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Dicke Luft

Wie Arzneimittel zur Luftverschmutzung beitragen

Über Millionen Jahre ist die Zusammensetzung der Luft annähernd gleich geblieben. Seit der industriellen Revolution jedoch stören die anthropogenen Einträge von Gasen wie Kohlenstoffdioxid, Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKW), Schwefel- und Stickstoffoxiden zunehmend das empfindliche Gleichgewicht. Nach reichlich 150 Jahren spürt die Menschheit die Auswirkungen. Wahrscheinlich tragen auch Arzneimittel ihren Teil bei.
Edith Schettler
05.09.2022  12:00 Uhr

Die Beschaffenheit der bodennahen Schicht, auch Troposphäre genannt, ist bis in eine Höhe von 8 Kilometern relativ stabil. Die Hauptbestandteile trockener Luft sind Stickstoff (78,08 Prozent), Sauerstoff (20,94 Prozent) und das Edelgas Argon (0,93 Prozent). Das vielbeachtete Kohlenstoffdioxid zählt mit einem Anteil von 0,038 Prozent nur zu den Spurengasen, zu denen zum Beispiel auch weitere Edelgase, Wasserstoff, Methan, Distickstoffoxid, Schwefeldioxid und Halogenkohlenwasserstoffe gehören. Die prozentuale Menge an Wasserdampf ist abhängig vom Wetter und beträgt durchschnittlich 1,3 Prozent.

Die für Störungen durch synthetische Gase empfindlichste Schicht der Atmosphäre ist die Stratosphäre. Diese schließt sich an die Troposphäre an und ist von dieser durch die Tropopause getrennt, eine dünne Schicht, die den Stoffaustausch zwischen beiden Schichten reguliert. Teil der Stratosphäre ist die Ozonschicht, die die Erde vor der UV-Strahlung schützt. FCKW beispielsweise können die Tropopause überwinden und zerfallen in der Stratosphäre unter dem Einfluss der UV-Strahlung in Radikale, welche wiederum das Ozon zersetzen.

In der Troposphäre reichern sich die Rückstände der Verbrennung von Kohle, Erdöl und Erdgas an und führen zum Treibhauseffekt, zu saurem Regen, Smog und Feinstaub. Dass auch Arzneimittel die Zusammensetzung der Luft beeinflussen, ist sicher – allerdings bisher noch so gut wie nicht erforscht.

Indirekte Verschmutzung

Obwohl die Industrienationen durch gesetzliche Regelungen zur Luftreinhaltung die lokale Luftverschmutzung begrenzen, sind sie die größten Emittenten von Schadstoffen. Ihr Anteil erhöht sich noch erheblich, wenn man die in Schwellenländer ausgelagerte Produktion in die Betrachtung einbezieht. Selbst Mikroplastik und Pestizide sind in der Luft nachweisbar. Verunreinigungen der Luft bleiben nicht auf den Ort ihrer Entstehung begrenzt, Luftbewegungen tragen sie bis in unbewohnte Gebiete wie die Arktis.

Hohes Risiko

Die Luftverschmutzung stellt ein hohes Gesundheitsrisiko dar. Die Europäische Umweltagentur schätzt, dass saubere Luft im Jahr 2019 in Europa mindestens 178.000 Menschen das Leben hätte retten können. Die Grenzwerte der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für Luftqualität konnte im vergangenen Jahr kein einziges Land einhalten. Lediglich 3,4 Prozent der untersuchten Städte erfüllten die Norm. Die globalen Luftgüteleitlinien der WHO berücksichtigen die klassischen Schadstoffe Feinstaub, Ozon, Stickstoffdioxid, Schwefeldioxid und Kohlenmonoxid.

Jedes industriell produzierte und bis zum Endverbraucher transportierte Arzneimittel trägt mit allen diesen Stoffen zur Luftverschmutzung bei. Diese Emissionen durch Herstellung und Distribution lassen sich natürlich nicht ausschließen. Allerdings ist es nicht unerheblich, in welchem Land die Produktion stattfindet, wie hoch die Umweltstandards dort sind und wie weit der Weg bis zum Patienten ist. Den überwiegenden Teil der in deutschen Apotheken abgegebenen Arzneimittel produzieren Firmen in Indien und China, zumindest aber die Wirkstoffe. Diese werden von Asien nach Europa transportiert, wo sie zu Bulkware verarbeitet werden.

Die Verpackungen für die einzelnen Arzneimittel kommen auch aus Asien oder aus anderen europäischen Ländern. Die Konfektionierung erfolgt dann am nächsten Standort, sodass das Arzneimittel während seiner Herstellung im ungünstigsten Fall mehrmals zwischen Europa und Asien hin- und herpendelt, was mehrere Monate in Anspruch nimmt. Die Endfreigabe muss aus rechtlichen Gründen in Europa erfolgen. Das fertige Medikament hat dann mitunter bereits eine Reise von 10.000 Kilometern hinter sich. Trotzdem ist das Ganze immer noch billiger als die Produktion in Deutschland. Die sogenannte Roland-Berger-Studie aus dem Jahr 2018 hat ergeben, dass die Rückholung der Produktion nach Deutschland durch hohe Kosten für die Errichtung der Produktionsstätten, regulatorische Anforderungen und hohe Arbeitskosten zu enormen finanziellen Verlusten für die Hersteller führen würde.

