Wie Religion die Ernährung mitgestaltet |
Du bist, was du isst: Auch der Glaube spielt hierbei eine große Rolle. / Foto: Adobe Stock/Rawpixel.com
An der Anzahl der Mitglieder in Religionsgemeinschaften gemessen, ist Deutschland ein größtenteils christlich geprägtes Land. Allerdings: Im Frühjahr 2022 machten die Mitglieder der römisch-katholischen und der evangelischen Kirche zusammen zum ersten Mal weniger als 50 Prozent der gesamten Bevölkerung aus. Dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge umfasste die muslimische Bevölkerungsgruppe 2019 zwischen 5,3 und 5,6 Millionen Personen; ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung lag also zwischen 6,4 Prozent und 6,7 Prozent. 70 Prozent der befragten muslimischen Religionsangehörigen sagen von sich, die islamischen Speisevorschriften zu beachten, weitere 13 Prozent halten sich teilweise daran. Die jüdische Gesamtbevölkerung in Deutschland wird auf etwa 225.000 Personen geschätzt, von denen laut der Zentralwohlfahrtstelle der Juden in Deutschland 2020 etwa rund 94.000 Mitglieder in jüdischen Gemeinden organisiert waren.
Das Leben ist heilig, sagt die Tora. Deshalb trägt sie gläubigen Juden auf, sich um die Menschen zu kümmern und sorgsam und respektvoll mit Tieren und Pflanzen umzugehen. Aus ihren Anweisungen und den Interpretationen zahlreicher Rabbiner über zwei Jahrtausende hinweg haben sich die jüdischen Speisegesetze (»Kaschrut«) entwickelt, die im Talmud aufgeschrieben sind und denen praktizierende Juden bis heute folgen.
Demnach essen sie nur, was als »koscher« (wörtlich: tauglich, erlaubt) gilt. Im Kontext von Ernährung und Lebensmitteln wird der Begriff »koscher« sowohl für einzelne Zutaten verwendet als auch für daraus hergestellte Gerichte. Streng genommen muss eine Speise auch von einem Juden gekocht worden sein, um koscher zu sein. Ausnahmen sind jedoch bei industriell gefertigten Lebensmitteln oder in der Gastronomie möglich; ein Kompromiss kann sein, stattdessen die Zubereitung von einem Rabbiner beaufsichtigen zu lassen.
Fleisch gilt nur als koscher, wenn es von Paarhufern und Wiederkäuern wie Schafen, Kühen oder Ziegen stammt; umgekehrt sind Schweine, Hasen, Pferde und Insekten »trefe«, also nicht erlaubt. Geflügel ist koscher, sofern es sich nicht um Raubvögel handelt. Gemäß dem Bibel-Vers »Koche nicht ein Böcklein in der Milch seiner Mutter« (Ex. 23:19) darf Fleisch nie mit Milchprodukten in Kontakt kommen, sondern nur mit neutralen (»parwe«) Zutaten wie Eiern, Gemüse oder Früchten. Kalbsgeschnetzeltes in Sahnesoße wird in einem jüdischen Haushalt also nicht geben. Zudem würde ein Milchdessert erst sechs Stunden nach dem Braten serviert werden, Fleischiges darf auf Milchiges aber in kürzerem Abstand folgen. Der Zentralrat der Juden sagt, dass auch pflanzliche Milchalternativen parwe sind. Solche Produkte können Milch ersetzen und so die Regeln der Kaschrut umgehen. Übrigens: Als parwe gilt auch Fisch, der Flossen und Schuppen haben muss, um koscher zu sein. Zusammen mit Fleisch wird er trotzdem nicht kombiniert. Umgekehrt gelten Garnelen, Shrimps und Tintenfische als trefe, ebenso wie Aal, der in der Evolution seine Flossen verloren hat.
