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Keine Bagatelle, aber gute Prognose

Wie wird die Lippen-Kiefer-Gaumenspalte behandelt?

Etwa eines von 600 Babys wird in Deutschland mit einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte geboren. Die Fehlbildung ist schon während der Schwangerschaft erkennbar und stellt betroffene Familien vor einige Probleme. Je früher und sachlicher die Aufklärung, desto effektiver die Therapie.
Barbara Erbe
20.02.2025  16:00 Uhr

Werdende Eltern, die bei einer Ultraschalluntersuchung ab der 18. Schwangerschaftswoche erfahren, dass ihr Kind mit einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte zur Welt kommen wird, reagierten meist schockiert, berichtet Dr. Hubertus Koch, Facharzt für Mund- Kiefer- und Gesichtschirurgie an der DRK-Kinderklinik Siegen. Gerade deshalb sei es zu diesem frühen Zeitpunkt enorm wichtig, betroffene Familien sachlich und konkret über die Fehlbildung und notwendige Therapien zu informieren, berichtet er im Gespräch mit PTA-Forum. Der Leiter des Kompetenzzentrums LKGN-Fehlbildungen der DRK-Kinderklinik Siegen, das seit mehr als 20 Jahren kleine Patienten behandelt, hält nichts von dem Versuch, werdende Eltern zu »entlasten«, indem man die bevorstehenden Schwierigkeiten kleinredet. »Betroffene profitieren am meisten, wenn sie eine positive, aber auch realistische Perspektive und einen konkreten Weg durch dieses Sorgental aufgezeigt bekommen – und sich darauf einstellen, dass es Zeit und Geduld braucht.«

Mediziner unterscheiden verschiedene Formen der Spaltbildung, die sich jeweils unterschiedlich auf Atmung, Nahrungsaufnahme, Sprechen und Hören auswirken. Ist nur die Oberlippe gespalten, redet man von einer Lippenspalte. Sind Oberlippe und Oberkiefer gespalten, bezeichnen Mediziner das als Lippen-Kiefer-Spalte. Unter dem Begriff Gaumenspalte werden Spaltbildungen des harten und/oder des weichen Gaumens zusammengefasst – der harte Gaumen ist der vordere, knöcherne Abschnitt des Gaumens; der weiche Gaumen ist der hintere, muskulöse Abschnitt, den man auch Gaumensegel nennt. Sind alle Partien betroffen, handelt es sich um eine durchgehende Lippen-Kiefer-Gaumenspalte.

Die jeweilige Fehlbildung präzise zu benennen, sei erster und wichtiger Teil der Behandlung, betont Koch. »Verkürzende Diagnosebegriffe, wie LKG-Spalte, Lippen- und Gaumenfehlbildung, cleft lip palate und Ähnliches führen letztlich zu ebenso verkürzten Therapien.« Eine präzise Diagnose, welche Bereiche des Mund-Rachen-Raums in welcher Form betroffen sind, ist auch für die sinnvolle Reihenfolge der nötigen chirurgischen Eingriffe wichtig, auch wenn betroffene Eltern häufig den Impuls verspüren, kosmetische Eingriffe vorzuziehen.

Herausforderung Ernährung

Die erste Herausforderung nach der Geburt ist die Ernährung des Neugeborenen, denn es kann nicht saugen, weder aus der Brust noch aus der Flasche. Dadurch, dass das Gaumensegel Mund und Nase nicht voneinander trennt, kann im Mund kein Unterdruck und damit kein Sog entstehen. Deshalb müssen die Eltern dem Säugling die Milch in kleinen, wohlportionierten Schlucken einflößen. Das erfordert viel Zeit und Aufmerksamkeit, denn anders als beim Stillen kann das Baby hierbei nicht nahezu gleichzeitig atmen und saugen – es braucht viele kleine Atempausen und schluckt überdies häufiger Luft. Nach der ersten Operation sei es aber immer noch möglich, das Baby zu stillen, betont Koch. Er rät betroffenen Müttern, die gern stillen möchten, Milch abzupumpen. »So kann das Baby Muttermilch trinken, die ihm guttut, und die Option des Stillens zu einem späteren Zeitpunkt bleibt gewahrt.«

Auch die Atmung verläuft bei Babys mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalte anders, denn die Luft, die sie einatmen, gelangt von den Nasenlöchern direkt in die Mundhöhle. Die unvollständige oder fehlende Nasenpassage hat überdies eine Schlüsselfunktion bei Infektabwehr, Reinigung, Anfeuchtung und Erwärmung der Atemluft, sodass sich bei betroffenen Babys schneller Infekte einstellen. Eine weitere Herausforderung ist das Hören: Kinder, die mit einer Gaumenspalte geboren werden, leiden häufig unter Mittelohrproblemen, denn die Gaumenmuskulatur ist maßgeblich daran beteiligt, dass Luft ins Mittelohr gelangt und Sekrete aus dem Mittelohr hinauskommen.

