Wie wirken soziale Medien auf unser Gehirn? |
Was bei der Diskussion allerdings nicht vergessen werden dürfe: »Social Media können umgekehrt auch Impulse für einen gesunden Lebensstil setzen, insbesondere durch Anregungen zu einer gesünderen Ernährung, mehr Bewegung und körperlicher Fitness, und damit die Hirngesundheit fördern.« So konnten beispielsweise Influencer während der Coronapandemie Menschen zu körperlicher Aktivität und Sport animieren, die sonst diesen Aktivitäten ferngeblieben wären oder sich zumindest deutlich weniger bewegt hätten. Auch die BZgA betont regelmäßig, dass Digitalisierung im Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung einen immer höheren Stellenwert einnimmt, etwa in Form von Präventions-Apps oder Online-Training- und Coaching-Plattformen.
Um herauszufinden, was soziale Medien genau mit den Gehirnen ihrer Nutzer machen, untersuchten koreanische Wissenschaftler mittels Magnetresonanztomografie (MRT) insgesamt 78 junge Erwachsene dahingehend, wie deren verschiedene Gehirnregionen miteinander agieren. 39 von ihnen zeigten einen problematischen Social-Media-Gebrauch, die anderen 39 nicht. Die Arbeitsgruppe fand bei denjenigen mit hoher Social-Media-Aktivität zwar eine engere Verbindung zwischen der Sehrinde und der intraparietalen Hirnrinde, die unter anderem für die Steuerung von Augenbewegungen zuständig ist. Gleichzeitig war aber die Verbindung zwischen diesen Arealen und den Arealen für soziale Einordnung und emotional-kognitive Wertung, und zwar im dorsolateralen präfrontalen Kortex, geschwächt. Diese Verbindung war umso schwächer, je stärker die Social-Media-Sucht ausgeprägt war.
Eine aktuell in »Scientific Report«, einem Journal der »Nature«-Gruppe, erschienene Arbeit
untersuchte Kinder im Alter von acht bis zwölf Jahren, die pro Tag im Durchschnitt 4 Stunden und 44 Minuten mit digitalen Medien verbrachten. Die Forschenden beobachteten, dass eine intensive Nutzung der sozialen Medien zu einer Entwicklungsverzögerung des Kleinhirns führte. Das Kleinhirnvolumen war bei den Kindern, die sich viel in den sozialen Medien bewegten, minimal kleiner. »Das ist eine Einzelstudie und eine Momentaufnahme, eventuell holen die Betroffenen in der Pubertät auf«, kommentiert Timmermann das Ergebnis. Allerdings sei das Kleinhirn eine Kontrollinstanz für die Koordination und Feinabstimmung von Bewegungsabläufen. »Hier könnte sich womöglich der Kreis zu der beobachteten Zunahme von funktionellen Bewegungsstörungen und Tics schließen.« Allerdings seien hirnvolumetrische und hirnmorphologische Veränderungen jenseits von veränderten funktionellen Verbindungen generell wohl weniger ein Problem. Achtgeben sollte man seiner Meinung nach hingegen auf die neuronale Plastizität, das heißt auf die Eigenschaft des Gehirns, sich durch Training zu verändern.
In Bezug darauf könnten die sozialen Medien gut oder schlecht sein – je nach Nutzungsverhalten. »Die Forschung steht hier noch ganz am Anfang, aber es gibt bereits erste Studien, die letztlich das widerspiegeln, was im Grunde auch aus neurowissenschaftlicher Sicht auf der Hand liegt«, so der Experte. So konnte eine chinesische Arbeitsgruppe zeigen, dass die Social-Media-Nutzung die funktionelle Konnektivität erhöht, also die Interaktion einzelner Gehirnregionen, die anatomisch nicht direkt miteinander verbunden sind. Mittels Magnetresonanztomografie (MRT) bei den Testpersonen zeigte sich, dass die Phase der intensiven Social-Media-Nutzung die Interaktion zwischen den Hirnregionen verstärkt hatte. Das lässt sich mit der Vielfalt der akustischen, visuellen und emotionalen Reize erklären sowie mit der Aktivierung des Belohnungssystems und der Aufmerksamkeit.
Gerade bei Jugendlichen und jüngeren Erwachsenen sei die Abhängigkeit von Feedback aus der »Peergroup« besonders ausgeprägt, sodass ihre Hirnaktivität entsprechend steigt. Filterblasen wiederum führen zu weniger Stimuli beim Ausbau der Plastizität, und zwar aus zwei Gründen. Zum einen bekommen die Menschen durch entsprechende Algorithmen in den sozialen Medien nur das präsentiert, was sie kennen und mögen. So werden sie von gegenläufigen Meinungen und anderen Erfahrungswelten mehr oder weniger ferngehalten und erhalten wenig Stimuli für die neuronale Plastizität. »Das sollte uns immer bewusst sein, und man ist gut beraten, Social Tracker weitgehend zu blockieren«, so Timmermann. Zum anderen werde in den sozialen Medien häufig mit Emotion statt mit Information gearbeitet. »Emotionen entstehen im limbischen System, das nicht dem Bewusstsein untergeordnet ist.« Verschiedene Publikationen der Berlin School of Mind and Brain der Humboldt-Universität Berlin zeigen, dass emotionale Inhalte die Anfälligkeit für Desinformation und Fake News erhöhen und die Fähigkeit, die Seriosität einer Quelle zu prüfen und kritisch einzubeziehen, heruntersetzen.
Zusammengefasst, so Timmermann, seien die sozialen Medien weder »Good Guy« noch »Bad Guy«. Richtig angewendet, machten sie weder krank noch dumm; sie könnten sogar die funktionelle Konnektivität und Plastizität erhöhen. Dieses Potenzial könnte auch therapeutisch genutzt werden. Es laufen bereits erste Untersuchungen, wie mit Virtual Reality und Brain-Computer-Interfaces die neuronale Plastizität gezielt gefördert werden kann – etwa nach Schlaganfällen, traumatischen Hirnverletzungen oder bei neurodegenerativen Erkrankungen.