Wie eine Klopftherapie wirkt |
Menschen werden mitunter von unangenehmen Gefühlen beherrscht. Dann kann eine Klopftherapie helfen. / © Adobe Stock/photographee.eu
Die Haut an bestimmten Punkten des Körpers zu beklopfen, um Erkrankungen zu lindern, ist keine neue Erfindung. Sie entstammt in ihrer Urform der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) und folgt den dort vertretenen Lehren vom Energiefluss im Körper. Dementsprechend kritisch wurden die ersten Klopftechniken für den psychotherapeutischen Einsatz betrachtet. Doch anders als die TCM kombinieren psychotherapeutisch nutzbare Klopftechniken das leichte Klopfen der Haut mit bewährten Methoden der Verhaltenstherapie wie Expositionen, systematischer Desensibilisierung und kognitiver Umstrukturierung und erzielen dadurch ihre Wirkung. Gute Erfahrungen liegen für die Nutzung als Zusatztechnik in der Behandlung von akuten oder chronischen Ängsten, der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), Depressionen, Schlaf- und Essstörungen vor. Im medizinischen Bereich haben sie sich im Umgang mit akuten und chronischen Schmerzen bewährt.
Weltweit existieren inzwischen mehr als 20 verschiedene Varianten, die sich in ihrem Vorgehen und ihren Ergebnissen oft nur leicht voneinander unterscheiden. Zu den bekanntesten zählen zum Beispiel die Emotional Freedom Technique (EFT), die Thought Field Therapy (TFT) oder die Energy Diagnostic and Treatment Methods (EDxTM). In Deutschland ist vorrangig die Prozess- und Embodiment fokussierte Psychotherapie (PEP) nach Michael Bohne verbreitet. Bohne ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und hat die Methode des psychotherapeutischen Klopfens um Elemente aus der Hypnotherapie, der Psychoanalyse und der systemischen Therapie ergänzt.
In der Praxis läuft eine PEP-Sitzung in mehreren Schritten ab: Zu Beginn der Therapieeinheit nähert sich der Klient gedanklich seinem Problem, und zwar so lange, bis negative Gefühle oder körperliche Symptome auftreten. Nun wird zu diesen Emotionen, Gedanken oder destruktiven Glaubenssätzen eine Affirmation der Selbstakzeptanz formuliert. Hierbei handelt es sich um einfache Sätze, die, indem man sie zu sich selbst spricht, einer Situation eine positive Einordnung geben sollen. In einer PEP-Sitzung wird das Aussprechen der Affirmation mit kreisenden Bewegung auf einem Punkt unterhalb des Schlüsselbeins kombiniert.
Im nächsten Schritt leitet der Therapeut den Klienten an, die im Protokoll vorgesehenen 14 bis 16 Hautstellen an den Händen, im Gesicht und am Oberkörper nacheinander durch sanftes Beklopfen zu stimulieren, während er sich in Gedanken abermals mit seinem Problem konfrontiert. Abschließend setzt der Klient eine vorgegebene Abfolge von bestimmten Augenbewegungen, Summen und Zählen um, während er einen Punkt auf dem Handrücken klopft. Das gesamte Programm wird im Rahmen der Therapiesitzung so lange wiederholt, bis der Gedanke an das Thema oder ein bestimmtes Ereignis keine negativen Emotionen oder körperlichen Beschwerden mehr auslöst.
Die Frage, über welche Wirkmechanismen Klopftechniken ihre Wirkung entfalten, wird kontrovers diskutiert. Die in der Mitte der 1980er-Jahre entwickelten Klopftechniken wie TFT oder EFT orientieren sich noch stark an der Akupunktur und gehen davon aus, dass die Stimulation der Punkte eine beruhigende Wirkung erzielt. Dabei beziehen sie sich auf Studien, die per MRT nachweisen konnten, dass durch das Setzen von Akupunkturnadeln, unabhängig von der gewählten Stelle, Areale des limbischen Systems – des Zentrums der Emotionserzeugung – herabreguliert werden.
Neue Erklärungen sehen das Klopfen mehr als »Brückenbauer«. Bekannt ist, dass das limbische System bei starken Emotionen unabhängig von seinen Regulationszentren im Großhirn agiert und damit keiner kognitiven Kontrolle mehr unterliegt. Dieser Schachzug ermöglicht, in bedrohlichen Situationen handlungsfähig zu bleiben und überlebensnotwendige Handlungen auszuführen. Zum Problem wird die Abkopplung der Emotionserzeugung immer dann, wenn keine reale Bedrohung existiert.