Die Trennung von Fleisch und Milch geht bei streng gläubigen Juden sogar so weit, dass beide Speisen getrennt voneinander aufbewahrt werden und nicht auf den gleichen Tellern serviert werden dürfen. Praktizierende Juden besitzen Geschirr und Küchengeräte daher mindestens doppelt, spülen alles separat und bewahren es getrennt voneinander auf. Manche Juden haben Geschirr und Küchengeräte sogar vierfach im Haus, weil zu Pessach das gewöhnliche Alltagsgeschirr aus der Küche verbannt und gegen Geschirr getauscht wird, das ungesäuertem Brot vorbehalten ist. Das Pessach-Fest erinnert die Juden an den Auszug des Volkes aus Ägypten, der so schnell gehen musste, dass keine Zeit blieb, das Brot auf gewohnte Weise zu backen. Deshalb wird zu Pessach alles Gesäuerte aus dem Haus entfernt und stattdessen sogenanntes Mazze gegessen – ein einfaches Brot ohne Hefe aus Mehl und Wasser, ähnlich wie Knäckebrot.
Wichtig zu wissen: Der Status »koscher« eines Lebensmittels hängt auch von seiner Zubereitung ab. Im Judentum ist selbst koscheres Fleisch für den Verzehr nur dann erlaubt, wenn das Tier artgerecht gelebt hat und bei seiner Schlachtung gesund war und nicht leiden musste. Außerdem ist Juden der Genuss von Blut streng verboten, da nach Auffassung der Gläubigen die Seele des Tieres darin wohnt. Aus diesem Grund müssen die Tiere vollständig ausbluten, bevor sie verzehrt werden. Um dies sicherzustellen, ist das rituelle Schächten im Judentum einem sogenannten Schochet vorbehalten. Er hat während seiner Ausbildung gelernt, das Schlachtmesser richtig zu schärfen, das Tier mit einem einzigen, scharfen Schnitt durch die Kehle gleichzeitig zu betäuben und zu töten, es vollständig auszubluten und anschließend gemäß den jüdischen Speisegesetzen zu zerlegen. Dies ist wichtig, da praktizierenden Juden der Verzehr von Hüftsehne und Fett ebenfalls verboten ist. Nur wenn das Fleisch die Kontrollen zwischen den einzelnen Arbeitsschritten anstandslos bestanden hat, behält es seinen Status als »koscher« und kommt anschließend in den Verkauf. Zuhause folgt die Zubereitung, bei der restliches Blut peinlich genau entfernt wird.
In Deutschland ist Schlachten ohne Betäubung verboten. Weil im Grundgesetz aber neben dem Tierschutz auch die freie Religionsausübung verankert ist, dürfen die zuständigen Behörden einer Metzgerei oder einem Schlachthaus Ausnahmegenehmigungen für das Schächten erteilen. Der Import von Fleisch geschächteter Tiere ist erlaubt.
Das Ablehnen von Blut teilen Muslime; auch sie schächten Tiere. Muslimische Metzger sprechen davor noch ein Gebet und blicken gen Mekka. Daneben ist der Verzicht auf Schweinefleisch ein wichtiges Speisegebot der Muslime. Schweinefleisch und seine Erzeugnisse wie Gelatine gelten als »haram«, also verboten. Ebenso haram sind Pferd und Esel, die laut Koran von Allah nur zum Lastentransport bestimmt worden sind, Insekten sowie alle fleischfressenden und verstorbenen Tiere.
Unrein sind nach dem Koran auch Rauschmittel (auch Muskat) und Alkohol. Das Verbot gilt nur für Ethanol, Methanol, Propanol oder Isopropanol sind erlaubt. Es schließt aber auch alle flüssigen Ethanol-haltigen Zubereitungen und Erzeugnisse ein, für deren Synthese Ethanol notwendig war – selbst wenn er im Endprodukt nicht mehr vorhanden oder nur noch in Spuren nachweisbar ist. Ein striktes Alkoholverbot gibt es jedoch nur in wenigen islamischen Ländern, und der individuelle Umgang mit Alkohol ist unter Muslimen sehr verschieden. Umgekehrt ist gemäß den heiligen Schriften des Islam alles »halal«, also erlaubt, was nicht ausdrücklich verboten ist.
