Wie Riechen und Migräne verknüpft sind |
Juliane Brüggen |
07.09.2022 16:30 Uhr |
Wenn der Geruch zur Qual wird – viele Migräne-Patienten leiden unter einer erhöhten Geruchsempfindlichkeit. / Foto: Adobe Stock/Angelina
Migräne und Sinnesreize spielen zusammen: Vor allem während einer Attacke sind viele Patienten sensibel für Licht, Lärm und Gerüche. Die überhöhte Geruchsempfindlichkeit, auch Osmophobie genannt, ist kein seltenes Phänomen, wie eine aktuelle Querschnittsstudie mit 113 Migräne-Patientinnen und -Patienten verdeutlicht. Die Ergebnisse präsentierte Privatdozentin Dr. Gudrun Goßrau auf einer Pressekonferenz der Initiative »Attacke! Gemeinsam gegen Kopfschmerzen«. Die Studie – ein gemeinsames Projekt des UniversitätsSchmerzCentrums und des interdisziplinären Riechzentrums am Universitätsklinikum Dresden – ist im »Journal of Headache and Pain« erschienen.
Demnach leiden 38 Prozent der Befragten vor einer Migräne-Attacke an einer erhöhten Sensitivität für Gerüche, 62 Prozent während des Anfalls und 32 Prozent auch zwischen den Attacken. Bei einem Drittel kommt es zu geruchsgetriggerten Anfällen. Patienten, die an Migräne mit Aura leiden, sind der Befragung zufolge doppelt so oft von Osmophobie betroffen wie diejenigen ohne Aura.
Auch auf den Geruch selbst kommt es an: Als störend wurden am häufigsten süßes Parfüm, Essensgerüche und Zigarettenrauch empfunden, aber auch Abgase, abgestandene Raumluft, Blumenduft, Lack und Benzin. Goßrau betonte, dass diese »Gerüche aus dem Alltag« für die Betroffenen kaum vermeidbar sind, was die Belastungssituation verdeutliche.
Die Forschenden beobachteten außerdem eine Verbindung mit der Krankheitslast. Diese definiert sich unter anderem durch die Erkrankungsdauer und die migränebedingten Alltagseinschränkungen. Je stärker ausgeprägt die Osmophobie der Befragten war, desto höher war auch ihre Krankheitslast. Oder andersherum: Je höher die Krankheitslast, desto mehr Osmophobie trat auf. Ermittelt wurde die Geruchsempfindlichkeit in vier Fragen, die Krankheitslast mit dem Midas(Migraine Disability Assessment Score)-Fragebogen.
Dass Migräne-Patienten einfach einen besseren Geruchssinn haben als andere Menschen, konnte sich laut Goßrau im Riechtest nicht bestätigen – eher war das Gegenteil der Fall. Migräne-Patienten zeigten im Test ein schlechteres Riechvermögen als die Kontrollgruppen. Unter den Patienten, die an Migräne mit Aura litten, war die Geruchswahrnehmung schlechter als bei den Patienten ohne Aura.
Die Befunde eines schlechteren Riechvermögens stünden aber in Einklang mit bereits vorliegenden Erkenntnissen aus MRT-Untersuchungen, so die Fachärztin für Neurologie. »Ein wesentliches Element des Riechsystems im Gehirn ist der Riechkolben. Dieser hat ein gewisses Volumen bei Gesunden. Die morphologischen MRT-Befunde zeigen, dass das Volumen des Riechkolbens bei Patienten mit Migräne kleiner ist.«
Unter dem Mikroskop erkenne man außerdem, dass die Riechsinneszellen in der Riechschleimhaut eng mit Trigeminus-Fasern verknüpft sind. Diese Nervenfasern spielen eine wesentliche Rolle für die Übertragung von Schmerzsignalen beim Migräne-Kopfschmerz. Die Ärztin erklärte, dass auch die »Riechareale« im Gehirn durch Reize des Trigeminus aktiviert werden: »Das zeigt, dass die zwei Systeme, also Riechen und Trigeminus-System, sehr eng zusammenhängen.«
Die Ergebnisse lassen hoffen, dass ein Riechtraining die Symptome der Migräne mildern oder gar eine Chronifizierung verhindern kann. Dazu liegen laut Goßrau bereits erste Untersuchungen vor. Die teilnehmenden Migräne-Patienten führten zweimal täglich über einen Zeitraum von drei Monaten ein Riechtraining durch. Die Düfte – häufig waren Rose und Citrusfrüchte – werden dafür in spezielle Filzstifte (Riechstifte) eingebracht, an denen die Teilnehmer für mindestens 15 bis 20 Sekunden riechen.
In drei Versuchsreihen, von denen zwei mit Kindern und Jugendlichen durchgeführt wurden, zeigten die Teilnehmer nach dem Riechtraining eine höhere trigeminale Schmerzschwelle, das heißt, sie waren weniger schmerzempfindlich im Gesichtsbereich. Goßrau interpretierte die Ergebnisse als »erste Effekte, die zukunftsweisend sein könnten.« Es bedürfe aber noch mehr Forschung auf diesem Gebiet.