Wenn Weizen schockt |
Isabel Weinert |
04.03.2024 08:00 Uhr |
Menschen mit WDEIA dürfen Weizen essen, aber nicht, ohne stets strikte Regeln einzuhalten. / Foto: Getty Images/Kathrin Ziegler
Was steckt hinter der Abkürzung »WDEIA«?
Der Begriff lautet auf Englisch »wheat dependent excercise induced anaphylaxis«. Er beschreibt ein Syndrom, bei dem Menschen nach dem Verzehr von Weizen und darauffolgend einer stärkeren Anstrengung Symptome einer Anaphylaxie entwickeln. Ohne den Trigger Anstrengung nach dem Weizenverzehr merken die Betroffenen nichts von dieser Allergieform. Man bezeichnet WDEIA deshalb auch als »Summationsanaphylaxie«. Erst die Summe aus mehreren Faktoren löst das Ereignis aus. Von dieser seltenen Allergieform sind vor allem Erwachsene betroffen. Es handelt sich um eine IgE-vermittelte Weizenallergie, die zwar jeden Menschen treffen kann, aber häufiger solche mit einem bestimmten Typ der Humanen Leukozytenantigene (HLA).
Wie diagnostiziert man WDEIA?
Das stellt sich nicht ganz so einfach dar und ist mitunter auch ein längerer Weg, weil Betroffene selbst oft längere Zeit keinen Zusammenhang zwischen Ernährung, Bewegung und Symptomatik herstellen können. Allergologen erfragen Symptome und Zusammenhänge mit der Ernährung und führen einen Prick-to-Prick-Test durch. Dabei bringt man die Lanzettenspitze zunächst in das zu testende Lebensmittel (in diesem Fall Weizenmehl) ein und sticht sie anschließend in die Haut. So gelingt der Kontakt zwischen Allergen und Immunzellen. Das Ergebnis wird nach 15 bis 20 Minuten dokumentiert. Mit dem Testergebnis lässt sich aber keine spezifische Aussage zu WDEIA treffen, weil die Immunzellen auf diese Art auch bei anderen vorliegenden Weizenallergien reagieren. Sicheren Aufschluss gibt deshalb eine Blutuntersuchung auf spezifische IgE-Antikörper gegen Omega-5-Gliadin. In 80 Prozent der Fälle bestätigt dieser Weg den Verdacht.
In welchen Symptomen äußert sich WDEIA?
Meistens handelt es sich um einen ganzen Symptomkomplex, der in unterschiedlicher Schwere auftritt. Bei leichteren anaphylaktischen Reaktionen erleiden die Betroffenen eine Reaktion der Haut und eventuell der Schleimhäute, und zwar eine Nesselsucht. Zudem kann das Gesicht ödematös anschwellen, die Haut jucken, Hitze ins Gesicht »schießen«. In schweren Fällen zieht die allergische Reaktion das Herz-Kreislauf-System in Mitleidenschaft, der Puls rast, den Patienten ist schwindelig, der Blutdruck rauscht in den Keller bis zur Bewusstlosigkeit, die Patienten leiden unter Atemnot. Oft reagieren auch Magen und Darm. Das äußert sich dann in Übelkeit, Durchfällen, Bauchschmerzen, Erbrechen.
Wie schnell entwickeln sich die Symptome?
Symptome können sich bereits binnen der ersten halben Stunde entwickeln, aber auch erst nach bis zu sechs Stunden bemerkbar machen. Dabei ist es unerheblich, wie groß die verzehrten Weizenmengen waren. Vielmehr spielt eine Rolle, wann die Weizenbestandteile, Hauptallergen ist Omega-5-Gliadin, in die Blutbahn gelangen. Das hängt unter anderem von der Zusammensetzung der Mahlzeit ab.
Braucht man bei Symptomen in jedem Fall den Notarzt?
Ein anaphylaktischer Schock ist ein potenziell lebensbedrohliches Ereignis. Deshalb muss man bei Verdacht darauf auf jeden Fall den Notarzt rufen. Weil man selbst nicht weiß, wie sich anfängliche Symptome weiterentwickeln, müssen Patienten stets ein Notfallset bei sich tragen, das Antihistaminikum-Tropfen enthält, eine Glucocorticoidlösung und einen Adrenalin-Autoinjektor. Bis zum Eintreffen des Notarztes können sie sich damit schon einmal selbst erste Hilfe leisten oder sie von anderen erhalten, sofern Betroffene derart bei Bewusstsein sind, dass sie problemlos schlucken können.
Ist man einer WDEIA lebenslang hilflos ausgeliefert?
Nein, zum Glück nicht. Mit dem richtigen Verhalten lässt sich das Risiko fast auf null senken. Entweder verzichten Betroffene vollständig auf Weizenprodukte oder sie halten feste Zeitabstände zwischen Weizenverzehr und Bewegung ein. Vier bis sechs Stunden Abstand sollen es laut Experten sein. Allerdings darf in diesem Zeitraum tatsächlich keine Bewegung »dazwischen kommen«. Denn sogar ein Spurt zum Zug kann ausreichen, um die anaphylaktische Symptomatik auszulösen. Auf Nummer sicher gehen Betroffene, wenn sie sich morgens vor dem Frühstückt bewegen. Der vollständige dauerhafte Verzicht auf Weizen könnte kontraproduktiv sein, zeigen wissenschaftliche Erkenntnisse. Immer wieder ein wenig davon zu essen, scheint nämlich geeignet, um die Toleranz dem Allergen gegenüber wieder zu erhöhen. Das genaue Vorgehen sprechen Patienten am besten mit dem Arzt ab.
Darf man weizenfreies Getreide essen, also zum Beispiel Roggen?
In der Regel werden diese Getreidearten vertragen, allerdings kann auch Roggen Beschwerden auslösen, weil eine Kreuzreaktion mit Weizen möglich ist. Ob das individuell zutrifft, testen Mediziner vorsichtshalber aus. Alles, was weder Weizen noch Roggen enthält, also Produkte aus Hafer, Mais, Reis, Hirse, Buchweizen, Quinoa, Amarant oder Hülsenfrüchten, eignet sich gut als Alternative für Menschen mit WDEIA.
Ist Bewegung der einzige Co-Faktor, um die Symptomatik zu verursachen?
Nein, es gibt weitere Substanzen, die die anaphylaktische Reaktion auslösen können. Dazu zählen Analgetika wie Protonenpumpenhemmer (PPI), außerdem NSAR und Acetylsalicylsäure. Unter der Therapie mit PPI steigt der pH-Wert im Magen an, dadurch wird Nahrung langsamer hindurchgeschleust und verdaut und Eiweiße werden in geringerem Umfang gespalten. Das steigert womöglich die Menge an Gliadinen, die resorbiert werden, so die Annahme von Wissenschaftlern. Die genannten Schmerzmittel wiederum steigern die Aufnahme von Gliadinen aus dem Darm in die Blutbahn. Alkohol plus Weizen kann die Symptomatik ebenfalls hervorrufen.