Wenn Diabetes doppelt auftritt |
Zwei Zuckerkrankheiten – Typ-1- und Typ-2-Diabetes – können bei einer Person gleichzeitig auftreten. / Foto: Adobe Stock/Ingrid Heczko
Typ-1-Diabetes betrifft in Deutschland etwa 340.000 Menschen. Bei der Krankheit zerstören Autoimmunprozesse die insulinproduzierenden Betazellen der Bauchspeicheldrüse. Die Patienten sind zeitlebens darauf angewiesen, Insulin zu spritzen oder per Pumpe zu verabreichen. Eher weniger im Blick haben viele Betroffene, dass sie zusätzlich eine Insulinresistenz entwickeln können. Dabei reagieren die Körperzellen immer schlechter auf Insulin. Patienten mit Typ-1-Diabetes müssen die Insulindosis dann dauerhaft erhöhen, um weiterhin den Blutzucker zu kontrollieren. Sie haben einen »Doppeldiabetes« entwickelt.
Diese auch als Mischtyp-Diabetes oder Hybrid-Diabetes bezeichnete Stoffwechselerkrankung kann in fast jedem Alter auftreten. Erstmals beschrieben haben den Doppeldiabetes 1991 die beiden Diabetologen Bernhard Teupes und Kristian Bergis von der Diabetesklinik Bad Mergentheim. Die Zahl der Betroffenen scheint nicht unerheblich zu sein. 2016 stellten Wissenschaftler aus Deutschland in einer großen epidemiologischen Studie fest, dass 25,5 Prozent der Patienten mit Typ-1-Diabetes zusätzlich das metabolische Syndrom aufwiesen und somit die Kriterien für einen »Doppeldiabetes« erfüllten.
Als Ursache gelten eine genetische Veranlagung und Umweltfaktoren. Viele, aber nicht alle Menschen mit »Doppeldiabetes« sind übergewichtig oder adipös. Übergewicht ist ein Auslöser für eine Insulinresistenz und kann auch Menschen mit Typ-1-Diabetes betreffen, die dank moderner Therapien nicht mehr wie früher strenge Ernährungsvorgaben einhalten müssen. Diabetiker mit Übergewicht haben instabilere Blutzuckerwerte und benötigen mehr Insulin. Der erhöhte Insulinbedarf führt zu Insulinspitzen im Blut, die eine Gewichtszunahme begünstigen. Es kommt ein Teufelskreis in Gang, da Insulin ein Fett aufbauender (adipogener) Faktor ist und die Lipideinlagerung fördert. Betroffene nehmen dann weiter an Gewicht zu, was die Insulinresistenz verschärft. Sie verabreichen sich noch mehr Insulin, was das Gewicht weiter steigen lässt.
In der Folge weisen viele Patienten mit »Doppeldiabetes« Übergewicht, Bluthochdruck, schlechte Blutfettwerte und eine Fettleber auf. Entsprechend steigt das Risiko für makro- und mikrovaskuläre Komplikationen. Eine Nephropathie oder Retinopathie kann die Folge sein. Neben den Nerven leiden auch die Gefäße. Das Risiko für makrovaskuläre Komorbiditäten wie Angina pectoris und Myokardinfarkt, transiente ischämische Insulte und Infarkte sowie die periphere arterielle Verschlusskrankheit ist ebenfalls erhöht.
Die Pathologie des »Doppeldiabetes« erschwert es den Patienten, Gewicht abzunehmen und ihre Zuckerwerte zu kontrollieren. Die Behandlung der komplexen Erkrankung umfasst eine Pharmakotherapie und eine Anpassung der Lebensweise. Ziel ist es, die Blutzuckerkontrolle zu verbessern und diabetesbedingte Komplikationen zu verhindern. Dazu müssen Patienten ihre Insulingabe optimieren. Die Dosis ist stets so zu wählen, dass sie möglichst präzise auf das Essen und die Bewegung abgestimmt ist. Unterzuckerungen sind zu vermeiden, da die Betroffenen dagegen anessen müssten.
Neben einer optimierten Insulintherapie können Antidiabetika erforderlich sein, die sonst vor allem Menschen mit Typ-2-Diabetes verschrieben bekommen. Bei Typ-1-Diabetes werden diese meist außerhalb der Zulassung (»Off-Label-Use«) eingesetzt. Metformin hemmt die Glukoneogenese und kann die Zellen insulinempfindlicher machen. Das senkt den Insulinbedarf und verbessert die Zuckerwerte. Der Arzneistoff wirkt sich zudem positiv auf das Körpergewicht aus.
