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Rückenschmerzen

Wirbelsäulen-Operation oft nicht notwendig

Viele Menschen werden aufgrund von Rückenschmerzen an der Wirbelsäule operiert. Dabei scheinen diese Eingriffe oft weder sinnvoll noch wirksam zu sein, wie zwei Schmerzexperten Ende März beim Deutschen Schmerz- und Palliativtag erläuterten.
Judith Schmitz
23.05.2022  16:00 Uhr

Rückenschmerzen zählen zu den häufigsten Schmerzerkrankungen und sind der dritthäufigste Grund für einen Arztbesuch. Auf der Suche nach Schmerzlinderung haben viele Patienten eine mehrjährige Odyssee mit verschiedenen Diagnoseverfahren wie mehrfachen Röntgen-, CT- und MRT-Aufnahmen, Facharztbesuchen und Therapien von Schmerzmitteln bis hin zu Massagen, Krankengymnastik, Physiotherapie und wirbelsäulennahen Injektionstherapien hinter sich. Am Ende erfolgt dann oft eine Operation an der Wirbelsäule, bei der jedoch häufig die erhoffte Schmerzlinderung ausbleibt oder sich die Schmerzen sogar verstärken.

So zumindest schildert der Schmerzmediziner Dr. Michael Küster aus Bonn die Versorgungslage von Rückenschmerzpatienten in Deutschland aufgrund eigener Erfahrungen aus seiner Schmerzpraxis. Dabei wurde er unterstützt von seinem Co-Referenten, dem Präsidenten der Deutschen Schmerzliga (DSL), Privatdozent Michael A. Überall, Nürnberg. Anlässlich eines im März gehaltenen Rückenschmerz-Symposiums beim Deutschen Schmerz- und Palliativtag verdeutlichten die Experten, welche Probleme sie bei der Versorgung der Schmerzpatienten sehen.

Die Deutsche Schmerzliga ist eine Organisation für Patienten mit chronischen Schmerzen, ein gemeinnütziger Verein, der 1990 von Ärzten und Patienten gegründet wurde. Überall ist zudem Vize-Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin (DGS) und Geschäftsführer eines Unternehmens, das für die Qualitätssicherung und die medizinische wissenschaftliche Begleitung von Zweitmeinungsverfahren vor schmerzbedingten Operationen an der Wirbelsäule sowie verschiedener integrierter Versorgungskonzepte zur Behandlung der Rückenschmerzen verantwortlich ist.

Laut Überall gibt es seit Jahren nicht nur kontinuierlich mehr Rückenschmerzpatienten, sondern auch eine parallel dazu steigende Zahl bildgebender Untersuchungen. Allerdings, so Überall, werde aus dem Symptom Schmerz und einer Auffälligkeit in der Bildgebung häufig ein Kausalzusammenhang hergestellt, der in den meisten Fällen gar nicht existiert. Eine Metaanalyse etwa weist auf eine hohe Rate falsch positiver radiologischer Befunde bei Menschen ohne Rückenschmerzen hin.

Schmerzmediziner Küster, ebenfalls Vizepräsident der DGS, sagt dazu: »Ab einem Alter von 20 Jahren findet der Spezialist fast immer eine von der ‘Norm’ abweichende Veränderung im Röntgenbild, die leider oft mit Begriffen von Krankheiten beschrieben wird, obwohl sie altersgerecht ist. Diese Veränderung muss aber nicht die Ursache des Symptoms, hier der Rückenschmerz, sein. Wichtig ist daher die richtige klinische Diagnose.«

Dass eine Operation an der Wirbelsäule nicht unbedingt die Schmerzursache behebt, zeigen mehrere Studien: Operationen an der Wirbelsäule haben keinen positiven Effekt hinsichtlich der Schmerzlinderung gegenüber nur scheinbar durchgeführten Operationen (Placebo-Operationen). Überall sagt: »Bei Wirbelsäuleneingriffen wegen Rückenschmerzen zeigen Studien, dass es keinen Hinweis darauf gibt, dass die Operation wirklich besser ist als eine sinnvoll durchgeführte konservative Behandlung. Aber Studien zeigen, dass diese Operationen zu einem gewissen Prozentsatz mit Nebenwirkungen vergesellschaftet sind.«

