Wie Scheinfasten funktioniert |
Barbara Döring |
21.02.2024 08:30 Uhr |
Kohlenhydratarmes Gemüse ist in kleinen Mengen beim Scheinfasten erlaubt. / Foto: Adobe Stock/Rawpixel.com
»Wenn die Krankheit auf ihrer Höhe ist, dann muss die knappste Nahrungszufuhr erfolgen«: Das empfahl schon der griechische Arzt Hippokrates vor mehr als 2000 Jahren. Heute ist das Thema Fasten so populär wie nie zuvor. Immer mehr Mediziner und Ernährungsberater befassen sich mit den Wirkungen des Nahrungsverzichts und sehen es als wirkungsvolle Maßnahme, um überflüssige Pfunde schmelzen zu lassen und die Therapie zahlreicher Erkrankungen zu unterstützen. Laut der Ärztegesellschaft Heilfasten & Ernährung lassen sich mehr als 60 Krankheiten mit therapeutischem Fasten (Heilfasten) behandeln. Dazu zählen Stoffwechselerkrankungen wie Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf- und chronisch-entzündliche Erkrankungen, aber auch Schmerzsyndrome oder psychosomatische Störungen.
Was Hippokrates als knappste Nahrungszufuhr bezeichnete, bedeutet heute beim klassischen Heilfasten in der Regel, 5 bis 21 Tage auf feste Nahrung und Genussmittel zu verzichten. Ausschließlich Flüssiges wie Säfte, Brühe oder Molke bis etwa 500 Kalorien täglich sind dabei meist erlaubt. So kommen im Darm kaum noch immunaktivierende und entzündungsfördernde Nahrungsbestandteile an und das darmassoziierte Immunsystem legt eine Pause ein. Untersuchungen zeigen, dass während des Fastens der Spiegel des entzündungshemmenden Cortisols im Blut steigt, während Entzündungsfaktoren wie CRP, TNF-alpha und IL-6 zurückgehen. Dass auch Schmerzen während des Fastens weniger werden und sich die Stimmung oft deutlich verbessert, führen Forscher auf eine erhöhte synaptische Verfügbarkeit von Serotonin zurück, die während des Fastens gemessen werden konnte.
Beim Fasten geht es heute jedoch nicht mehr allein um Gewichtsabnahme und Heilung. Vielmehr zeigen Studien, dass die Kalorienrestriktion wie eine Art Verjüngungskur wirkt und – regelmäßig ausgeführt – die Chance auf ein langes und gesundes Leben erhöht. Verantwortlich dafür sind Aufräumprozesse in den Zellen, die anlaufen, wenn die Energiezufuhr eine Zeitlang gedrosselt wird. Dann startet das große Reinemachen in Form einer gesteigerten Autophagie: Defekte Zellbestandteile und nicht funktionstüchtige Proteine, die zum Beispiel falsch gefaltet sind, werden abgebaut, um die Bausteine später wiederzuverwerten. Gleichzeitig entstehen vermehrt zellschützende Proteine und der mitochondriale Stress, der bei der Produktion des Energieträgers ATP entsteht, nimmt ab. All das wirkt als eine Art Anti-Aging-Kur für den Organismus. So zeigen Untersuchungen bei verschiedenen Tierspezies, dass die Lebenszeit um bis zu 40 Prozent erhöht ist, wenn die Energiezufuhr über die Nahrung um 20 bis 30 Prozent reduziert wird. Gleichzeitig treten altersassoziierte Erkrankungen wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs um bis zu 50 Prozent seltener auf. Wobei diese Ergebnisse mit einer dauerhaften Kalorienrestriktion nicht 1:1 auf gelegentliches Fasten übertragbar sind.
Nicht jeder kann sich jedoch mit einem restriktiven Nahrungsverzicht anfreunden, wie ihn das klassische Heilfasten vorsieht. So gibt es Bedenken, in der Fastenphase nicht leistungsfähig zu sein oder dass die Infektanfälligkeit steigt. Doch offenbar ist es gar nicht nötig, tagelang konsequent aufs Essen zu verzichten, um von den gesunden Effekten des Fastens zu profitieren. Auch mit dem sogenannten Scheinfasten lassen sich die Aufräumprozesse in den Zellen ankurbeln, obwohl täglich drei Mahlzeiten in Form fester Nahrung erlaubt sind.
Der US-amerikanische Altersforscher Professor Dr. Valter Longo von der University of Southern California entwickelte vor etwa zehn Jahren die im Englischen »Fasting mimicking diet« genannte Fastenform, da es – wie ihm selbst – vielen Menschen schwerfällt, tagelang nur mit Flüssigkeit auszukommen. Gleichzeitig beobachtete er, dass manche Fastenwillige spätestens nach der Zeit des Verzichts von Heißhungerattacken übermannt werden, sodass verlorene Kilos schnell wieder auf den Rippen sind.
Beim Scheinfasten wird der Nahrungsentzug, mit dem der Körper beim herkömmlichen Fasten konfrontiert ist, imitiert. Das funktioniert dank einer speziellen Zusammensetzung der Nährstoffe, die Longo in Studien erprobte. Der Körper erhält dabei genug Energie und Vitalstoffe, um fit und leistungsfähig zu bleiben und soll dennoch von den positiven Wirkungen profitieren, die ein striktes Fasten mit sich bringt. Im Prinzip ist Scheinfasten nichts anderes als eine vegane Ernährung, bei der kohlenhydratarmes Gemüse und ungesättigte Pflanzenfette im Vordergrund stehen. Kohlenhydrate und Eiweiß werden reduziert. Verzichtet wird auf Fleisch, Milch und Käse sowie andere tierische Proteine. Auch Haushaltszucker, herkömmliche Nudeln, Reis, Brot und Kartoffeln sind vom Speiseplan gestrichen.
Am ersten Tag der Fastenkur sind für Frühstück, Mittag- und Abendessen insgesamt 1100 kcal erlaubt, vom zweiten bis fünften Tag wird die Energiezufuhr auf 750 kcal begrenzt, wobei je 500 beziehungsweise 370 kcal aus Kohlenhydraten und Fetten und 100 beziehungsweise etwa 60 kcal aus pflanzlichen Proteinen stammen sollten. Dabei sind nur ausgewählte Nahrungsmittel vorgesehen, die in kleiner Menge verspeist dem Stoffwechsel sozusagen verborgen bleiben. Die wichtigsten Energielieferanten sind Avocados, Olivenöl und Nüsse. Zusätzlich stehen kohlenhydratarme Gemüsesorten, Pilze, Salate und zuckerarme Beeren auf dem Speiseplan, die mit Ballaststoffen für Sättigung sorgen.
Fünf Tage Scheinfasten reichen aus, wobei die Kur im Idealfall drei bis viermal im Jahr, mindestens jedoch zweimal durchgeführt werden sollte. Um gegen starkes Übergewicht und bereits bestehenden Bluthochdruck oder erhöhte Cholesterolspiegel vorzugehen, empfiehlt Longo, dem Stoffwechsel möglichst einmal im Monat durch Scheinfasten Ruhe zu gönnen. In einer Studie der Universität in Südkalifornien nahmen Probanden durch monatliches Scheinfasten nach einem Vierteljahr 3,6 kg ab, ein leicht erhöhter Blutdruck sank um 6 mmHg und der Nüchternblutzucker um 12 mg/dl. Bei entsprechenden Vorerkrankungen sollten Patienten eine Nahrungsrestriktion jedoch immer ärztlich absprechen.
Warum beim Scheinfasten gerade die Zufuhr von Eiweiß und Kohlenhydraten zurückgefahren wird, hat gute Gründe: So aktivieren Aminosäuren, die nach einer eiweißreichen Mahlzeit im Blut zirkulieren, ebenso wie Insulin nach dem Genuss von Kohlenhydraten im Körper das Enzym mTor (mechanistic Target of Rapamycin), das im Körper Wachstumsprozesse anstößt. Das Enzym gilt als zentraler Signalgeber, um Muskeln aufzubauen, Hormone herzustellen oder bei der Wundheilung neues Gewebe zu bilden. Was einerseits lebensnotwendig ist, beschleunigt auf der anderen Seite die Alterungsprozesse. Regelmäßiges Scheinfasten soll hier immer wieder ein gesundes Stoppzeichen setzen, ohne dem Körper wichtige Nährstoffe vorzuenthalten oder Aufbauprozesse langfristig einzuschränken.
Den größten Teil der Kalorien liefern beim Scheinfasten ungesättigte Fettsäuren, die den Blutzucker- und Insulinspiegel kaum beeinflussen. Dem Stoffwechsel wird so ein Nahrungsstopp vorgegaukelt. In diesem Modus schaltet der Körper nach 12 bis 36 Stunden auf Ketose um, das heißt, statt der Kohlenhydrate dienen Ketone als Energielieferanten. Ketone bringen nebenbei viele erwünschte Eigenschaften mit sich: Sie wirken entzündungshemmend, dämpfen den Hunger und erhöhen im Gehirn die Konzentration des Proteins BDNF, das die Bildung von Neuronen stimuliert. Gleichzeitig kommt auch beim Scheinfasten nach etwa 16 Stunden die Autophagie verstärkt in Gang, das Recyclingprogramm, das bei Stress das Überleben des Organismus sichern soll und im gesamten Tierreich verbreitet ist. Von manchen Anti-Aging-Experten wird die Autophagie als wichtiger Faktor für ein langes, gesundes Leben angesehen.
Damit Scheinfasten mit der richten Menge und Mischung an Nahrungsmitteln leicht umzusetzen ist, bietet der Erfinder der Methode unter anderem eine patentierte Fastenbox unter anderem mit Gemüsesuppen, Riegeln, Snacks und Kräutertees für eine fünftägige Fastenkur an (Prolon®). Wer lieber selbst kochen will, findet in Büchern zum Thema geeignete, von Ernährungswissenschaftlerinnen entwickelte Rezepte (siehe Kasten). Mit frischen Zutaten und selbst zubereitet schmeckt es meist am besten. Schließlich ist Genießen beim Scheinfasten erlaubt.
Gemüse, Salate, Pflanzenöle, Nüsse, zuckerarme Beeren sowie Wasser und ungesüßter Tee oder Kaffee sind die Hauptzutaten beim Scheinfasten. Auch Gewürze sind erlaubt. Wer es ausprobieren möchte, sollte bevorzugt die folgenden zehn Zutaten zu Hause haben: