Wie man sich vor STI schützen kann |
Juliane Brüggen |
03.11.2023 11:45 Uhr |
Kondome fallen vielen als Erstes ein, wenn es um STI-Prävention geht. Es gibt aber noch weitere Maßnahmen wie Impfungen, medikamentöse Präexpositionsprophylaxe und regelmäßiges Testen. / Foto: Getty Images/Wavebreakmedia
In den letzten Jahren sind bestimmte sexuell übertragbare Infektionen (STI) in Deutschland wieder auf dem Vormarsch. »Die häufigsten bakteriellen STI hierzulande sind Chlamydien-Infektionen, Gonorrhö – im Volksmund Tripper – und Syphilis«, so Professor Dr. Norbert Hermann Brockmeyer, Präsident der Deutschen STI-Gesellschaft, im Gespräch mit PTA-Forum. Bei den viralen STI liegen Infektionen mit humanen Papillomaviren (HPV) und Herpes-simplex-Viren (HSV) vorne, aber auch HIV- und Hepatitis-B-Infektionen kommen weiterhin vor.
Da viele der Infektionen ohne (spezifische) Symptome verlaufen, werden sie teilweise erst spät erkannt. Infizierte können die Erreger dann – ohne es zu wissen – an Sexualpartnerinnen und -partner weitergeben. Es gibt allerdings Symptome, die auf eine STI hindeuten, wie:
Auch ein allgemeines Krankheitsgefühl, Abgeschlagenheit und Fieber, Magen-Darm-Beschwerden oder ein dunkel verfärbter Urin können auftreten.
Besonders problematisch sind lang andauernde, chronische Infektionen – unbehandelt können sie schwerwiegende Folgen haben. So kann es bei Chlamydien und Gonorrhö zu Unfruchtbarkeit kommen, bei Syphilis zu schweren Organ- und Nervenschäden, bei HPV zu Krebsvorstufen und Karzinomen (an Gebärmutterhals, Vulva, Vagina, Penis, Anus und im Mund-Rachen-Raum), bei HIV zu schweren Immundefekten und bei chronischer Hepatitis B zu Leberzirrhose und -krebs. Eine fortbestehende andere STI erhöht außerdem das Risiko, sich mit HIV zu infizieren.
Prävention steht also an erster Stelle – und diese betrifft nicht nur Jugendliche und Risikogruppen, sondern alle Menschen. Sehr einfach umzusetzen sind die Impfungen gegen HPV und Hepatitis A und B. Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt die HPV-Impfung aktuell für Mädchen und Jungen im Alter zwischen 9 und 14 Jahren – vor dem ersten Sexualkontakt. Ansonsten soll sie möglichst vor dem 18. Geburtstag nachgeholt werden. Laut der S3-Leitlinie »Impfprävention HPV-assoziierter Neoplasien« kann die Impfung auch bei Erwachsenen von 18 bis 26 Jahren noch sinnvoll sein. Darüber hinaus wird sie nicht empfohlen, Ärzte beraten hierzu individuell.
Die Hepatitis-B-Impfung soll laut STIKO schon im Säuglingsalter erfolgen. Bei einem erhöhten Risiko wird der Impfschutz auch Erwachsenen empfohlen, zum Beispiel, wenn eine immunsuppressive Therapie bevorsteht oder eine Ansteckung bei der Arbeit möglich ist. Auch bei einem infektionsgefährdenden Sexualverhalten kann die Impfung, ebenso wie die Hepatitis-A-Impfung, Schutz bieten.
Die Impfquoten sind in Deutschland noch ausbaufähig, wie Brockmeyer betont. »Es gibt noch eine große Anzahl an Menschen, die nicht gegen Hepatitis B geimpft sind, obwohl wir schon seit circa 30 Jahren impfen«, so Brockmeyer. Auch bei der HPV-Impfung besteht noch Luft nach oben. Laut RKI-Impfsurveillance waren im Jahr 2021 etwa 54 Prozent der 15-jährigen Mädchen vollständig geimpft und etwa 27 Prozent der 15-jähringen Jungen.
Ein Vorbild sei Australien, hier ist ein Großteil der Männer und Frauen geimpft. »In Australien diskutiert man schon, wann Gebärmutterhalskrebs nicht mehr vorkommt. Und in Deutschland sehen wir noch jedes Jahr einige Tausend Todesfälle, die durch HPV ausgelöst sind. Da sieht man, dass wir durch eine noch bessere Vorsorge und Impfprävention noch viel mehr erreichen könnten.« Brockmeyer weist außerdem auf die Meningokokken-B-Impfung hin, die einen gewissen Schutzfaktor bei Gonokokken bietet – »wahrscheinlich zu etwa 30 Prozent« –, und bei Menschen mit einem hohen Infektionsrisiko sinnvoll sein kann.