Das Fasten im Monat Ramadan stellt neben dem Beten eine weitere der fünf Säulen des Islams dar. Dabei nehmen die fastenden Muslime im Fastenmonat von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang keine Nahrung und Getränke zu sich. Schwangere, Stillende, Kranke und Kinder sind von der Fastenpflicht befreit. Nach etwa vier Wochen endet der Ramadan mit dem Zuckerfest, bei dem die Familien drei Tage lang zusammen essen, naschen und feiern.
In Deutschland ist das Einhalten der Speisegesetze für praktizierende Juden und Muslime nicht so einfach. Als koscher und halal ausgewiesene Lebensmittel sind im Handel unterrepräsentiert. Zudem eignet sich das Zutatenverzeichnis von Lebensmitteln nicht, um ein Produkt zuverlässig als koscher oder halal zu identifizieren. Es listet zwar alle Zutaten in absteigender Menge auf und hebt Allergene hervor, doch zu viele Stoffe gelten als Ausnahmen: So müssen beispielsweise Verarbeitungshilfsstoffe (früher technische Hilfsstoffe genannt) nicht angegeben zu werden, solange sie im fertigen Produkt keine technologischen Wirkungen entfalten und unbedenklich sind. Wenn ein Emulgator etwa aus Federn gewonnen wird, kann sich Fleischiges in Milchiges einschleichen.
Deshalb gibt die Orthodoxe Rabbinerkonferenz mit Sitz in Köln eine Liste mit Herstellern und ihren koscheren Lebensmitteln heraus. Eine Übersicht über Hersteller und ihre koscheren Lebensmittel gibt es hier.
Der Hinduismus in Deutschland hat etwa 100.000 Anhänger. Er ist eine der ältesten Religionen der Erde und basiert auf den alten Liedern, Gedichten und Geschichten der vedischen Schriften. Darin findet der Gedanke der Wiedergeburt zwar noch keine Erwähnung, hat sich aber dennoch im Laufe der Jahrtausende zu einer Säule des Glaubens entwickelt. Nach der Vorstellung der Hindus hat jeder Mensch und jedes Tier schon unzählige Male gelebt – und alle werden nach dem Tod des Körpers noch viele Male wiedergeboren werden. Dabei kann die Seele eines Menschen auch im Körper eines Tieres wiedergeboren werden, wobei die künftigen Lebensumstände die Auswirkungen des derzeitigen Lebens sind (»Karma«).
Eine der zentralen Verhaltensregeln ist deshalb die Gewaltlosigkeit (»Ahimsa«) in Worten, Gedanken und Taten, die alle Lebewesen umfasst. Tiere haben deshalb einen hohen Stellenwert im Hinduismus. Speziell die Kuh wird verehrt, denn sie versorgt den Menschen mit den fünf Gaben Milch, Joghurt, Ghee (Butterschmalz; wird zum Kochen verwendet), Mist (dient getrocknet als Brennmaterial) und Urin (wird als Heilmittel verwendet). In Indien leben Rinder daher in absoluter Freiheit, traben unbehelligt durch den Großstadtverkehr und werden sogar in Altenheimen gepflegt.
Viele gläubige Hindus verzichten gänzlich auf Fleisch, mindestens jedoch auf Rindfleisch. Das war nicht immer so: Ursprünglich war der Verzehr von Fleisch und Fisch erlaubt, sofern das Tier den Göttern geopfert wurde und dieses Opfer die Tötung rechtfertigte. Erst als die Priester-Kaste der hinduistischen Gesellschaft (»Brahmanen«) begann, auf Fleisch zu verzichten, etablierte sich der Vegetarismus als hinduistisches Ernährungsmodell. Aus dem gleichen Grund ist der Beruf des Schlachters unter Hindus unbeliebt, häufig übernehmen ortsansässige Christen oder Muslime diese Aufgabe.
Siddhartha Gautama (circa 563 bis 483 v. Chr.) stellte viele Grundlagen des Hinduismus infrage. Er stellte fest, dass alles auf der Welt vergänglich ist und Menschen unzufrieden sind und leiden. Es heißt, dass Siddharta sich unter einen Baum setzte und mehrere Tage und Nächte darüber nachdachte. Er versank tief in seinen Gedanken, meditierte und fand darin die Erleuchtung – also einen Weg, Weisheit und Gelassenheit zu entwickeln, um in den großen und kleinen Stürmen des Lebens den Kurs halten zu können und Frieden zu finden.
