In der Atemwegssaison muss die Lunge bestmöglich geschützt werden. / © Getty Images/Frazao Studio Latino
»Die Inzidenz invasiver Pneumokokken-Erkrankungen ist in den vergangenen Jahren erheblich gestiegen«, informierte Professor Dr. Claus Vogelmeier, Internist und Pneumologe aus Marburg, bei einer Pressekonferenz des Unternehmens Pfizer. In der Tat: Laut Daten des Robert-Koch-Instituts (RKI) stiegen postpandemisch die Erkrankungszahlen bei Erwachsenen, und zwar mit einem verfrühten saisonalen Beginn und einem Anstieg der Fallzahlen im Herbst. In den vergangenen Wintermonaten lagen die Fallzahlen besonders hoch.
»Die Pneumokokken-Impfung ist das ganze Jahr über sinnvoll, doch gerade jetzt – noch bevor die Zahlen invasiver Pneumokokken-Erkrankungen vermehrt ansteigen – sollten vulnerable Personengruppen durch ihre behandelnden Ärzte aktiv angesprochen und geimpft werden, eventuell auch in Kombination mit der Influenza- und Covid-19-Impfung. Die Immunisierung kann nicht nur vor Infektionen schützen, sondern auch vor schweren Verläufen wie einer Pneumonie oder gar einer Sepsis sowie Meningitis«, betonte Vogelmeier.
Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt denn auch für Menschen ab 60 Jahren standardmäßig sowie für Personen ab 18 Jahren mit chronischen oder immunschwächenden Grunderkrankungen indikationsbedingt die einmalige Impfung gegen Pneumokokken. Sie sollen seit März 2024 den 20-valenten Konjugatimpfstoff (PCV20, Prevenar 20®) bekommen, da dieser einen breiten Schutz gegen jene 20 Serotypen vermittelt, die bei Erwachsenen hierzulande mit schwerwiegenden Verläufen assoziiert sind.
»Erwachsene mit Grunderkrankungen, die in der Vergangenheit bereits eine Impfung mit dem Vorgänger, dem 23-valenten Polysaccharidimpfstoff, erhalten haben, sollen in einem Mindestabstand von sechs Jahren eine Impfung mit PCV20 erhalten«, führte der Lungenexperte aus. Zu einer möglichen Auffrischungsimpfung macht die STIKO derzeit keine Angaben. Vogelmeier geht aber davon aus, dass die Immunantwort länger anhaltend sein wird als die des 23-valenten Impfstoffs und dass eventuell eine Auffrischung nach »fünf bis acht Jahren« möglich werden könnte.
Chronisch kranke Kinder ab zwei Jahren sollten eine sequenzielle Impfung mit PCV13 oder PCV15, gefolgt von PPSV23 nach sechs bis zwölf Monaten erhalten. Zudem sieht die STIKO für alle Säuglinge ab einem Alter von zwei Monaten eine Grundimmunisierung gegen Pneumokokken vor. Dabei sollten aufgrund der Unreife des Immunsystems ausschließlich Konjugatimpfstoffe (PCV13 und PCV15) verwendet werden. Bei ihnen ist das Antigen an ein Trägerprotein gekoppelt («konjugiert«), was die Immunreaktion verstärkt.
Bei Pneumokokken handelt es sich um grampositive Bakterien der Art Streptococcus pneumoniae, die meist als Diplokokken vorliegen und von einer Polysaccharid-Kapsel umgeben sind. »Diese Kapsel ist der wichtigste Virulenzfaktor«, berichtete Vogelmeier. Dies bedeutet, dass die Polysaccharid-Zusammensetzung der Kapsel die krankmachende Wirkung der Erreger ausmacht. Sie kommt in etwa 100 verschiedenen Serotypen vor. Manche wie Typ 3 oder 19F sind stärker verkapselt, was zu einer erhöhten Virulenz führt.
»Wir erleben immer wieder eine Verschiebung von Serotypen.« Derzeit im Fokus: invasive Pneumokokken-Erkrankungen durch Serotyp 4. Er gewinnt vor allen Dingen bei den jüngeren Erwachsenen an Bedeutung und gehörte in der vergangenen Saison zu den fünf häufigsten Serotypen bei den 18- bis 59-Jährigen. Bei Kindern und Teenagern löste Serotyp 4 kaum solche Fälle aus, so der Pneumologe.