Häufige Alltagsbeispiele hierfür sind Prüfungsängste oder die Angst vor Spinnen. Auch wenn kognitiv klar ist, dass eine Prüfung keine Bedrohung darstellt und von heimischen Spinnen keine Gefahr ausgeht, können Betroffene die damit verbundenen unangenehmen Gefühle nicht kontrollieren. Klopfen sie in dieser Situation auf die Haut, reagiert das Großhirn darauf. Wissenschaftler nehmen an, dass durch den schnellen Wechsel der beiden Wahrnehmungen (unangenehmes Gefühl und Stimulation der Haut) oder die parallele Wahrnehmung beider Ereignisse zwischen den aktivierten Gehirnarealen neuronale Verbindungen entstehen. Diese können die Autonomie des limbischen Systems durchbrechen und der Anwender erlebt eine bessere Kontrolle über seine unangenehmen Emotionen. Durch immer wiederkehrendes Training kann die Fähigkeit erlernt werden, nicht nur bei der Konfrontation in Gedanken, sondern auch in realen Situationen die aufkommenden Emotionen zu regulieren.
Eine nicht zu unterschätzende Rolle in der Wirkung von Klopftechniken spielt vermutlich auch die Haut. Sie ist in der Lage, neutrale und beruhigende Informationen direkt an das Gehirn zu übermitteln. Die Stimulation freier Nervenendigungen wirkt unmittelbar auf Bereiche des limbischen Systems. Aus der Haptikforschung ist bereits bekannt, dass Selbstberührungen eine wichtige Rolle in der Emotionsregulierung spielen. So konnte nachgewiesen werden, dass jeder Mensch 400- bis 800-Mal pro Tag sein Gesicht berührt. Dies geschieht zumeist völlig unbewusst und nimmt zu, wenn wir unangenehmen Situationen ausgesetzt sind.
Diese Abläufe lassen sich auch im EEG nachvollziehen. Werden Probanden unangenehme Geräusche vorgespielt, zeigen sich kurz vor der Berührung des Gesichts in den Hirnströmen typische Muster von emotionaler Dysregulation und Konzentrationsschwierigkeit. Kurz nach der Berührung des Gesichts nehmen Gehirnwellen zu, die auf emotionale Ausgeglichenheit und Konzentrationsfähigkeit hindeuten. Spontane Selbstberührungen treten bereits bei Föten im Mutterleib auf. Im Ultraschall beobachteten Wissenschaftler, dass sich Ungeborene häufiger im Gesicht berühren, wenn die Mutter besonders gestresst ist. Die Forscher nehmen an, dass dies eine erste Form der emotionalen Selbstregulation ist, die sich auch in einem Rückgang der Herzfrequenz der Babys äußert.
Ein wichtiger Aspekt der Klopftechnik ist zudem die Selbstwirksamkeit. Patienten erleben, dass sie ihren Gefühlen nicht hilflos ausgeliefert sind. Aktiv etwas unternehmen zu können, aktiviert wiederum die Dopaminausschüttung, was Antrieb und Motivation steigert. Und nicht zuletzt setzt der Hautkontakt beim Klopfen auch Oxytocin frei, das Stress reduziert und Ängste mindert.
Nicht jedes unangenehme Gefühl erfordert eine Therapie. Klopftechniken können auch in der Selbsthilfe angewendet werden, Anleitungen dazu finden sich in entsprechender Literatur und YouTube-Videos. Laut Michael Bohnes Ratgeber »Bitte klopfen. Anleitung zur emotionalen Selbsthilfe« bietet das Klopfen eine Hilfestellung, um mit Prüfungs- und Versagensängsten, Scham- und Schuldgefühlen, Selbstvorwürfen, Stress, Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Ärger und Wut besser umzugehen.
Auf seiner Website rät Bohne, sich bei unangenehmen Emotionen folgende Frage zu stellen: Hat die Emotion eine Funktion? Regt sie mich zu einer Handlung an, die gut für mich ist, oder behindert sie mich vielmehr in meinem Tun und Sein? Ist das Gefühl nicht oder nicht mehr sinnvoll, könne man ihm mit der Klopftechnik begegnen. Eine positive Veränderung der Gefühle sei bereits nach wenigen Minuten wahrnehmbar, spätestens nach einer Viertel- bis halben Stunde.