Die Behandlung einer Spaltbildung beginnt meist schon in den ersten Lebenstagen und im Idealfall durch ein Team verschiedener Fachärzte, die eng zusammenarbeiten. Bis zum Abschluss des Wachstums braucht es in der Regel eine kontinuierliche Betreuung – dann aber »sind die Ergebnisse meist sehr gut«, berichtet Fachchirurg Koch.

Welche Behandlungsschritte in welcher Reihenfolge und zu welchem Zeitpunkt durchgeführt werden, hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. Dazu zählen unter anderem die Art der Spaltbildung, der Ausprägungsgrad und der allgemeine Gesundheitszustand des Kindes. Zu den ersten Behandlungsschritten gehört so gut wie immer das Anpassen einer Gaumenplatte, auch »Trinkplatte« genannt. Sie trennt Nasen- und Rachenraum voneinander und soll das Wachstum der fehlausgeformten Kiefer- und Gaumensegmente korrigieren. Zudem regelt sie die Zungenlage und wirkt sich so positiv auf Atmung, Lautbildung und auf die Kieferentwicklung aus. Neugeborene gewöhnen sich meist schnell und problemlos an eine Gaumenplatte. Sie wird so lange getragen, bis der Gaumen operativ verschlossen wird.

Von innen nach außen

Die erste Operation erfolgt ab dem sechsten Lebensmonat und nach dem Grundsatz »von innen nach außen«: Zunächst werden die Nasenhaupthöhlen und die Mundhöhle gebildet, indem die trennenden Schichten – das Gaumengewölbe, der Kieferkamm und der Nasenboden – nachgeformt werden. Nasenatmung, Saugen, normales Schlucken und ein besseres Hören werden möglich. Dafür muss der junge Patient oder die junge Patientin in der Regel eine Woche im Krankenhaus bleiben.

In einer zweiten Operation, die circa acht bis zehn Wochen später ansteht, werden Lippe, Nase und Mundvorhof ausgeformt. »Letzterer ist bedeutend für die Beweglichkeit der Oberlippe und lässt sich gut ausformen, wenn – wie in der ersten Operation geschehen – der Kieferfortsatz vom Nasenboden bis zum Zahnfleisch vollständig nachgebildet ist«, geht Koch ins Detail. Dieser Krankenhausaufenthalt dauert etwa fünf Tage.

Je früher ein operativer Eingriff durchgeführt wird, umso besser sind die Chancen für eine ungehinderte Sprachentwicklung. Dennoch kann es für die Entwicklung des Kiefers besser sein, erst später zu operieren, da Narbenbildungen das Kieferwachstum behindern können. Hier gilt es von Fall zu Fall individuell zu entscheiden, wozu auch der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt*innen (BVKJ) rät.

Regelmäßige Kontrollen

Nach den beiden Operationen gelte es zu kontrollieren, wie sich der Nachwuchs entwickelt, erläutert Koch. »Insbesondere muss dabei die Funktion der Zunge im Blick behalten werden, da sie nie eine normale Umgebung hatte.« Auch deshalb muss nach drei bis vier Monaten mit logopädischer und funktionstherapeutischer Expertise untersucht werden, wie das Kind Mund und Zunge bewegt. Auch regelmäßige HNO-Untersuchungen gehören mit zur Therapie. Denn eine gute Mund- und Sprechmotorik sowie gutes Hören sind elementar für eine gute Sprachentwicklung. Steht der beginnende Zahnwechsel mit etwa sieben Jahren an, klärt eine Röntgenkontrolle, wie gut die Knochen ausgeheilt sind und ob eventuell eine Knochentransplantation erforderlich ist, damit die bleibenden Zähne stabil hervorwachsen können.

Sowohl für Eltern als auch für die heranwachsenden Patienten kann eine psychologische Unterstützung hilfreich sein und den Umgang mit der Fehlbildung erleichtern. Lippen-Kiefer-Gaumenspalten zählen laut BVKJ zu den häufigsten angeborenen Fehlbildungen. Das Risiko sei auch familiär bedingt, erläutert Koch. »Mit jeder betroffenen Person in der Familie steigt das Risiko für den Nachwuchs.« Allerdings spielen noch weitere Faktoren eine Rolle, sodass PTA werdenden Eltern und Frauen mit Kinderwunsch im Beratungsgespräch ans Herz legen sollten, sich vitaminreich zu ernähren und im Idealfall schon einige Monate vor der Empfängnis B-Vitamine und Folsäure zu ergänzen und von Rauchen oder Alkohol abzusehen.

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