Wenn mütterliches Blut gefährlich wird |
Barbara Döring |
06.10.2022 09:00 Uhr |
Nur wenige Menschen besitzen das Blutgruppenmerkmal Rhesus-negativ. Ist das Kind einer Rhesus-negativen Frau Rhesus-positiv, kann es zu Komplikationen kommen. / Foto: Adobe Stock/TwilightArtPictures
Die bekannteste Form der Blutgruppenunverträglichkeiten ist die Rhesusfaktor-Inkompatibilität, bei der die Schwangere Antikörper gegen Blutgruppenmerkmale von Erythrozyten des ungeborenen Babys bildet. Es kann dazu kommen, dass die Antikörper der Mutter in die kindliche Zirkulation transportiert werden und dort die roten Blutzellen zersetzen. Beim Kind entsteht dadurch eine Blutarmut, die in schweren Fällen zum intrauterinen Fruchttod führt.
Eine weitere Form ist die fetale neonatale Alloimmunthrombozytopenie. Hier besteht die Unverträglichkeit gegenüber Blutgruppenmerkmalen auf den Blutplättchen. Die Antikörper richten sich folglich gegen die Blutplättchen des ungeborenen Kindes, die abgebaut werden, sodass es zu Blutungen kommt – in schweren Fällen zu einer Hirnblutung mit letalen Folgen oder lebenslangen neurologischen Schäden.
»Beide Krankheitsbilder sind ein gutes Beispiel für den Fortschritt des interdisziplinären Faches der Transfusionsmedizin«, sagte Professor Dr. Gregor Bein auf einer Online-Pressekonferenz anlässlich der 55. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie (DGTI). Der Direktor des Zentrums für Transfusionsmedizin und Hämotherapie des Universitätsklinikums Gießen und Marburg gab einen Überblick über Diagnostik und Therapieoptionen bei Blutgruppenunverträglichkeiten.
Der Fortschritt zeige sich unter anderem in der verfeinerten Risikovorhersage der beiden Erkrankungen. Während bei der Unverträglichkeit der roten Blutgruppenmerkmale eine Ultraschalluntersuchung geeignet ist, um resultierende Flüssigkeitsansammlungen zu erkennen, lässt sich mit dieser Methode das Risiko bei der Blutplättchenunverträglichkeit nicht vorhersagen. »Aber wir haben heute sehr genaue Möglichkeiten, vorherzusagen, welche Schwangere eine Prophylaxe braucht, um Komplikationen dieser Erkrankung zu verhindern«, betonte Bein. Praktisch alle relevanten Blutgruppenmerkmale lassen sich durch nichtinvasive Untersuchungen des mütterlichen Blutes diagnostizieren. Es ist nicht mehr notwendig, die Patientin zu punktieren, um für die Untersuchung Fruchtwasser zu gewinnen.
Im letzten Jahr wurde die Untersuchung auf Rhesus-D-Unverträglichkeit in die allgemeine Mutterschaftsvorsorge aufgenommen. Bei jeder Rhesus-D-negativen Schwangeren wird nun der Rhesus-D-Status des Ungeborenen festgestellt, wenn sie damit einverstanden ist. Eine Schwangere, deren ungeborenes Kind Rhesus-D-positiv ist, erhält dann eine Rhesusprophylaxe. Ein großer Fortschritt, denn zuvor war es in Deutschland noch Pflicht, allen Rhesus-D-negativen Schwangeren die Prophylaxe zu geben. Die Untersuchung spart Medikamente und verhindert, dass Schwangere unnötig die Prophylaxe-Spritze bekommen.
Bein stellte zudem einen neuen Therapieansatz bei Blutgruppenunverträglichkeit vor, der in einer Phase-II-Studie getestet wird: Der monoklonale Antikörper Nipocalimab blockiert das Transportmolekül für mütterliche Antikörper an der Plazenta. Aus der erfolgreich abgeschlossenen Rekrutierung der Studie lasse sich schließen, dass das Therapieprinzip erfolgreich ist, betonte der Transfusionsmediziner. Aktuell besteht die Behandlung von schweren Fällen der Erythrozyten-Unverträglichkeit in Bluttransfusionen, die dem Ungeborenen im Mutterleib verabreicht werden. Bei der Unverträglichkeit gegen Blutplättchen gibt es eine Prophylaxe mit Immunglobulinen.
Sehr interessant seien auch experimentelle Therapieverfahren wie die aus der Krebstherapie bekannte CAR-T-Zell-Therapie (Chimeric-Antigen-Receptor-T-Zellen). Diese sei geeignet, jene B-Lymphozyten antigenspezifisch zu eliminieren, welche die krankmachenden Antikörper produzieren. So wäre keine komplette Immunsuppression oder vollständige Blockade des Übergangs mütterlicher Antikörper in die kindliche Zirkulation nötig, sondern eine zielgerichtete Therapie möglich.
Frauen könne man mit auf den Weg geben, dass es beim Nachweis entsprechender Antikörper keinen Grund gibt, auf den Kinderwunsch zu verzichten. »Wir haben heute Diagnostik- und Therapiemöglichkeiten, die es nahezu allen betroffenen Schwangeren ermöglichen, ein gesundes Kind zur Welt zu bringen«, so Bein. Die Patientinnen seien in Spezialzentren, in denen interdisziplinäre Teams aus Transfusionsmedizinern, Pränatalmedizinern und Neonatologen zusammenarbeiten, sehr sicher aufgehoben.