Staub im Stall

Auch der Arzneistoff selbst und die Hilfsstoffe gelangen im Produktionsprozess in die Luft. Untersuchungen der Raumluft in Zytostatika herstellenden Krankenhausapotheken ergaben eine Belastung pro Kubikmeter im Nano- bis Milligrammbereich. In pharmazeutischen Betrieben waren die Konzentrationen noch deutlich höher. Welche Relevanz die Werte haben, wie stabil sich die Stoffe in der Luft halten und mit welchen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, dazu gibt es bisher noch keine Aussagen.

Eine weitere Quelle für Arzneimittel in der Umwelt ist die Luft in Tierställen. Messungen haben belegt, dass Rückstände von Tierarzneimitteln in die Stallluft gelangen, über das Abluftsystem herausgetragen und in der Umgebung verteilt werden. Vermutlich sinken sie mehr oder weniger schnell zu Boden, lagern sich auf Pflanzen ab oder landen im Wasser. Besonders bedenklich ist die Tatsache, dass gesunde Tiere oder Personen, die sich im Stall aufhalten, den Arzneimittelstäuben ausgesetzt sind. Antibiotika sind die am häufigsten an Masttiere verabreichte Arzneimittelgruppe, ihre unbeabsichtigte Inhalation begünstigt die Ausbildung von Resistenzen. Bisher wurden Tierarzneimittel meist als Pulver ins Futter gemischt, langsam setzt sich jetzt jedoch die Anwendung von Pellets oder Lösungen durch. Damit verringert sich die Staubbelastung deutlich, was auch aus Gründen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes der Beschäftigten dringend notwendig ist.

In einer Grauzone der Entsorgung von Altarzneimitteln befinden sich die Dosieraerosole. Sie sind die größte Gruppe der Arzneimittel zur Inhalation. Als Treibgas kommen die klimaschädlichen Flurane Norfluran und Apafluran zum Einsatz. Vor allem Apafluran ist ein starkes Treibhausgas, das jedoch nur noch in Aarane®-, Allergospasmin®-, Flutiform®- und Symbicort® 160/4 Dosieraerosol enthalten ist. Wo möglich, sollte der Arzt Norfluran enthaltende Dosieraerosole oder Pulverinhalatoren einsetzen, wenn er umweltbewusst verordnen möchte. Eine Übersicht zur Information stellt die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin zur Verfügung. Die meisten Dosieraerosole gelangen zur Entsorgung, weil ihr Verfalldatum erreicht ist, und enthalten neben dem Treibgas noch mehrere Dosen des Arzneistoffes. Dosieraerosole gehören deshalb zu den gefährlichen Abfällen und dürfen keinesfalls in die Restmülltonne oder den Gelben Sack gelangen. Reste sollten besser in der Packung bleiben, Apotheken, Schadstoffmobile und Wertstoffhöfe nehmen sie als Sondermüll kostenlos entgegen.

Mit gutem Beispiel

Eine Berufsgruppe im Gesundheitsdienst hat sich besondere Gedanken um die Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf die Umwelt gemacht: die der Anästhesisten. Die Fachärzte haben erkannt, dass ein großer Teil der Treibhausgase, die das deutsche Gesundheitswesen verursacht, in der Anästhesie entsteht. Die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) und der Bund Deutscher Anästhesisten (BDA) haben Anfang 2020 die Kommission »Nachhaltigkeit in der Anästhesiologie« gegründet. Diese Kommission hat ein Positionspapier zum Thema »Ökologische Nachhaltigkeit mit konkreten Handlungsempfehlungen zur Anästhesiologie und Intensivmedizin« erarbeitet.

Die auf dem Markt befindlichen Inhalationsnarkotika enthalten überwiegend die FCKW Halothan, Isofluran und Enfluran oder die Fluorkohlenwasserstoffe (FKW) Sevofluran und Desfluran. Bereits im Jahr 2005 vereinbarten die Vertreter der Vereinten Nationen im Kyoto-Protokoll eine weltweite Reduktion des Einsatzes unter anderem der halogenierten Kohlenwasserstoffe und von Lachgas (Distickstoffmonoxid), ließen jedoch mit den Anästhetika als medizinisch notwendige Substanzen eine Ausnahme zu.

Die Kommission rechnet vor, dass eine siebenstündige Anästhesie mit 6-prozentigem Desfluran dem Klimaeffekt einer Autofahrt vom Nordkap in Norwegen bis nach Kapstadt in Südafrika über 15.698 Kilometer entspricht. Als Alternative empfiehlt sie die weniger ozonschädlichen Inhalationsnarkotika Isofluran und Sevofluran, intravenöse Anästhesien mit Propofol oder regionale Anästhesien. Auch Lachgas sollte nur bei dringender medizinischer Indikation zum Einsatz kommen.

Es gibt bereits eine technologische Lösung für das sichere Auffangen und die Wiedergewinnung von Sevofluran, Desfluran und Isofluran. Diese gelangten bisher ungefiltert über Absaugsysteme in die Abluft. Ein Narkosegasfilter fängt nun das vom Patienten ausgeatmete Gas auf und speichert es für eine Rückgewinnung. Er macht damit die Absauganlagen in den OP-Sälen zum Teil überflüssig, wodurch die Klinik ihre Betriebskosten senken kann. Die Wiedergewinnung des Wirkstoffes trägt dazu bei, Ressourcen zu schonen und die Luftverschmutzung zu verringern. 

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