Zur Prävention gehört, sich beim Sex mit Barrieremethoden zu schützen. Kondome und Femidome bieten einen hohen Schutz, besonders vor HIV. »Richtig angewendet schützen Kondome bei HIV zu etwa 90 Prozent«, so Brockmeyer. »Bei den meisten anderen STI liegen wir bei 50 bis 70 Prozent. Man muss sich darüber klar sein: Auch ein Kondom ist kein 100-prozentiger Schutz.« Die Schutzwirkung steht und fällt außerdem mit dem Handling – von der richtigen Kondomgröße bis hin zum richtigen und durchgehenden Tragen. Auch Sexspielzeuge, die geteilt werden, sollten bedacht werden und jeweils mit einem neuen Kondom überzogen werden.
Das Kondom bietet einen hohen Schutz, vor allem bei HIV. Auch beim Oralverkehr ist die Anwendung sinnvoll. / Foto: Getty Images/CatLane
»Wenn man sich richtig schützen will, sollte man auch beim Oralverkehr Kondome, Frauenkondome oder Lecktücher nutzen«, so Brockmeyer. Denn STI können durch Oralsex übertragen werden. »Eine HIV-Infektion ist über Oralverkehr quasi nicht zu übertragen«, ordnet Brockmeyer ein, »aber alle anderen Erreger kann man durch Oralverkehr bekommen. Das reicht von Syphilis, Gonokokken über Chlamydien bis hin zu Herpes simplex und HPV.« In Deutschland sehe man mittlerweile eine hohe Rate an Mund-Rachen-Karzinomen, die durch HPV induziert sind. Beim Herpes-simplex-Virus sei ein »Switch« zu beobachten: »Wir sehen jetzt vermehrt HSV-1 im Genitalbereich und auch HSV-2 im Mundbereich.« Dabei ist es üblicherweise umgekehrt: Das HS-Virus 1 im Mundbereich und HSV-2 im Genitalbereich.
Zusammen mit Kondomen schützt eine medikamentöse HIV-Prä-Expositionsprophylaxe (HIV-PrEP) sehr effektiv, über 99 Prozent vor einer HIV-Infektion. Bei dieser nimmt eine HIV-negative Person entweder dauerhaft oder anlassbezogen ein HIV-Medikament (Emtricitabin/Tenofovirdisoproxil) ein, um einer Infektion vorzubeugen. »Bei HIV ist das eine ganz wichtige Präventionsmaßnahme, die ich für sehr erfolgreich halte«, so Brockmeyer, der das Zentrum für sexuelle Gesundheit und Medizin »WIR – Walk In Ruhr« gegründet hat. »Wir haben im WIR etwa 400 bis 500 Menschen, die die PrEP nehmen, aber insgesamt sind es in Deutschland zu wenige. Wir erreichen außerdem zu wenige Frauen.« Es müsse deutlicher kommuniziert werden, dass die Einnahme auch zeitlich begrenzt möglich ist, zum Beispiel während eines Urlaubs, bei dem Risikokontakte vorkommen könnten. Neben der HIV-PrEP gibt es die HIV-Postexpositionsprophylaxe (HIV-PEP). Hier wird das HIV-Medikament eingenommen, nachdem ein Risikokontakt stattgefunden hat – auch sehr wichtig nach beruflichen Nadelstich- oder Skalpellverletzungen –, um eine Ansteckung zu verhindern.
Gut zu wissen: HIV-positive Menschen, die eine erfolgreiche Therapie durchführen und bei denen das HI-Virus im Blut unter der Nachweisgrenze liegt, schützen damit ihre Sexualpartner (»Schutz durch Therapie«).
In Studien wurde untersucht, ob die einmalige Gabe einer Doxycyclin-Tablette nach dem ungeschützten Sexualkontakt eine Infektion unter anderem mit Chlamydien und Syphilis verhindern kann (Doxy-Postexpositionsprophylaxe, Doxy-PEP). Obwohl die Ergebnisse auf einen Schutzeffekt hindeuten, sind Experten noch zurückhaltend und fordern Leitlinien zum Einsatz.
