Wie kann man besser mit Stress umgehen? |
Langsam in den Bauch einatmen, dann langsam vollständig ausatmen. Anschließend die Zeit für die einzelnen Atemzüge immer weiter verlängern. Spezielle Atemübungen wie diese helfen in akuten Stresssituationen. / © Getty Images/PeopleImages
Der Begriff »Stress« kommt aus dem Englischen und bedeutet so viel wie »Anspannung« oder »Druck«. Ursprünglich stammt er aus der Physik und bezeichnet die Wechselwirkung zwischen einer Kraft und einem Widerstand, der dieser Kraft entgegenwirkt – so muss beispielsweise das Fahrstuhlseil das Gewicht der Kabine tragen samt aller Personen darin oder eine Regentonne muss dem Druck des sich in ihr sammelnden Wassers standhalten.
Der österreichisch-kanadische Mediziner und Hormonforscher Hans Selye hat diesen technischen Stressbegriff erstmals 1936 in einer Publikation verwendet und dann in den 1950er-Jahren verstärkt auf den psychosozialen Druck bezogen, unter dem Menschen in verschiedenen Lebenssituationen stehen – und ihr Verhalten unter diesem Druck erforscht. Deshalb gilt der in Wien geborene Wissenschaftler als »Vater der Stressforschung«.
Die Anspannung, unter der gestresste Menschen stehen, kommt natürlich nicht daher, dass ein mit Händen greifbares Gewicht auf ihnen lasten würde. Aber im übertragenen Sinne stehen sie durchaus vor einer Kraftprobe: Sie sehen sich vor Herausforderungen gestellt, die sie meistern wollen oder müssen, und sie wissen noch nicht, ob und wie ihnen das gelingt. Während die einen diesen Druck als positiven Ansporn empfinden, löst er bei anderen eher negative Gefühle aus.
Die größten Stressfaktoren in Deutschland im Jahr 2021, erhoben im Rahmen einer Forsa-Umfrage im Auftrag der Techniker Krankenkasse unter 1000 Personen in Deutschland
Quelle: TK-Stressstudie 2021, www.statista.com / © PZ-Grafik/Jens Ripperger
Positiven Stress, den sogenannten Eustress, erlebten Menschen, wenn sie vor einer Herausforderung stehen, die sie fordert, aber nicht überfordert, erläutert die Psychologische Psychotherapeutin Diana Kunitz aus Leipzig. »In diesem Fall müssen wir uns zwar anstrengen und vielleicht auch noch eine Lösung für ein kleineres Problem finden. Aber wenn wir zuversichtlich sind, dass wir das schaffen, löst das eher Ehrgeiz und Motivation aus“, erläutert sie im Gespräch mit PTA-Forum. Derart motivierende Herausforderungen bezögen sich meist auf kurzfristige Ereignisse, die die Betroffenen selber lenken beziehungsweise kontrollieren könnten.
Negativer Stress entsteht dagegen, wenn die eigenen Ressourcen nicht ausreichen, um die Herausforderungen zu bewältigen. Dann lösen diese ein Gefühl der Überforderung aus, das wir als Stress erleben. »Das passiert zum Beispiel, wenn ich unter Zeitdruck stehe, unzureichende Arbeitsmittel habe oder mir soziale Unterstützung fehlt.« Geht ein solcher Zustand nicht schnell wieder vorüber, sondern hält länger an, kommt es zu chronischem Stresserleben.
Dass Stress an sich nichts Schädliches ist, betont auch Dr. Karl-Heinz Ladwig, Professor für Psychosomatische Medizin und Medizinische Psychologie an der Technischen Universität München, gegenüber PTA-Forum. Seit Urzeiten sei der menschliche Körper darauf trainiert, angesichts von Gefahren in Alarmbereitschaft zu gehen, um zu überleben: Fühlt er sich bedroht, weiten sich seine Pupillen, die Muskeln spannen sich an, das Herz schlägt schneller und auch die Atmung beschleunigt sich. Diese sogenannte Fight-or-Flight-Reaktion versetzt den Körper in die Lage, zu kämpfen oder zumindest schnell weglaufen zu können – und die Entscheidung darüber in Sekundenschnelle zu treffen. »Stress ist eine Anpassungsreaktion des Körpers auf die Kräfte, die aus seiner Umwelt auf ihn einwirken«, erläutert Ladwig, der auch Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftung ist. »Wir brauchen Stress, um die Anforderungen, die an uns gestellt werden, zu bewältigen.«
Herausforderung gemeistert! Positiver Stress treibt Menschen an und motiviert sie zu herausragenden Leistungen. / © Adobe Stock/artiemedvedev
Erst ein gewisses Quantum Stress aktiviert im vegetativen Nervensystem den Sympathikus und damit den Teil des Nervensystems, der die körperliche Leistungsfähigkeit steigert. Dann erst steigen Herz- und Atemfrequenz ebenso wie Blutdruck und Blutzuckerspiegel, die Bronchien weiten sich, die Skelettmuskulatur ist angespannt und gut durchblutet. Vorgänge, die aktuell nicht zwingend notwendig sind, hemmt der Sympathikus dagegen – etwa die Verdauung, den Stoffwechsel oder auch das sexuelle Empfinden. Vermittelt werden diese Vorgänge über die Hormone Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol.
Bei dem Gefühl, unter Stress zu stehen, spiele vor allem die subjektive Bewertung der eigenen Situation eine Rolle, betont Ladwig. »Da kommt die ganze Lebensgeschichte hinein, vor allem die frühkindlichen Erfahrungen, von denen so viel abhängt, was wir uns zutrauen und ins Leben mitbringen.«
Stressreaktionen sind also im Prinzip sinnvoll, um auf akute Situationen zu reagieren. Die Betonung liegt aber auf dem Wort »kurzfristig«. Denn bei länger anhaltendem Stress – etwa durch belastende Situationen in der Familie, am Arbeitsplatz oder in der Schule – kommt es nach einiger Zeit zu Erschöpfung und Spannungszuständen, die der Gesundheit ernsthaft zu schaffen machen können.
So belegen Studien, dass Dauerstress Bluthochdruck verursachen kann. Da Adrenalin die Freisetzung von Zucker ins Blut fördert und die Wirkung von Insulin hemmt, kann Dauerstress darüber hinaus zu Insulinresistenz und damit zu Diabetes führen. »Dazu kommt, dass zermürbender Dauerstress auch die Wahrnehmung verändert, sodass wir gar nicht mehr über die für uns so stressige Situation hinausblicken können«, sagt Ladwig. Lasse die Anspannung nicht nach, komme es oft auch zu Schlafstörungen und chronischer Erschöpfung.
In der Stressspirale: Chronischer Stress belastet Geist und Körper. Ständige Anspannung ohne ausreichende Erholung kann unter anderem zu Schlafproblemen, Burn-out und Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen. / © Adobe Stock/Andrey Popov
»Auch für Infektionen und andere Krankheiten, beispielsweise Erkältungen, sind wir unter Dauerstress anfälliger«, erläutert der Psychosomatiker. Denn das Stresshormon Cortisol unterdrückt die Funktion bestimmter weißer Blutkörperchen, insbesondere der T-Lymphozyten und Makrophagen, die für die Beseitigung von Krankheitserregern wichtig sind. Auch dass belastender Stress einer der größten Risikofaktoren für Herzinfarkt, Schlaganfall und andere Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist, ist durch Studien ausführlich belegt.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind aber nicht die einzigen möglichen gesundheitlichen Stressfolgen. So könnten Personen unter chronischem Stress und dem damit verbundenen dauerhaften Gefühl von Überforderung und Hilflosigkeit psychische Erkrankungen wie beispielsweise eine Depression oder Angststörung entwickeln, berichtet die Psychotherapeutin Kunitz. Weitere mögliche Folgen von Dauerstress sind Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts wie etwa das Reizdarmsyndrom, Durchfall, Verstopfung oder Blähungen – bis hin zu Magengeschwüren. Hier spielt allerdings auch eine Rolle, dass Stressgeplagte häufiger zu Zigaretten, Alkohol, großen Mengen Kaffee oder auch besonders zucker- und fetthaltigen Lebensmitteln greifen. Das kann der Magenschleimhaut ebenso schaden wie dem Herz-Kreislauf-System oder auch der Haut, deren Resistenz gegen Infektionen und Krankheiten unter Dauerstress ebenfalls herabgesetzt ist. »Menschen, die dazu neigen, bekommen unter chronischem Stress beispielsweise eher Neurodermitis oder Schuppenflechte«, erklärt Kunitz.
