Wenn der Blutdruck oft absackt |
Barbara Döring |
14.04.2025 12:00 Uhr |
Herzrasen und Schwindel beim Aufstehen sind typische Zeichen eines posturalen Tachykardiesyndroms (POTS). / © Getty Images/ BSIP/UIG
Bis zu zehn Jahre hat es laut einer Befragung von Patienten mit POTS in der Vergangenheit mitunter gedauert, bis sie eine Diagnose bekommen haben und damit ihren Beschwerden einen Namen geben konnten. Viele Betroffene haben zahlreiche Arztwechsel erlebt und erhielten zunächst fälschlicherweise eine psychiatrische Diagnose, bevor ihre Symptome richtig zugeordnet wurden.
Der Begriff posturales Tachykardiesyndrom dürfte den meisten Menschen nicht unbedingt geläufig sein. Dabei handelt es sich um eine Funktionsstörung des autonomen vegetativen Nervensystems, deren Ursache noch nicht ausreichend verstanden sind. Beim Aufrichten des Körpers – vom Liegen zum Sitzen oder vom Sitzen zum Stehen – oder auch bei längerem Stehen reagiert der Körper mit einer übermäßigen Stressantwort. Typischerweise kommt es zu Herzrasen, ohne dass sich der Blutdruck wesentlich verändert. Den Betroffenen wird schwindelig oder schwarz vor Augen; sie verspüren mitunter Übelkeit und Schwäche oder es bricht ihnen der Schweiß aus. Die Symptome halten jeweils ein paar Sekunden bis Minuten an und können die Betroffenen im Alltag zum Teil stark beeinträchtigen.
Meist tritt POTS bei weiblichen Jugendlichen und Frauen bis 50 Jahren auf, doch auch Kinder können bereits unter der Kreislaufstörung leiden. Dabei sind Mädchen fünfmal häufiger betroffen als Jungen. Beim Aufrichten oder längeren Stehen sammelt sich venöses Blut in den Gefäßen, das Blutvolumen im Herzen nimmt ab und es kommt zu einer geringfügigen Minderdurchblutung des Gehirns. In der Folge werden Barorezeptoren im Bereich der Aorta carotis und des Aortenbogens, die den Druck des fließenden Bluts registrieren, reflexhaft aktiviert. Die Herzfrequenz steigt, die Gefäße in der Peripherie weiten sich und es kommt zur beschriebenen Bewusstseinsstörung, die bis zur Ohnmacht führen kann. Manchmal verschlechtern sich die Beschwerden durch Hitze, Anstrengung, Mahlzeiten oder Alkohol. Auch unabhängig vom Lagewechsel können Symptome wie Sehstörungen, Konzentrationsstörungen, Migräne, Schlafstörungen oder neuropathische Schmerzen auftreten.
Um POTS zu diagnostizieren, ist eine ausführliche Befragung des Patienten erforderlich sowie ein Elektrokardiogramm (EKG), um Herzrhythmusstörungen auszuschließen. Zusätzlich können eine Echokardiografie, eine Ergometrie oder eine Videodokumentation der Symptome sinnvoll sein. Um die Diagnose zu sichern, ist ein Schellongtest oder besser eine Untersuchung mit dem Kipptisch angezeigt. Mit beiden lässt sich die Reaktion des sympathischen Nervensystems auf eine orthostatische Kreislaufbelastung – also die Belastung in aufrechter Position – ermitteln. Beim Schellong-Test mit Stehbelastung steht der Patient nach fünf bis zehn Minuten ruhigem Liegen schnell auf und bleibt weitere fünf bis zehn Minuten aufrecht stehen. Während des Liegens und Stehens werden jeweils minütlich Puls und Blutdruck gemessen.
Beim Gesunden würde beim Aufrichten des Körpers die Herzfrequenz nur leicht steigen und der systolische Blutdruck gleich bleiben oder nur kurz um weniger als 20 mmHg steigen, beziehungsweise der diastolische Blutdruck maximal um 15 mmHg steigen oder um maximal 10 mmHg fallen. Bei POTS-Patienten kommt es dagegen zu einer ausgeprägten Tachykardie, das heißt, die Herzfrequenz steigt innerhalb von 10 Minuten um 30 Schläge pro Minute, bis maximal 120 Schläge pro Minute an. Die Kipptischuntersuchung liefert noch genauere Ergebnisse, da hier die Beinmuskulatur nicht aktiviert wird und EKG und Blutdruck simultan gemessen werden. Auch lassen sich Unterformen des POTS mit der Kipptischuntersuchung besser differenzieren.