Die STI-Gesellschaft erachtet die Doxy-PEP laut einer Stellungnahme nur bei Personen mit einem hohen Infektionsrisiko als sinnvoll. Brockmeyer: »Man muss auch sehen, was das mit unserem Mikrobiom macht. Das ist ein wichtiges Thema. Und auch, was das mit der Resistenzbildung bezüglich anderer Erreger macht. Diese Fragen sind nicht bis zum Ende geklärt.«
Sich regelmäßig auf STI testen zu lassen, kann dazu beitragen, eine Infektion schnell zu erkennen. Dadurch werden Infektionsketten unterbrochen, aber auch potenzielle Folgeschäden verhindert. »Es ist wichtig, dass Menschen, die mit vier oder mehr unterschiedlichen Partnern Sex ohne Kondom hatten, sich testen lassen«, so Brockmeyer. Hierbei wird in der Regel ein sechsmonatiger Zeitraum betrachtet. Aber auch bei Sex mit Kondom ist die Testung sinnvoll, da dieses keinen 100-prozentigen Schutz bietet.
Tests werden laut DSTIG-Leitfaden außerdem empfohlen bei heterosexuellen Kontakten mit Menschen, die aus einer Region mit einer hohen STI-Prävalenz kommen, sowie bei Frauen, die sexuellen Kontakt zu Männern, die Sex mit Männern (MSM) haben, haben. MSM sollten sich wiederum je nach Risiko alle 3 bis 12 Monate auf STI testen. Personen, die eine PrEP erhalten, sind angehalten, alle drei Monate zum Test zu kommen.
»Im Allgemeinen sind die STI gut behandelbar – je früher, desto besser«, so Brockmeyer. »Die medikamentöse Therapie funktioniert bei Syphilis mit Penicillinen hervorragend und Chlamydien kann man sehr gut mit Doxycyclin behandeln.« Problematisch werde es bei Gonokokken, hier stehe aufgrund von Resistenzen im Prinzip nur noch Ceftriaxon als wirksame Therapie zur Auswahl. »Wenn wir nicht sicher sind, dass der Patient nach 14 Tagen zur Kontrolle erscheint, schlagen wir eine duale Therapie mit Ceftriaxon und Azithromycin vor«, ergänzt Brockmeyer. Ein richtiger Problemkeim ist außerdem Mycoplasma genitalium. »Hier haben wir gerade in den Ballungsräumen Berlin und Köln 80- bis 90-prozentige Resistenzen gegen Azithromycin und auch die sonstigen Therapiemöglichkeiten sind eingeschränkt.«
Bei Virusinfektionen besteht die Therapie teils aus antiviralen Medikamenten, teils erfolgt sie symptomatisch. Eine HIV-Infektion ist mit einer antiretroviralen Therapie gut behandelbar, diese ist lebenslang beizubehalten. Herpes genitalis wird bei einem Ausbruch unter anderem mit oral eingenommenem Aciclovir behandelt, die Viren verbleiben lebenslang im Körper. Bei HPV-bedingten Genitalwarzen kommen lokal eingesetzte Wirkstoffe wie Podophyllotoxin oder Imiquimod zum Einsatz oder die Warzen werden mittels Laser entfernt. Oft kommt das Immunsystem zu Hilfe: Eine HPV-Infektion ist bei den meisten Frauen nach 6 bis 18 Monaten nicht mehr nachweisbar, bei etwa 10 bis 15 Prozent kommt es jedoch zu einer persistierenden Infektion. Auch die meisten akuten Hepatits-B-Infektionen heilen aus, bis zu 10 Prozent der Betroffenen entwickeln aber einen chronischen Verlauf. Dann wird je nach Viruslast mit antiviralen Medikamenten behandelt.
»Die Partnerin oder der Partner sollten nach Möglichkeit mitbehandelt werden, bei Gonokokken und Chlamydien immer«, sagt Brockmeyer, ebenso bei Trichomonaden. Bei anderen STI sollte der Partner oder die Partnerin auf eine Infektion untersucht und bei positivem Befund mitbehandelt werden. »Das ist ganz entscheidend, dass wir eine Partneruntersuchung machen und die Partner mit einbeziehen. Denn sonst liegt die Reinfektionsrate bei 50 bis 60 Prozent.« Bei einigen Erregern lässt die erneute Infektion nicht lange auf sich warten: bei Chlamydien reichen etwa zwei Sexualkontakte aus, wie Brockmeyer erklärt. Bestehen Hemmungen oder Schamgefühle, die Sexualpartner zu benachrichtigen, sollte man dies beim Arzt oder in der Beratungsstelle ansprechen. Beim WIR-Zentrum in Bochum gibt es beispielsweise die Möglichkeit, die Partner anonym zu informieren.