Wenn es darum geht, schädlichen Stress zu reduzieren, müsse nicht zuletzt die Energie, die der Körper kurzfristig mobilisiert hat, sinnvoll wieder abgebaut werden, sagt Melanie Kaczerowski im Gespräch mit PTA-Forum. Sie ist Diplom-Psychologin und Trainerin für multimodales Stress- und Ressourcenmanagement. Denn das, was den modernen Menschen unter Stress setzt, erfordert im Gegensatz zu früheren Zeiten meist keine körperliche Reaktion mehr. »Wir reagieren heute auf Arbeitsintensität, Zeitdruck, permanente Informationsflut, Störungen, Stau oder Lärm mit genau den gleichen körperlichen Mobilisierungsreaktionen wie damals. Aber wir brauchen die bereitgestellte Energie in der Regel nicht mehr, um der Stresssituation zu entkommen – stattdessen bleiben wir auf den Energiereserven sitzen.«
Naheliegend sei deshalb zunächst, dass die dem Körper kurzfristig zur Verfügung gestellte Energie wieder abgebaut werden müsse, um eine Erkrankung zu verhindern. »Das geschieht durch jede Form der Bewegung, am besten regelmäßig«, so Kaczerowski. Genauso wichtig seien für den Körper aber auch regelmäßige Entspannungs- und Erholungsphasen, gern auch mithilfe progressiver Muskelentspannung, von autogenem Training, Meditation, Yoga oder ähnlichem, sowie regelmäßige Pausen und Genuss im Alltag. »Wir nennen das regeneratives Stressmanagement. Regeneration ist immer notwendig, auch wenn wir Stress positiv empfinden.«
Darüber hinaus sollten Betroffene aber auch auf die Wurzeln ihres Dauerstresses blicken und auf ihre konkreten Arbeits- und Lebensbedingungen, erklärt Kaczerowski. Sie nennt einige Baustellen, an denen zu arbeiten sich lohnt, um den persönlichen Stresslevel zu senken: Selbst- und Zeitmanagement, Prioritäten setzen, Aufgaben auch mal delegieren, soziale Kontakte nutzen, um Unterstützung zu bekommen. Ebenso wichtig: Lernen, Grenzen zu ziehen und auch mal Nein zu sagen, ebenso wie Erholungszeiten aktiv in den Tag einplanen und – vor allem im beruflichen Bereich – sich fortbilden und fachliche Kompetenzen aneignen, um dadurch auch fachlich souveräner zu werden.
Manchmal lägen die Ursachen für das Stressempfinden allerdings auch hauptsächlich in der inneren Haltung einer Person, ergänzt Kunitz. »Zum Beispiel verschärfe ich den Stress, wenn ich mir Vorwürfe mache, wenn etwas nicht klappt, oder wenn ich denke, ich müsste alles absolut perfekt erledigen.« Hier könne nicht zuletzt durch ein Coaching oder gegebenenfalls auch durch eine kognitive Verhaltenstherapie am Abbau dieser Gedanken und negativen Glaubenssätze gearbeitet und mehr Gelassenheit im Umgang mit Anforderungen und Fehlern aufgebaut werden.
Man könne sich das mit den »negativen Gedanken« auch so vorstellen, »dass wir meistens ganz gut ausgebaute Datenbahnen im Gehirn für unsere individuell typischen Stressgedanken haben«, erläutert Kaczerowski. Das heißt, die Gedanken sind immer auch recht schnell verfügbar. Es brauche also erst einmal hilfreiche Strategien, um den Kopf darin zu trainieren, neue, förderliche Gedanken zu produzieren. »Ich sage, Gedanken bewusst zu produzieren, denn auch das ist wichtig zu verstehen: Gedanken sind nur Gedanken und nicht die Realität. Es gibt immer mehrere Sichtweisen.«
Als eine fast immer nützliche Strategie im Alltagsstress empfiehlt sie überdies, einfach mal das Worst-Case-Szenario durchzuspielen. »Was ist das Schlimmste, was hier jetzt passieren kann? Und wie schlimm ist das wirklich?« Das helfe fast immer. Ebenso wie ein Perspektivwechsel: »Was würde ich einem guten Freund in dieser Situation raten?« Oder nicht zuletzt ein Annehmen der – im Augenblick nicht zu ändernden – Realität: »Es ist jetzt, wie es ist. Der Stau ist da, das neue Betriebssystem wird eingeführt, die Kollegin krank. Es bringt nichts, sich darüber aufzuregen.« Allerdings brauche es viel Training, Zeit und Geduld, sich in solch mentalem Stressmanagement zu üben.