Für Patienten ist es wichtig zu lernen, mit der Erkrankung umzugehen. Im akuten Fall hilft es, sich mit angehobenen Beinen hinzulegen oder sich an eine Wand anzulehnen und die Beinmuskulatur zu aktivieren. Um zu verhindern, dass sich übermäßig viel Blut in den Extremitäten sammelt, sind ein tägliches Training der Bein- und Bauchmuskulatur sowie moderates Ausdauer- und Stehtraining zu empfehlen. Schwimmen und Radfahren haben einen besonders hohen orthostatischen Trainingseffekt. Beim Laufen oder Joggen sinkt dagegen der periphere Gefäßwiderstand, sodass diese Sportarten immer mal wieder durch isometrische Bewegungselemente wie etwa Wandkniebeuge oder Unterarmstütze unterbrochen werden sollten. Dabei wird der Muskel für eine Weile angespannt, ohne dynamisch bewegt zu werden.
Kompressionsstrumpfhosen und eventuell eine Abdominal-Binde unterstützen ebenfalls den Rückfluss des Bluts aus den Extremitäten zum Herzen. Patienten sollten zudem zwei bis drei Liter täglich trinken und auf eine ausreichende Salzzufuhr von 8 bis 12 g pro Tag achten, um das Blutvolumen zu erhöhen. Gegebenenfalls sind die Beschwerden auf Grunderkrankungen wie eine Small-Fiber-Neuropathie oder eine Mastzellaktivierung zurückzuführen, die dann ebenfalls zu behandeln ist. Betroffene Kinder sollten nicht prinzipiell vom Schulsport befreit werden, sondern nur von bestimmten Sportarten wie Dauerlauf oder Joggen.
Das Krankheitsbild POTS ist bisher noch unzureichend erforscht und Medikamente sind bislang nicht zugelassen. Verschiedene Präparate werden jedoch off Label ergänzend zur konservativen Therapie angewendet und in schweren Fällen miteinander kombiniert. Dazu zählen beispielweise NaCl-Kapseln oder kurzfristig NaCl intravenös sowie Fludrocortison, Betablocker, das Sympathomimetikum Midodrin oder der If-Kanalblocker Ivabradin. Eine kleine US-amerikanische Studie aus dem Jahr 2024 zeigte, dass Ivabradin die POTS-Symptomatik und die allgemeine Lebensqualität der Patienten verbesserte. Nach der vierwöchigen Einnahme sank die Herzfrequenz der Teilnehmer im Stehen im Vergleich zur Placebo-Gruppe deutlich auf rund 77 Schläge pro Minute.
POTS kann ebenso wie andere Dysfunktionen des autonomen Nervensystems nach einer akuten Infektion auftreten, unter Umständen in Kombination mit einer Postexertionellen Malaise (PEM). Bei dieser pathologischen Belastungsintoleranz verschlechtert sich der Gesamtzustand eines Patienten selbst nach geringer körperlicher oder geistiger Anstrengung für Stunden, Wochen oder sogar dauerhaft. Das Problem: Für beide Krankheitsbilder gibt es gegensätzliche Behandlungsansätze. Während bei PEM das sogenannte Pacing entscheidend ist – also ein schonender Umgang mit den eigenen Energieressourcen, bei dem eine Überlastung strikt zu meiden ist – ist beim POTS um eine stufenweise Erhöhung der körperlichen Aktivität angezeigt. Liegen beide Diagnosen vor, sollte Pacing laut Experten in jedem Fall an erster Stelle stehen und POTS bestmöglich mit nicht medikamentösen Maßnahmen wie ausreichende Trinkmenge und Salzzufuhr, oberschenkellange Kompressionsstrümpfe sowie medikamentös behandelt werden.
Experten rechnen damit, dass die Zahl der POTS-Betroffenen im Zusammenhang mit Post Covid steigen wird. Immerhin dürfte künftig weniger Zeit vergehen, bis die richtige Diagnose gestellt wird. In der deutschen Version der Klassifikation der Krankheiten und Gesundheitsprobleme ICD wurde POTS im Januar 2024 in der Kategorie der Erkrankungen des Nervensystems unter dem Schlüssel G90.80 verbindlich aufgenommen. Ärzte können seit Januar 2025 Leistungen bei POTS abrechnen, unabhängig von deren Ursache. Die Leistungen sind laut des Vereins »POTS und und andere Dysautonomien« ein wichtiger Schritt, um den oft zeitintensiven Behandlungsaufwand zu vergüten und die Aufmerksamkeit und Anerkennung für die bislang weitgehend übersehene Patientengruppe zu erhöhen.
Ein posturales Tachykardiesyndrom kann im Rahmen des Post-Covid-Syndroms (PCS) auftreten. Eine Impfung gegen SARS-CoV-2 könnte das Erkrankungsrisiko jedoch senken. In einer Metaanalyse zeigten sich nach einer SARS-CoV-2-Infektion unter den Ungeimpften Hinweise für eine erhöhte Inzidenz eines POTS gegenüben Geimpften (108 versus 4 von 10.000). Laut der Long-Covid-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) haben Patienten mit postinfektiösem POTS Anspruch auf eine umfassende Diagnostik und multidisziplinäre Therapieansätze, um die Symptome zu lindern und die Lebensqualität zu verbessern.