Wie Pestizide auf Gehirnzellen wirken |
Pestizide und Umwelttoxine könnten ein Faktor sein, warum die Zahl der Parkinson-Erkrankungen so rapide zunimmt. / Foto: Fotolia/Kara
Am 16. November hat die EU-Kommission entschieden, dass das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat weitere zehn Jahre in der EU genutzt werden darf. Diese Entscheidung war nicht unbedingt zu erwarten gewesen, denn bei der Abstimmung unter den Mitgliedstaaten hatte es zuvor weder die erforderliche Mehrheit für eine Verlängerung noch für eine Ablehnung der Zulassung von Glyphosat gegeben. Das Pestizid der Firma Bayer steht vor allem wegen einer möglichen Erhöhung der Krebsrisiken und Problemen für den Artenschutz in der Diskussion.
Zu wenig beachtet werde in der Einschätzung der Substanz ihre potenzielle Neurotoxizität, schrieben die niederländischen Forschenden Professor Dr. Bastiaan Bloem von der Radboud-Universität Nijmegen und Dr. Tjitske Boonstra von der Technischen Universität Delft im Vorfeld der Entscheidung in einem Kommentar im Journal »The Lancet Planetary Health«. In diesem sprachen sie sich deutlich gegen eine Verlängerung der Glyphosat-Zulassung aus.
Ihre Gründe: Die Sicherheit von Glyphosat in Bezug auf Parkinson und andere neurologische Erkrankungen könne wegen schwerwiegender Mängel in den derzeitigen Regulierungsmaßnahmen nicht sicher abgeschätzt werden. So seien die Verfahren zur Prüfung auf Neurotoxizität zu grob und die in Tierversuchen eingesetzten Glyphosat-Dosen vermutlich zu gering, um für die tägliche Exposition von Menschen repräsentativ zu sein.
Die Forschenden betonen, dass die Parkinson-Krankheit weltweit den schnellsten Anstieg der Prävalenz von allen neurologischen Erkrankungen verzeichne und dass dieser den durch die Demografie erwartbaren Anstieg übertreffe. Die starke Zunahme führen sie zum Teil auf die Exposition gegenüber Umweltgiften, vor allem Pestiziden, zurück. Viele Pestizide führten zum Absterben nigrostriataler Nervenzellen und verursachten bei exponierten Tieren Parkinson-Symptome. Zudem wird eine Glyphosat-Exposition auch mit anderen Erkrankungen wie Alzheimer, Motoneuron-Erkrankungen wie amyotrophe Lateralsklerose (ALS) und geistige Behinderungen bei Kindern in Verbindung gebracht.
»Alles in allem besteht eine große Datenlücke in Bezug auf Glyphosat und das Risiko neurologischer Erkrankungen«, schreiben die Autoren. Die bisherigen Daten ließen einen Zusammenhang zwischen Glyphosat-Exposition und nigrostriatalem Zelltod und damit ein Risiko für die Parkinson-Krankheit vermuten. »Zusammen mit den festgestellten Unzulänglichkeiten bei den Regulierungsmaßnahmen und der raschen Zunahme der Parkinson-Krankheit gibt dies Anlass zu ernster Sorge.«
In diese Richtung äußert sich auch Professor Dr. Daniela Berg, Direktorin der Klinik für Neurologie an der Universität Kiel und stellvertretende Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). Angesichts »der rapide steigenden Zahl der Parkinson-Erkrankungen« sei es wichtig, den möglichen Beitrag von Pestiziden weiter zu erforschen und in die aktuellen Diskussionen mit einzubeziehen, forderte sie in einer Mitteilung der DGN vom 8. September.
Die neurotoxischen Wirkungen von Pestiziden seien lange bekannt. So würden Substanzen wie MPTP und Rotenon, die als Pestizid verwendet wurden oder noch werden, auch genutzt, um Tiermodelle für die Erforschung der Parkinson-Erkrankung zu generieren. Zudem werde Parkinson in Frankreich bei Personen, die in der Landwirtschaft gegenüber Pestiziden exponiert waren, als Berufskrankheit anerkannt.
Für viele Pestizide sei ein direkter toxischer Effekt auf das Nervensystem nachgewiesen. Glyphosat verändere zum Beispiel die Neurotransmitter-Konzentrationen im Nervensystem und trage zu einem zellschädlichen Milieu bei. Zudem könnten auch indirekte Effekte, etwa über eine Veränderung des Mikrobioms, eine Rolle bei der Pathologie spielen.
In der DGN-Mitteilung werden auch weitere Umwelttoxine benannt, die das Parkinson-Risiko erhöhen könnten. So wird eine Rolle für das Lösungsmittel Trichlorethylen, für Mangan, Luftschadstoffe wie Schwefeldioxid, Feinstaub, chemische Weichmacher wie Bisphenol A und Nanoplastik diskutiert.
Zum Effekt von Nanoplastik erschien aktuell eine Studie im Fachjournal »Science Advances«. Darin berichtet ein Team um Dr. Zhiyong Liu von der Duke University in Durham, USA, dass in In-vitro-Untersuchungen winzige Partikel des Plastiks Polystyrol mit α-Synuclein interagieren können. Das Protein kommt in Neuronen vor und kann in einer fehlgefalteten Form zum Nervenzellverlust bei Parkinson oder bei der Lewy-Körperchen-Demenz beitragen. Die Forschenden konnten zeigen, dass sich das Nanoplastik mit α-Synuclein verbindet und dessen Verklumpung verstärkt. Bei Mäusen verschlimmerte die Gabe von Nanoplastik in Kombination mit α-Synuclein-Fibrillen die Ausbreitung der α-Synuclein-Pathologie in miteinander verbundenen Hirnregionen.
Die Hinweise aus der Forschung nähmen zu, dass Umwelttoxine die Parkinson-Inzidenz zusätzlich erhöhen könnten, was eine Erklärung für den überproportionalen Anstieg sein könne, sagt Berg. Politik und Gesellschaft seien gefordert, die Einträge zukünftig zu verringern. Zudem sollte die Forschung in diesem Bereich gestärkt werden.