Wie die neuen Migräne-Therapeutika einzuordnen sind |
Juliane Brüggen |
14.09.2022 16:00 Uhr |
Neue Therapieoptionen sind eine Chance für Patienten, die auf bisherige Therapien nicht richtig angesprochen haben. / Foto: Getty Images/Tero Vesalainen
Migräne und ihre Therapie werden schon seit langer Zeit erforscht. »Es gibt aber noch viel zu verbessern«, sagt Privat-Dozent Dr. Tim Jürgens. Der Chefarzt der Klinik für Neurologie am KMG Klinikum Güstrow stellte im Rahmen einer Pressekonferenz der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) neue Therapieoptionen vor. Nur ein Drittel der Patienten, die in einem spezialisierten Kopfschmerzzentrum ankommen, hätte laut Studien zuvor eine leitliniengerechte Therapie erhalten, erläuterte der Experte.
Hilfreich seien aber neue Therapieoptionen. Denn bisher gab es zur Akutbehandlung einer Migräneattacke nur eine spezifische Therapie: Triptane wie etwa Sumatriptan oder Naratriptan. Nun sind zwei Arzneistoffklassen – Ditane und Gepante – hinzugekommen. Der erste Vertreter der Ditane, Lasmiditan (Rayvow® Filmtabletten), hat im August 2022 eine EU-Zulassung erhalten; Rimegepant (Vydura® Lyophilisat zum Einnehmen) im April 2022 – die Markteinführung der Präparate steht noch aus. Im Bereich der Migräne-Prophylaxe erweiterten CGRP-Antikörper seit 2018 das Portfolio, berichtete Jürgens, zuletzt Eptinezumab (Vyepti® Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung), das seit Januar 2022 in der EU zugelassen und seit September im Handel ist.
Sowohl Triptane als auch die neuen spezifischen Migräne-Therapeutika zielen darauf ab, das »Calcitonin Gene-Related Peptide« (CGRP) in Schach zu halten. Das Neuropeptid wird während einer Migräneattacke freigesetzt und wirkt erweiternd auf die Gefäße sowie entzündungsfördernd. Auch bei der Schmerzweiterleitung im trigeminalen System spielt es eine Rolle. Triptane verhindern die Freisetzung von CGRP, indem sie Serotonin-Rezeptoren (5-HT1B und 5-HT1D) der Nervenzellen aktivieren. Lasmiditan, das Jürgens als ein »weiterentwickeltes Triptan« beschrieb, bindet an einen anderen Serotonin-Rezeptor (5-HT1F). Dadurch wirkt es im Gegensatz zu den Triptanen nicht vasokonstriktorisch an peripheren Gefäßen.
Gepante wie Rimegepant wirken »genau am anderen Ende – nämlich an dem Rezeptor, an den das CGRP andocken würde«, so Jürgens. Damit blockieren sie Signalwege, die durch das Neuropeptid ausgelöst würden. CGRP-Rezeptoren finden sich an Stellen, die für die Pathophysiologie der Migräne relevant sind, wie in den Wänden zerebraler Gefäße und Arterien der äußersten Hirnhaut (Dura mater), im trigemino-vaskulären System und in zentralen schmerzleitenden Strukturen.
Auch der Antikörper Erenumab besetzt diesen Rezeptor, wenn auch über einen anderen – immunologischen – Mechanismus. Fremanezumab, Galcanezumab und Eptinezumab sind hingegen Liganden-Antikörper und binden an das Neuropeptid selbst, nachdem es freigesetzt wurde.
Antikörper gegen CGRP beziehungsweise CGRP-Rezeptor | Applikation |
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Erenumab (Aimovig®) | 70/140 mg subkutan alle 28 Tage |
Fremanezumab (Ajovy®) | 225 mg subkutan pro Monat |
Galcanezumab (Emgality®) | Initial 240 mg, dann 120 mg subkutan pro Monat |
Eptinizumab (Vyepti®) | 100 mg intravenös alle 3 Monate |
Lasmiditan zeigte in Studien eine mit den Triptanen vergleichbare Wirksamkeit in der Akuttherapie. Bei Studienteilnehmern mit kardiovaskulären Risikofaktoren wurden keine Komplikationen beobachtet – ein Vorteil gegenüber den Triptanen, wie Jürgens betonte. Denn diese sind bei vielen Herz-Kreislauf-Krankheiten kontraindiziert. Allerdings sind zentrale Nebenwirkungen wie Benommenheit, Schläfrigkeit und Schwindel möglich.
Rimegepant schneidet laut Jürgens etwas schlechter ab als die Triptane. Letztere führten in Studien zwei Stunden nach Einnahme bei 30 bis 40 Prozent der Migräne-Patienten zu Schmerzfreiheit, nach Einnahme von Rimegepant war dies nur bei 20 Prozent der Fall. Einen Pluspunkt hat der neue Arzneistoff aber: »Rimegepant mag die etwas schlechtere Akutwirksamkeit in den Studien dadurch wettzumachen, dass man es auch für die Prophylaxe verwenden kann«, führte der Neurologe aus – laut Zulassung bei Patienten, die mindestens vier Migräneattacken pro Monat haben. Dazu nehmen sie das Medikament jeden zweiten Tag ein. Gepante scheinen hierbei – im Gegensatz zu Triptanen – keinen medikamenten-induzierten Kopfschmerz auszulösen. Außerdem zeigten sie im Zellversuch keinen Einfluss auf die Kontraktiliät von humanen Koronararterien, also die Fähigkeit der Gefäße, sich zusammenzuziehen. Somit können auch Patienten mit Herz-Kreislauf-Risikofaktoren diese Therapie erhalten.
Das Fazit des Experten: Die beiden neuen Therapieoptionen ermöglichten es, »in der Akuttherapie der Migräne auch bei denjenigen positive Therapieeffekte zu erzeugen, die Triptane nicht vertragen, bei denen Triptane kontraindiziert oder bei denen sie nicht wirksam sind«.
Triptane sind ebenso wie andere Analgetika bei Kopfschmerzen nicht für eine dauerhafte Einnahme geeignet, da sie mit der Zeit eine Überempfindlichkeit in zentralen Strukturen hervorrufen. Dadurch kann der Kopfschmerz chronisch werden. Man spricht auch von Kopfschmerz durch Medikamentenübergebrauch (engl. Medication Overuse Headache – MOH).
Als kritisch gilt die Einnahme von nicht-opioiden Monoanalgetika wie Ibuprofen oder Paracetamol an 15 oder mehr Tagen im Monat sowie die Einnahme/Applikation von (koffein- oder codeinhaltigen) Kombinationsanalgetika, Triptanen, Mutterkornalkaloiden oder Opioiden an zehn oder mehr Tagen im Monat.
Seit 2018 stehen verschiedene CGRP-Antikörper zur Prophylaxe von Migräneanfällen zur Verfügung. Eptinezumab – der neueste Vertreter – unterscheidet sich durch die intravenöse Applikation von den anderen Migräne-Antikörpern. Der Patient erhält die Infusion alle drei Monate. Im Gegensatz dazu können Patienten die anderen Antikörper selbst subkutan applizieren. Eptinezumab punkte aber mit einer besonders schnellen Wirkung, so Jürgens– schon einen Tag nach der Gabe.
Er machte weiterhin darauf aufmerksam, dass die Erstattung der Antikörper an bestimmte Bedingungen geknüpft ist. Ärzte dürfen sie demnach nur zulasten der Krankenkassen verordnen, wenn die »herkömmlichen« Therapieoptionen zur Prophylaxe ausgeschöpft sind. Dazu zählen die Beta-Blocker Propranolol, Metoprolol und Bisoprolol sowie Flunarizin, Valproinsäure, Topiramat, Amitriptylin und Onabotulinumtoxin A. Die Regelung stehe jedoch der Studienlage entgegen, die den Antikörpern zum Beispiel eine bessere Verträglichkeit bescheinige. So war die Abbruchrate in einer Studie, die Topiramat mit Erenumab verglich, unter der Antikörper-Therapie deutlich niedriger (10,6 versus 38,9 Prozent). »Die monoklonalen Antikörper scheinen den konventionellen Therapien überlegen zu sein was Verträglichkeit und Wirksamkeit anbelangt«, resümierte der Neurologe.
Eine medikamentöse Prophylaxe ist sinnvoll, wenn ein besonderer Leidensdruck vorliegt, die Lebensqualität eingeschränkt ist oder das Risiko eines Medikamentenübergebrauchs besteht. Die S1-Leitlinie »Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne« (2018) nennt außerdem folgende Kriterien: