Wie eine Mangelernährung entsteht |
Isabel Weinert |
21.01.2025 08:00 Uhr |
Wer sich viel von Fertiggerichten ernährt, muss damit rechnen, dass es dem Körper an wichtigen Vitaminen und Spurenelementen mangelt. / © Adobe Stock/STUDIO GRAND WEB
PTA-Forum: Warum hat Mangelernährung nicht zwingend etwas mit Untergewicht zu tun?
Riedl: Wir müssen unterscheiden. Natürlich gibt es Mangelernährung bei untergewichtigen Menschen zwangsläufig. Das sehen wir leider immer noch in den armen Ländern dieser Erde oder aber hier bei Menschen, die an einer Magersucht erkrankt sind. Aber daneben gibt es eine Vielzahl von übergewichtigen Menschen weltweit, bei denen niemand einen Mangel vermuten würde. Er ist aber bei vielen von ihnen vorhanden, auch hier in Deutschland.
PTA-Forum: Wie lässt sich solch ein Mangel feststellen?
Riedl: Feststellen lässt sich eine nicht von außen sichtbare Mangelernährung mit einer Bioimpedanzanalyse, die Auskunft darüber gibt, wie hoch der Anteil an Muskulatur und deren Verteilung ist und wie hoch der Anteil an Fettgewebe. Im Bereich der Muskulatur spricht man bei einem Mangel von einer Sarkopenie. Sie führt dazu, dass gerade ältere Menschen leichter stürzen und sich dabei eher einen Bruch zuziehen. Außerdem setzt Muskulatur immunmodulierende Substanzen frei und steigert den Energieumsatz, so dass man nicht so leicht zunimmt.
PTA-Forum: Wie entsteht Mangelernährung hierzulande, in einem Land des Überflusses?
Riedl: Hier leiden eher übergewichtige Menschen unter Mangelernährung. Diese Erkenntnis gewannen Mediziner auch bei Menschen, bei denen der Magen verkleinert wurde zur Gewichtsreduktion. In Voruntersuchungen zeigte sich, dass es diesen Patienten schon vor der Operation an Spurenelementen und bestimmten Vitaminen mangelte. Im Anschluss an die OP werden dann zusätzlich weniger Nährstoffe inklusive Spurenelementen und Vitaminen resorbiert. Deshalb brauchen Menschen nach einer bariatrischen Operation immer eine Nahrungsergänzung, und zwar lebenslang.
PTA-Forum: An welchen Substanzen mangelt es vorwiegend bei einer Unterernährung?
Riedl: Häufig ist ein Mangel an Vitamin D, an Omega-3-Fettsäuren, Mineralien, Ballaststoffen. Das geht tatsächlich auch durch alle Bevölkerungsgruppen. Wir sehen bei den Menschen, die wir behandeln, dass immer mehr von ihnen Vitaminmangelzustände haben. Häufig mangelt es auch an Vitamin B 6 und Vitamin B 1.
Die Versorgung von Omega 6 zu Omega 3 sollte im Verhältnis 3 zu 1 stehen, besser wäre sogar 1 zu 1. Das gelingt aber eher bei den Eskimos. In Deutschland liegen wir allerdings bei 25 zu 1. Das ist richtig schlecht. Dieses Missverhältnis ist ein hoher Risikofaktor, an schweren Infektionen zu versterben.
Häufig ist auch ein Mangel an Selen, denn Deutschlands Böden sind selenarm. Dieser Mangel kann Müdigkeit noch verstärken. Leider finden wir auch sehr häufig einen Mangel an Jod und das vor allem bei jüngeren Menschen. Hier ist es aber besonders fatal, weil sich das noch reifende Gehirn ohne ausreichend Jod nie zu seiner vollen Leistung entwickeln kann.
Ein weiterer häufiger Mangel ist der an Ballaststoffen. Zwar bringen sie selbst keine Vitamine, sie dienen aber den Darmmikroben als ideales Futter. Das braucht unsere Darmflora, um optimal nicht nur im Darm, sondern im ganzen Körper positiv Einfluss zu nehmen.
PTA-Forum: Wie fühlen sich mangelernährte Menschen?
Riedl: Menschen mit einem Mangel an Vitaminen oder Spurenelementen fühlen sich zudem oft schlapp oder einfach nie so ganz fit und das kann sich auch potenzieren. Schaut man auf Vitamin B1- und B6-Mangel, dann wirken sich diese auf die Nerven in unserem Körper aus. Das zeigt sich in neuropathischen Symptomen wie Kribbeln in den Händen oder Füßen und das Gehirn reagiert mit Müdigkeit und Unkonzentriertheit. Das macht sich besonders deutlich bei alten Menschen bemerkbar, bei denen man die Symptome dann einfach aufs Alter schiebt.
PTA-Forum: Sollte man also prophylaktisch Vitamine und Mineralstoffe einnehmen?
Riedl: Nein, so geht es nicht, denn wenn ich wahllos Vitamine einnehme, ohne dass vorher festgestellt wurde, woran es mir wirklich mangelt, dann kann sich das negativ auswirken. Besonders bei Vitamin B6 kann eine Überdosierung ebenso die Nerven schädigen wie ein Mangel. Deshalb sollte man in der Selbstmedikation vorsichtig sein. Vitamin-Mangelzustände sollte man immer erst diagnostizieren lassen, bevor man sich eine entsprechende Nahrungsergänzung zuführt. Hausärzte können das machen oder Schwerpunktpraxen für Ernährungsmedizin.
PTA-Forum: Wenn die Symptome eines Mangels eher subtil und unterschwellig sind, wie können Menschen dann überhaupt auf die Idee kommen, dass ihnen wichtige Stoffe fehlen?
Riedl: Bei einer Ernährung reich an Fertigprodukten – und daraus besteht 40 Prozent der Ernährung der Menschen in Deutschland – bekommt der Körper nicht das, was er braucht, um gesund zu bleiben. Wenn man sich also viel von Fertigprodukten ernährt und sich längere Zeit einfach nicht fit fühlt, dann liegt es nahe, dass ein Mangelzustand herrscht, auch wenn die Waage ein zu hohes Körpergewicht anzeigt.
PTA-Forum: Welche Menschen müssen noch damit rechnen, mangelernährt zu sein?
Riedl: Menschen, die am Darm operiert wurden oder auch Menschen mit ADHS, denen es durch die Medikamente, die sie dagegen einnehmen, an Appetit fehlt. Gerade Veganer entwickeln zudem häufig nicht nur einen Vitamin B12-, sondern auch einen Jod- und einen Eisenmangel. Diese Vitamine und Spurenelemente müssen Veganer bestimmen lassen und bei Mangel substituieren.
Auch Menschen, die viele Fertigprodukte essen, haben häufig einen Jodmangel. Das betrifft mittlerweile 30 Prozent der Bevölkerung. Denn Fertigprodukte werden mit jodarmem Salz hergestellt. Menschen, bei denen es an irgendeinem Vitamin fehlt und deshalb irgendetwas im Argen liegt, machen mittlerweile hierzulande 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung aus. Das alles zeigt, wie ernst das Thema Mangelernährung in der Bevölkerung ist.
PTA-Forum: Welche Rolle spielt das Alter?
Riedl: Mit dem Älterwerden geht auch eine verminderte Resorption mancher Vitamine einher, Vitamin B12 etwa oder Eiweiß. Mitunter können ältere Menschen auch schlechter kauen und ziehen dann weiches und süßes Essen vor.
PTA-Forum: Welchen Einfluss hat die psychische Verfassung?
Riedl: Menschen mit depressiven Verstimmungen neigen eher dazu, mehr ungesunde Lebensmittel zu essen und weniger auf sich zu achten, auch im Hinblick auf ihre Ernährung. Das kann zum einen Gewichtszunahme befördern und zum anderen, mit der schlechten Überernährung einhergehend, Vitamin- und Mineralstoffmangel.
PTA-Forum: Wie geht man bei einem diagnostizierten Mangel an einem oder mehreren Vitaminen und Spurenelementen vor?
Riedl: Handelt es sich um einen gravierenden Mangel, müssen die fehlenden Stoffe substituiert werden. Bei einem geringen Mangel reicht es meistens aus, wenn Betroffene erklärt bekommen, wie eine Ernährung aussieht, die eine ausreichende Versorgung garantiert. Das auf Dauer in den Alltag umzusetzen, ist für viele Menschen allerdings nicht einfach. PTA und Apotheker können an dieser Stelle sicher beratend dazu beitragen, die Situation zu verbessern.
PTA-Forum: Vielen Dank für das Gespräch.