Medikamente sollten nur eingesetzt werden, wenn sich körperliche und psychische Erkrankungen entwickelt haben, die auch einer medikamentösen Behandlung bedürfen, betont Kunitz. »Sie sind auf keinen Fall präventiv anzuwenden.« Selbst wenn Stress zu psychischen Erkrankungen wie Angsterkrankungen und Depression geführt habe, sei zunächst an eine kognitive Verhaltenstherapie und dann erst an Medikamente zu denken – diese würden nach Abwägung mit dem Hausarzt oder Psychiater vor allem bei schweren Krankheitsausprägungen unterstützend eingesetzt.
Ladwig warnt: „Viele Ärzte verschreiben diese Medikamente jahrelang, und die Patienten schlucken sie. Der Wirkstoff Diazepam beispielsweise beruhigt zwar, aber die Konflikte werden verdeckt, die Probleme werden nicht gelöst.« Viele Menschen, die Beruhigungsmedikamente einnähmen, fühlten sich zudem matt und benommen, Aufmerksamkeit und Konzentration seien verringert. Schlimmer noch: Schon nach wenigen Wochen könne man von diesen Medikamenten abhängig werden. Deshalb sollte die Dosis schon frühzeitig schrittweise reduziert werden. Denn auf Dauer gilt: »Mit Medikamenten lässt sich das Gleichgewicht zwischen Spannung und Entspannung, das wir für unser Leben brauchen, nicht erreichen.«
Last, but not least: Wer Stresssymptome hat, die mit einem klassischen Stressbewältigungstraining in Eigenregie nicht verschwinden, sollte unbedingt auch den Hausarzt konsultieren. Er kann organische Ursachen ausschließen oder bei Bedarf auch an Experten weitervermitteln.
Klavierunterricht, Tennis, Ballett, Kindergeburtstag, Kunst-AG und jeden Tag Hausaufgaben – manche Kinder haben einen Terminkalender, der mit dem eines Managers mithalten kann. Viele Termine müssen aber nicht unbedingt gleich Stress bedeuten, heißt es in einer Stellungnahme des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte: »Stress entsteht vor allem dann, wenn Termine mit Ängsten und Sorgen – etwa durch zu hohe Anforderungen – zu tun haben.« Bei Kindern sieht der Verband drei Quellen als Hauptursache für Stress:
Symptome für Stress seien meist körperliche Beschwerden wie häufige Kopf- und Bauchschmerzen oder Einschlafstörungen. »Manche Kinder werden auch lust- und antriebslos, können sich nicht konzentrieren oder haben keinen Appetit«, so die Kinder- und Jugendärzte. Auch Verhaltensänderungen wie Rückzug, Aggressivität, Reizbarkeit oder Trennungsangst können Zeichen von Stress sein. Jüngere Kinder äußern Stress oft durch Wutausbrüche, Weinen oder vermehrte Anhänglichkeit, während ältere Kinder manchmal depressive oder ängstliche Symptome entwickeln. Bei starkem Stress fallen Kinder oft in frühere Entwicklungsstadien zurück. Beispielsweise können sie wieder anfangen, am Daumen zu lutschen oder Bettnässen zeigen.
Um Stresssituationen vorzubeugen, sollten Eltern ihren Kindern helfen, sich auf ihre Stärken zu besinnen. Dadurch kann das Kind lernen, mit Problemen umzugehen und sich von ihnen nicht so stark verunsichern zu lassen. Zudem sollte nicht jeder Tag verplant werden. Vielmehr brauchen Kinder mindestens zwei freie Nachmittage in der Woche, an denen sie sich an einen ruhigen Ort zurückziehen können, Zeit zum Spielen haben oder Verabredungen in Eigenregie treffen können.
Entscheidend ist auch die emotionale Unterstützung durch Bezugspersonen. Kinder, die in stressigen Situationen auf die Fürsorge und Zuwendung ihrer Eltern oder Betreuer zählen können, haben in der Regel eine bessere emotionale Resilienz. Auch beobachten Kinder, wie ihre Eltern und andere Erwachsene mit Stress umgehen. Eltern, die ruhig und strukturiert auf Stress reagieren und die mit ihren Kindern auch über Gefühle, Ängste und Sorgen sprechen, geben ihren Kindern bessere Bewältigungsstrategien mit. Schließlich profitieren Kinder von einer klaren Routine und Struktur im Alltag. Regelmäßige Mahlzeiten, Schlafzeiten und Aktivitäten geben ihnen oft ein Gefühl von Stabilität und Sicherheit, was besonders in stressigen Zeiten wichtig ist.