Wie sich die Psyche im Alter verändert |
Heiter alt werden – das ist nicht allen Menschen gegönnt. / Foto: Adobe Stock/Peter Maszlen
Je älter ein Mensch wird, umso größer die Wahrscheinlichkeit für tiefgreifende Veränderungen, etwa durch Verlust, Krankheit oder einfach einen neuen Lebensabschnitt. Solch eine Veränderung ist der Eintritt in den Ruhestand. Neue Aufgaben und Herausforderungen zu finden, den Tag selbstständig zu strukturieren und der Wegfall beruflicher Anerkennung wird besonders von Menschen, die sich stark über ihre Arbeit definiert haben, als äußerst belastend erlebt.
Gesundheitliche Probleme werden mit fortschreitendem Alter immer präsenter. Krankheitsphasen nehmen zu und dauern länger an als in jungen Jahren. Mehrere Erkrankungen können gleichzeitig auftreten und schwere Erkrankungen werden häufiger. Im hohen Alter können körperliche und geistige Fähigkeiten nachlassen, was zu Einschränkungen der Selbstständigkeit und Selbstbestimmtheit führt. Vielen Menschen fehlt es nun an Zukunftsplänen und Zielen. Die Endlichkeit des Lebens wird ihnen bewusster und sie beginnen, sich mit dem eigenen Tod auseinanderzusetzen.
Gleichzeitig werden Beziehungsverluste häufiger, weil der Partner, ein Familienmitglied oder ein enger Freund verstirbt. Dies spiegelt sich auch im emotionalen Erleben älterer Menschen. Laut einer Studie der Universität Leipzig empfinden ältere Menschen seltener Ärger, Feindseligkeit und Verachtung als jüngere Menschen. Die Traurigkeit jedoch bleibt gleich und nimmt im hohen Alter eher etwas zu.
Das Alter gilt nicht grundsätzlich als Risikofaktor für eine psychische Erkrankung. Das Risiko steigt jedoch mit den negativen Veränderungen, die es mit sich bringen kann. Jede einzelne Veränderung stellt eine psychische Belastung dar, die eine psychische Erkrankung begünstigen kann. Da sich Belastungen vor allem im hohen Alter häufen, hat das Auswirkungen auf die psychische Gesundheit. Schätzungen zufolge sind 17 Prozent der Menschen über 75 Jahren von einer depressiven Störung betroffen, 7 Prozent sind an einer schweren Depression erkrankt. In Pflegeeinrichtungen ist die psychische Belastung der Bewohner besonders hoch. Hier weist die Mehrheit der Bewohner eine psychische Erkrankung auf.
Zu den häufigsten psychischen Erkrankungen älterer Menschen zählen die sogenannten »3 Ds« – Demenz, Depression und Delir – sowie Angst- und Suchterkrankungen. Typisch für psychische Erkrankungen im Alter ist, dass sie sowohl einzeln als auch in Kombination auftreten können. Besonders häufig ist dies bei Depressionen und Angststörungen der Fall, in vielen Fällen werden diese noch von Schmerzen begleitet. Auch eine Demenz tritt häufig zusammen mit einer Angsterkrankung auf. Eine enge Verzahnung der Symptomatik liegt zudem bei Depressionen und Demenz vor. So werden viele Patienten im Anfangsstadium einer Demenz depressiv und depressive Menschen können Symptome einer Demenz wie Konzentrations- und Aufmerksamkeitsprobleme oder Orientierungsschwierigkeiten zeigen.
Einzig das Delir ist meist gut von den anderen Erkrankungen abgrenzbar. Hier brechen Kognition und Aufmerksamkeit plötzlich ein, im Gegensatz zur langsamen, anhaltenden und fortschreitenden Entwicklung bei der Demenz. Bei alten Menschen tritt ein Delir häufig auf, wenn sie sich im Krankenhaus oder in einer Pflegeeinrichtung befinden. Oft ist es die Folge einer Multimorbidität und Multimedikation. Es existieren gewisse Präventionsmöglichkeiten. Neben der richtigen Medikation können ein ausgeglichener Elektrolyt- und Flüssigkeitshaushalt, Unterstützung beim Hören und Sehen sowie eine gut gestaltete Umgebung einem Delir vorbeugen.
Psychische Erkrankungen bei alten Menschen richtig zu erkennen, ist eine Herausforderung für Angehörige, Pflegepersonal und Mediziner. Dennoch ist es notwendig und wichtig, die Betroffenen zu diagnostizieren und angemessen zu behandeln. Ältere Menschen gehören zur Risikogruppe für Suizide. Vor allem Männer über 65 Jahre sind gefährdet, ein Drittel aller Suizide fällt in diese Altersgruppe. Auslöser sind in den meisten Fällen eine unbehandelte Depression, die sich gehäuft hinter Sucht- und Risikoverhalten verbirgt, sowie Angsterkrankungen. Körperliche Erkrankungen, chronische Schmerzen, Einsamkeit und soziale Isolation, der Verlust nahestehender Menschen oder der gewohnten Umgebung sowie das Erleben ständiger Abhängigkeit und der Wunsch, andere nicht zu belasten gelten als zusätzliche Risikofaktoren.
Welche therapeutischen Maßnahmen zum Einsatz kommen, hängt vom individuellen Krankheitsbild ab. Zu beachten ist jedoch, dass Psychopharmaka bei älteren Menschen häufig anders oder stärker wirken und mit anderen beziehungsweise stärkeren Nebenwirkungen einhergehen als bei jüngeren Patienten. Zudem sind Wechselwirkungen mit weiteren eingenommenen Medikamenten zu beachten. Auch bei einer Psychotherapie sollte das Alter des Patienten berücksichtigt werden. Anders als bei jungen Patienten steht im hohen Alter nicht mehr die Beseitigung der Symptomatik im Vordergrund, sondern vielmehr das Erreichen kleiner Veränderungen, die konkrete Probleme im Alltag der Betroffenen lösen. So verbessert sich das Wohlbefinden mancher Patienten bereits, wenn sie lernen, ihren Alltag sinnvoll zu strukturieren oder mit Unterstützung des Therapeuten neue Aufgaben finden, die das Leben wieder lebenswert machen.
Zwar verändert das fortschreitende Alter einen Menschen auf körperlicher und psychischer Ebene. Allerdings muss sich das nicht immer negativ auswirken. Der Charakter eines Menschen wird von fünf wesentlichen Merkmalen geprägt: emotionale Stabilität, Offenheit für neue Erfahrungen, Verträglichkeit im Umgang mit anderen Menschen, Gewissenhaftigkeit und Grad an Intro- oder Extraversion. Lange gingen Wissenschaftler davon aus, dass sich diese Persönlichkeitsmerkmale bis ins junge Erwachsenenalter hinein ausprägen und im weiteren Leben nur mehr stabilisieren. Geschuldet ist diese Annahme jedoch der Tatsache, dass sich Studien vor allem auf die Lebensspanne von der Geburt bis zu einem Alter von maximal 50 Jahren konzentriert haben. Alles danach wurde vernachlässigt. Dass dabei eine entscheidende Veränderung übersehen wurde, konnten Psychologen der Freien Universität Berlin erstmals nachweisen. Sie werteten die Daten von mehr als 23.000 Menschen zwischen 16 und 82 Jahren aus, die im Rahmen von zwei großen Bevölkerungsstudien in Deutschland und Australien über vier Jahre hinweg regelmäßig zu ihren Charaktereigenschaften befragt worden waren.
Hier zeigte sich wie erwartet eine intensive Phase der Persönlichkeitsentwicklung, die etwa bis zum 30. Lebensjahr reicht. Anschließend folgt eine relativ stabile Phase, in der wenig Veränderung stattfindet. Etwa ab dem 60. Lebensjahr ändert sich dies allerdings wieder. Hier schließt eine erneute veränderungssensible Phase an, die in ihrem Ausmaß mit der im jungen Erwachsenenalter vergleichbar ist. Sie führt dazu, dass jeder vierte Mensch seine Persönlichkeit noch einmal stark verändert. Dabei sind Persönlichkeitsänderungen in alle Richtungen möglich. Einige Menschen erleben sich nun weniger kontrolliert, leben impulsiver, andere entwickeln sich in die Gegenrichtung und werden ruhiger oder introvertierter. Dass dies kein Einzelfall ist, zeigt die Studie der Berliner Forscher ebenfalls. Die Ergebnisse waren in beiden Ländern und sowohl bei Frauen als auch bei Männern vergleichbar.
Etliche Faktoren tragen dazu bei, die psychische Gesundheit zu schützen und zu bewahren. Bekannt ist, dass körperliche Bewegung und regelmäßiges Training Depressionen vorbeugen können. Kognitive Herausforderungen und neue Ziele stärken das Selbstwertgefühl. Soziale Beziehungen schützen vor Vereinsamung, Isolation und Depression. Eine ausgewogene Ernährung wirkt sich nicht nur positiv auf den Körper, sondern auch auf die psychische Gesundheit aus. Alle Faktoren gemeinsam gelten zudem als vorbeugende Maßnahmen gegen eine Demenz und sind am wirkungsvollsten, wenn mit ihrer Umsetzung bereits im mittleren Lebensalter begonnen wird.