Seitdem wurde er Buddha (»der Erleuchtete«) genannt und zu einem spirituellen Vorbild vieler Menschen. Heute ist der Buddhismus mit fast 300 Millionen Anhängern die viertgrößte Religion der Welt. Die größte Zahl Anhänger ist in Süd- und Ostasien zu finden, insbesondere in Japan, Thailand und Burma. In Deutschland leben der Buddhistischen Union zufolge rund 200.000 praktizierende Buddhisten.
Buddhisten sollen nur so lange essen, bis ihr Hunger gestillt ist. Lebensmittel dürfen nicht vergeudet oder weggeworfen und kein Tier nur um des Essens willen getötet werden. Auch wenn Fleischverzehr in den meisten buddhistischen Strömungen nicht grundsätzlich abgelehnt wird, leben viele Buddhisten vegetarisch, um keinem Tier Leid zuzufügen und damit ihr Karma zu schädigen. Die Begründung für die vegetarische Lebensweise liegt in der Annahme, dass jedes fühlende Wesen einen Buddha in sich tragen könnte. Somit könnte durch den Genuss von Fleisch möglicherweise ein zukünftiger Buddha getötet werden.
Es gibt aber eine Ausnahme: Wird ein Buddhist zum Essen eingeladen und ein Fleischgericht serviert, sollte er nach Buddhas Worten den Gastgeber nicht verletzen und beherzt zugreifen. In abgewandelter Form gilt das auch für buddhistische Mönche: Sie dürfen ihr Essen und Trinken ausschließlich erbetteln und keine Nahrungsmittel ablehnen, die ihnen angeboten werden.
Zuhause in Deutschland mag es wenige Berührungspunkte mit den Speisevorschriften anderer Religionen geben, doch im Urlaubsland kann das anders sein. Die Kenntnis und der Respekt für die Ernährungsregeln ist in bestimmten streng gläubigen Urlaubsländern relevant.
Beim Thema Alkohol erstreckt sich die Bandbreite in muslimischen Ländern von einem sehr toleranten Umgang, bei dem die Verantwortung dem einzelnen Gläubigen übertragen wird, bis zu einem totalen Verkaufs- und Konsumverbot, das auch Touristen einschließt. Die größeren Hotels und Restaurants in den Touristenmetropolen haben meist eine spezielle Ausschanklizenz. In der Öffentlichkeit hingegen ist das Trinken oft untersagt, betrunken herumzulaufen gilt in manchen Ländern sogar als Straftat.
In islamisch und buddhistisch geprägten Ländern gilt die linke Hand als unrein, weil sie auf der Toilette benutzt wird. Sie kommt deshalb mit dem Tisch und Speisen nicht in Kontakt, sondern ruht oft auf dem Oberschenkel. Zum Essen wird nur die rechte Hand verwendet. Das Händewaschen vor und nach dem Essen sollte selbstverständlich sein. Beim traditionellen islamischen Essen gibt es kein Besteck. Das Fladenbrot, welches traditionell zu jeder Mahlzeit gereicht wird, dient – in kleine Stücke gerissen – als Löffelersatz.
Die für den Ramadan geltenden Regeln sind für Muslime gedacht; Touristen müssen nicht von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang fasten. In Hotels gibt es deshalb normalerweise keine Einschränkungen. Allerdings können einheimische Restaurants tagsüber geschlossen sein. Aus Respekt vor den Gläubigen sollten Reisende nicht in der Öffentlichkeit essen und trinken, sondern möglichst im Hotelzimmer. In der Öffentlichkeit sollte auch kein Kaugummi gekaut und nicht geraucht werden.
Im Gegensatz zu Deutschland und Mitteleuropa ist das gemeinsame Essen nicht immer eine Plattform für Kommunikation und Small Talk. So gesprächig Muslime auch sind – das Essen wird oft ruhig bis schweigend eingenommen.