Das größte Erregerreservoir sind Menschen mit asymptomatischer nasopharyngealer Kolonisation, vor allem kleine Kinder unter fünf Jahren sind Keimträger von S. pneumoniae. Sie finden sich bei mehr als 50 Prozent der Kleinkinder unter fünf Jahren und etwa 5 bis 10 Prozent der Erwachsenen. »Dieses klassische Enkelkinder-Großeltern-Phänomen, dass die Kinder den Keim auf die Großeltern übertragen, stimmt so nicht mehr«, machte Vogelmeier deutlich. Neuere Studien zeigten, dass S. pneumoniae auch bei Erwachsenen direkt erstmals vorkommen kann und dass bestimmte Serotypen wie Typ 4 bevorzugt von Erwachsenen auf die Senioren übertragen werden können.
Pneumokokken sind die häufigsten bakteriellen Erreger einer ambulant erworbenen Pneumonie. Die dadurch bedingte Mortalitätsrate steigt mit dem Alter und durch relevante Grunderkrankungen. »Die Hospitalisierungsrate liegt bei den über 60-Jährigen bei 52 Prozent. Fast ein Fünftel von ihnen versterben noch im Krankenhaus, die 1-Jahres-Mortaliltät liegt bei fast 50 Prozent. Etwa ein Viertel der Pneumokokken-Pneumonien verlaufen bei hospitalisierten Patienten bakteriämisch. Die Letalität ist mit 12 Prozent bei Personen ab 60 Jahren extrem hoch«, konkretisierte Vogelmeier mit aktuellen Daten.
»Die Tatsache, dass eine Pneumonie generell zu einer Exazerbation der zugrundeliegenden Erkrankung führt, trifft besonders bei Menschen mit kardiovaskulären Grunderkrankungen zu.« So sei das Risiko einer ambulant erworbenen Pneumonie bei chronischen Herz-Kreislauf-Erkrankungen um mehr als das Dreifache erhöht, und das über Jahre hinweg. Jeder fünfte Patient, der mit einer Pneumonie hospitalisiert wird, verstirbt im Krankenhaus, weitere 5 Prozent innerhalb der ersten 30 Tage nach Entlassung. Dabei stehen kardiovaskuläre Ursachen mit über 60 Prozent im Vordergrund. Besonders erschreckend laut des Experten: »Die erhöhte Mortalitätsrate bleibt noch bis zehn Jahre nach dem Ereignis bestehen.«
Vor allem im Zusammenspiel mit anderen Atemwegserregern treibt Staphylococcus pneumoniae sein fatales Zusammenspiel: So sei er mit 35 Prozent der häufigste Erreger von Koinfektionen von hospitalisierten Influenzapatienten. Und auch bei stationären RSV-Patienten ist er in 23 Prozent der Fälle der häufigster Zweiterreger, berichtete Vogelmeier.
»Wir müssen deshalb Impfungen als kardiovaskuläre Präventionsmaßnahme verstärkt in der Praxis umsetzen. Das geht nur durch Aufklärung.« Die Relevanz der Impfung als Präventionsmaßnahme wird seit wenigen Monaten von Fachgesellschaften hervorgehoben. So betont beispielsweise die Europäische Gesellschaft für Kardiologie in ihrem aktuellen Konsensuspapier, dass Impfungen eine wichtige und eigenständige Säule zur kardiovaskulären Prävention darstellen, und empfiehlt in diesem Zusammenhang auch eine Impfung gegen Pneumokokken. Besonders Risikogruppen profitierten vom Impfschutz.
Vogelmeier zeigte sich angesichts niedriger Impfraten von nur etwa 20 Prozent bei den über 60-Jährigen höchst unerfreut. Auch die Durchimpfungsraten bei den Säuglingen sei nicht zufriedenstellend, weil noch zu viele keine Boosterung oder Impfungen nur zeitversetzt bekommen. »Wir adressieren unser Konzept, dass die ganz Jungen die Älteren schützen, nicht gut. Insofern kann der Schutz zwischen den Generationen nicht gut funktionieren.«
Eine Option, die Impfquoten zu steigern, sieht er in der vermehrten Nutzung von Parallelimpfungen. Die Koadministration bei einem Termin empfiehlt die STIKO seit zwei Jahren explizit bezüglich der Impfungen gegen Influenza, Covid-19 und Pneumokokken. »Dadurch können wir unsere Patienten noch umfangreicher vor Atemwegsinfektionen schützen und Impftermine gering halten. Auch das Risiko durch Koinfektionen wird so minimiert; man denke nur an die Verbindung von Pneumokokken- und Influenzapatienten«, so Vogelmeier.
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.