen waren über Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende im Eis eingeschlossen und gelangen durch das Abschmelzen nun in die Umwelt. Diese Vorstellung erinnert an den Spielfilm »Fräulein Smillas Gespür für Schnee«, in dem ein Meteoriteneinschlag einen längst ausgestorben geglaubten Parasiten reaktiviert – mit tödlichen Folgen für den Menschen.
Doch wie realistisch ist dieses Szenario? Laut Forschenden der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) in der Schweiz ist es eher unwahrscheinlich. Die im Eis überdauernden Mikroorganismen haben sich optimal an die extremen Bedingungen angepasst. Beim Auftauen sei die Wahrscheinlichkeit, dass sie in der neuen Umwelt überleben, sehr gering. Neben der veränderten Temperatur stelle im Fall der Viren auch die Anpassung an neue Wirtsorganismen – also tierische, menschliche oder pflanzliche Zellen – eine kaum zu bewältigende Herausforderung dar. Auch bleibe es unklar, ob beispielsweise Bakteriophagen nach der Gletscherschmelze noch infektiös seien. Zudem konnten die Forschenden in den Proben aus den Schweizer Alpen noch keine pathogenen Erreger identifizieren.
Die Wissenschaftler des WSL wollen die mikrobielle Vielfalt der Gletscher besser verstehen und nehmen dafür Proben – sowohl vom Gletschereis als auch vom Schmelzwasser. Mittels DNA-Sequenzierung untersuchen sie die Proben im Labor. Von besonderem Interesse sind für die Forschenden um den Projektleiter Dr. Beat Frey Bakteriophagen, also Viren, die sich auf den Befall von Bakterien spezialisiert haben. Diese können sich besonders schnell evolutionär entwickeln. In Eisproben unterschiedlichen Alters lassen sich so Einblicke in die Geschichte der Phagen über Jahrhunderte bis Jahrtausende hinweg gewinnen, heißt es auf der Internetseite des WSL. Durch die Beobachtung des Zusammenspiels der Mikroorganismen ließen sich demnach auch Annahmen über die künftige Entwicklung treffen.
Doch bislang ist nur ein Bruchteil der in Eis und Permafrostböden vorhandenen Mikroorganismen bekannt und erforscht. Und mit dem Schwinden der kalten Lebensräume, verschwindet auch die Vielfalt der verschiedenen Arten. Um dem entgegenzuwirken, hat sich eine Forschungsgruppe des WSL zur Aufgabe gemacht, eine Biodatenbank anzulegen. Zumindest einige der Mikroorganismen könnten so durch Kryokonservierung – also das Einfrieren in flüssigem Stickstoff – erhalten und untersucht werden. Dafür nehmen die Wissenschaftler Proben aus hochalpinen Böden und Gletschern und arktischen Regionen.