Ist Metformin kontraindiziert, könnten Gliptine (DPP-4-Inhibitoren) wie Linagliptin, Saxagliptin, Sitagliptin oder Vildagliptin eine Option sein. Sie inhibieren die Dipeptidyl-Peptidase-4 (DDP-4) und blockieren dadurch den Abbau der Inkretinhormone Glucagon-like Peptid 1 (GLP-1) und Glucose-dependent insulinotropic Polypeptid (GIP). Das führt dazu, dass weniger Glucagon freigesetzt wird, welches den Blutzuckerspiegel erhöht. Außerdem verlangsamen Gliptine die Nährstoffaufnahme, indem sie die Magenentleerung verzögern, und sie mindern den Appetit. Die Kombination von Insulin mit einem DPP4-Inhibitor kann den HbA1c-Spiegel senken und die Gewichtszunahme sowie das Auftreten von Hypoglykämien verhindern.
SGLT-2- Hemmer wie Dapagliflozin und Empagliflozin erhöhen die Menge an Zucker, die der Körper mit dem Urin ausscheidet. Das senkt nicht nur den Blutzuckerwert, sondern kann auch das Abnehmen erleichtern. Zu beachten ist, dass der SGLT-2-Hemmer Dapagliflozin 2019 eine Zulassung zur Behandlung von Menschen mit Typ-1-Diabetes und einem BMI ≥ 27 kg/m2 als Zusatz zu Insulin hatte. Allerdings erhöht Dapagliflozin das Risiko für Ketoazidosen. In Deutschland ist das Antidiabetikum seit Oktober 2021 daher nicht mehr für die Behandlung von Patienten mit Typ-1-Diabetes zugelassen.
GLP-1-Analoga wie Exenatid oder Semaglutid werden wie Insulin gespritzt. Die Glutide ahmen die Wirkung des Darmhormons GLP-1 nach und können bei Typ-2-Diabetikern die Bauchspeicheldrüse anregen, Insulin auszuschütten. Weiterhin verzögern sie die Magenentleerung. Das verbessert die Sättigung und reduziert Blutzuckerspitzen nach den Essen. Patienten haben zudem weniger Appetit und können leichter abnehmen. Semaglutid löste wegen diesen Wirkungen zuletzt sogar einen weltweiten Hype als Abnehmhilfe aus.
Welche medikamentösen Optionen für Menschen mit »Doppeldiabetes« am besten geeignet sind, muss noch weiter erforscht werden. Eine Standardtherapie gibt es derzeit nicht. Für weitere Symptome des metabolischen Syndroms wie Bluthochdruck oder Fettstoffwechselstörungen stehen indes bewährte Behandlungen zur Verfügung, die vor weiteren Gefäßschäden schützen können.
Um die Behandlung abzurunden, sind Lebensstilanpassungen erforderlich. Unterschwellige Hinweise und Beratungen in der Apotheke können Betroffene dabei unterstützen, am Ball zu bleiben. Eine Motivation kann sein, dass sie bei guter Adhärenz die Typ-2-Version ihres Diabetes und die damit verbundene Insulinresistenz möglicherweise wieder rückgängig machen können.
Die Prävention beginnt bereits bei von Typ-1-Diabetes betroffenen Kindern. / Foto: Adobe Stock/RFBSIP
Bei der Auswahl der Lebensmittel sollten Patienten komplexe Kohlenhydrate etwa in Vollkornprodukten, Haferflocken und Gemüse bevorzugen. Zucker oder stark verarbeitete Kohlenhydrate lösen Glukosespitzen aus. Es ist allerdings für die meisten Menschen nicht zielführend sich irgendwelche Lebensmittel völlig zu verbieten. Das kann zu Heißhunger und unkontrollierbaren Essanfällen führen. Besser ist es, kalorienreiche und nährstoffarme Lebensmittel wie Schokolade oder Chips in kleinen Mengen als Ausnahmen zuzulassen. Der Großteil der Kost sollte jedoch aus unverarbeiteten Lebensmitteln bestehen.
Das Apothekenteam kann zu täglicher körperlicher Bewegung animieren. Die Patienten bewegen sich bestenfalls mindestens 150 Minuten pro Woche. Als gelenkschonende Belastung sind für übergewichtige Personen mit Diabetes und einer Nervenerkrankung Sportarten wie Schwimmen, Wassergymnastik, Nordic Walking oder Fahrradfahren geeignet. Vor der körperlichen Aktivität passen Menschen mit Typ-1-Diabetes ihre Insulindosis rechtzeitig an, um Unterzuckerungen zu vermeiden.
Das Apothekenteam berät Kunden mit Typ-1-Diabetes auch gerne, wie sie eine Insulinresistenz erst gar nicht entstehen lassen. Die Prävention beginnt bereits bei betroffenen Kindern. Während die genetische Veranlagung nicht veränderbar ist, können Umweltfaktoren kontrolliert werden. Wachsen Kinder in einer adipogenen Umwelt auf, in der unausgewogene und kalorienreiche Lebensmittel jederzeit verfügbar sind, werden sie eher übergewichtig und fettleibig als in einer gesünderen Umgebung. Dabei spielt bei Diabetikern die Blutzuckerkontrolle eine Rolle. Wiederholte Hypoglykämien oder die Angst vor Hypoglykämien können schon bei Kindern zu ungünstigen Essgewohnheiten führen, die eine Fettleibigkeit begünstigen.