PTA-Forum: In der Apotheke wird häufig bei Krankheiten im Intimbereich wie Vaginalpilz, Harnwegsinfektionen oder Hämorrhoiden beraten. Bei welchen Symptomen sollten PTA und Apotheker hellhörig werden?
Brockmeyer: Sie sollten immer hellhörig werden, wenn Symptome im Genitalbereich, aber auch im Rachenbereich geschildert werden. Denn wir haben eine ganze Reihe von STI, die hier Symptome machen können, zum Beispiel ein Ulkus an der Lippe.
Unangenehmer Geruch aus der Scheide, leichtes Brennen beim Wasserlassen, Juckreiz und Brennen im Analbereich sind durchaus alles Symptome, die zu sexuell übertragbaren Infektionen passen. Das Problem ist, dass wir hier ganz unspezifische Symptome haben, die für viele Ursachen stehen können, und wir einfach an STI denken müssen.
PTA-Forum: Wie können Apotheken zur Aufklärung beitragen?
Brockmeyer: Indem die Apotheken gerade, wenn sie bei Erkrankungen im Genital- und Anal-Bereich beraten, immer die STI mit erwähnen und darauf aufmerksam machen, dass das Risiko besteht. Da ist die Hemmschwelle auf beiden Seiten natürlich groß – das ist auch bei Ärzten so. Denn das impliziert Fragen wie: Haben Sie einen neuen Freund, eine neue Freundin oder neue Sexualkontakte? In Umfragen sagen aber fast alle Patienten, dass sie mit ihrem Arzt über Sexualität und STI reden möchten. Auf die Frage, ob es nach ihrer Meinung genügend gemacht wird, sagen 80 Prozent nein. Da sieht man ein Riesentabu, was Sex anbetrifft oder überhaupt was sexuelle Krankheiten und insbesondere STI anbetrifft. Darüber wird viel zu wenig geredet.
Wir haben in Bochum eine Studie bei jungen Leuten bis 27 Jahre gemacht, alle ohne Symptome. Bei diesen haben wir Chlamydien-Infektionen in der Größenordnung von 13 Prozent gefunden, selbst Gonokokken-Infektionen in der Größenordnung von 6 Prozent. Das zeigt deutlich, eine Beratung bei jungen Menschen ist vordringlich. Allerdings sollten wir auch ältere Menschen nicht vernachlässigen: Wir sehen einen zweiten Peak an STI, der ist nicht so hoch, im Alter von 55 bis 60 Jahren. In dem Alter glauben anscheinend viele Leute, ›in meiner Altersklasse gibt es STI nicht mehr‹.
Insgesamt besteht in jeder Altersgruppe Aufklärungsbedarf. Leider passiert das insgesamt noch viel zu wenig. Wenn die Apotheken in diesem Bereich stärker mit Präventionsangeboten aktiv wären, wäre dies eine tolle Sache.
PTA-Forum: In Apotheken kommt mitunter die Frage nach Selbsttests auf. Wie beurteilen Sie diese?
Brockmeyer: Der HIV-Selbsttest ist sehr gut, da gibt es keine Frage. Nur haben viele Probleme bei der Anwendung. So ganz einfach ist es nicht, wenn man ihn noch nie gemacht hat. Dann kommen Menschen mit einem falsch positiven HIV-Test aufgeregt zu uns ins Zentrum. Nichtsdestotrotz ist der Test hervorragend und das sollte man weiter postulieren.
Bei den anderen Selbsttests ist es etwas schwierig. Der Syphilis-Test ist zum Beispiel immer positiv, wenn man vorher schon einmal Syphilis hatte. Insgesamt sind Selbsttests aber sicherlich eine Erweiterung und sensibilisieren – aber immer mit dem Hinweis, auch zum Arzt zu gehen.
Von der STI-Gesellschaft schreiben wir gerade eine Arbeit zu den Selbsttests. Was wir demnächst anbieten werden, ist ein Selbstentnahme-Kit, das heißt, Sie entnehmen die Probe selbst und schicken sie an das Labor. Danach werden Sie informiert, ob das Ergebnis positiv oder negativ ist. Falls es positiv ist, werden Sie direkt beraten. Ein ähnliches Konzept bietet die Aidshilfe bereits an – eine sehr gute Sache.
Die DSTIG bietet einen STI-Leitfaden für die Kitteltasche an, der auch für Apotheken interessant ist. Dieser kann unter www.dstig.de heruntergeladen oder per Post bestellt werden.
Demnächst wird es außerdem zusammen mit der Ärztekammer Westfalen-Lippe eine Fortbildung zu sexueller Gesundheit geben, von der sich das erste Modul auch an Apothekenpersonal richtet.