Wenn gesundes Essen zur Obsession wird |
Orthorexie wird derzeit nicht als eigenständige Essstörung in Klassifikationssystemen wie dem DSM-5 oder ICD-10 geführt. Das liegt laut Psychologin Barthels auch daran, dass dafür nicht genügend Daten vorliegen: »Störungsbilder werden erst nach langjährigen Forschungsprozessen in den ICD-10 oder DSM-5 aufgenommen. Dafür sind viele Studien nötig, die eindeutig zeigen: Wie sind die Symptome? Wie ist die Prävalenz? Was sind Risikofaktoren? Und die haben wir für die Orthorexie einfach noch nicht.«
Ferner sei wissenschaftlich durchaus umstritten, ob es sich um ein eigenes Krankheitsbild handele: »Viele Stimmen sagen, dass es sich eigentlich nur um eine Variante bekannter Essstörungen handele, also einer Art Magersucht unter dem Deckmantel der gesunden Ernährung.«
Barthels sieht indes gravierende Unterschiede etwa zur Magersucht: »Bei der Orthorexie geht es vor allem auch darum, sich zu ernähren, während bei anderen Essstörungen der Verzicht auf Nahrung im Mittelpunkt steht. Auch die Fokussierung auf ein schlankes Körperbild sehen wir bei der Orthorexie nicht zwangsläufig.«
Nichtsdestotrotz sieht Barthels sowohl Argumente für als auch gegen eine Aufnahme in entsprechende Klassifikationssysteme: Dafür spreche, dass eine offizielle Diagnose auch zur Entwicklung von Fachbüchern und Leitlinien für eine Therapie oder die Einrichtung spezieller Behandlungszentren führen würde. Dann könnten Betroffene leichter Hilfe finden.
Ebenso könnte es allerdings zu einer Pathologisierung von Verhaltensweisen kommen, die eigentlich normal seien oder nur in vorübergehenden Lebensphasen aufträten. Darüber hinaus sei eine Orthorexie etwa für Menschen mit vorheriger Magersucht vielleicht sogar eine Verbesserung: »Betroffene haben in vielen Therapien gelernt, dass Essen wichtig und gut für den Körper ist, behalten aber Kontrolle über ihr Essverhalten, indem sie sich möglichst gesund ernähren – aufgrund der hohen Sterblichkeitsrate bei der Anorexie ist es letztendlich besser, wenn die Person lernt, überhaupt etwas zu essen, selbst, wenn das zwanghaft oder sehr eingeschränkt ist.«