Zweitmeinung vor der OP

Die steigende Zahl der Rückenschmerzpatienten, der Rückenoperationen und die genannten Studienergebnisse seien Gründe dafür gewesen, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) im vergangenen Herbst das Zweitmeinungsverfahren vor schmerzbedingten Wirbelsäulen-Operationen eingeführt hat. Nach Intervention der Deutschen Schmerzliga sind dabei nun nicht nur operativ und operativ nahestehende Fachrichtungen für die Abgabe einer Zweitmeinung qualifiziert, sondern es können auch Schmerzmediziner als qualifizierte Zweitmeinungsgeber mit einbezogen werden. Diese konservative Therapieschiene wird etwa durch Fachärzte für Allgemeinmedizin oder Innere Medizin mit der Zusatzbezeichnung »Spezielle Schmerztherapie« vertreten.

Überall kritisiert jedoch, dass in der Praxis die Zweitmeinung meist von einem Vertreter der operativen Schiene abgegeben werde, da der Part der Schmerzmedizin nicht zwingend einbezogen werden muss. »Häufig geht es bei diesen Verfahren nicht darum, zu überprüfen, ob die OP wirklich sinnvoll ist, sondern ob der Befund operiert werden kann.« Es könne aber nicht sein, dass Operateure und Krankenhäuser sich auf dem Rücken schmerzkranker Menschen »eine goldene Nase verdienen und Betroffene dann mit ihren Rückenschmerzen und den Folgen ihrer Operationen alleine gelassen werden«, so Überall.

Als alternatives Zweitmeinungsverfahren nennt Überall die interdisziplinäre Schmerzkonferenz. Hier stünden die individuellen Bedürfnisse des Rückenschmerzpatienten und die für ihn infrage kommenden Behandlungen im Vordergrund. An der Konferenz nehmen alle relevanten Fachgruppen, bestehend mindestens aus einem konservativen Schmerztherapeuten sowie aus je ein auf Schmerzen spezialisierter Physio- und Psychotherapeut teil. Sie evaluieren gemeinsam mit den Betroffenen die Möglichkeiten nicht operativer multimodaler Therapieverfahren.

Küster hat als Schmerzmediziner seit mehr als 15 Jahren bereits viele solcher interdisziplinären Schmerzkonferenzen geleitet. Die meisten Rückenschmerzpatienten erhalten als Ergebnis eine Empfehlung gegen die Operation. Nur die wenigsten werden nach dieser Zweitmeinung tatsächlich an der Wirbelsäule operiert. Vielen kann sogar in der Regelversorgung geholfen werden, denn im Rahmen des interdisziplinären Zweitmeinungsverfahrens werden auch bislang nicht angedachte konservative Therapieverfahren evaluiert, die ohne nennenswerten Zusatzaufwand umgesetzt werden können

Diejenigen Patienten, bei denen die üblichen konservativen Verfahren der Regelversorgung ausgeschöpft sind und für die dennoch keine Operation als sinnvoll erachtet wird, können im Anschluss an das Zweitmeinungsverfahren an einem intensiven individuellen multimodalen Behandlungsprogramm teilnehmen. Es wird von Arzt, Physio- und Psychotherapeut aus der Schmerzkonferenz durchgeführt und dauert drei Wochen oder berufsbegleitend drei Monate.

Das Zweitmeinungsverfahren der interdisziplinären Schmerzkonferenz ist allerdings keine Regelleistung der Gesetzlichen Krankenversicherung, sondern Teil eines sogenannten besonderen Versorgungsprogramms. Die Techniker Krankenkasse und einige Ersatzkassen übernehmen jedoch dafür sowie für das anschließende intensive Behandlungsprogramm die Kosten, falls indiziert.

Oft keine OP-Empfehlung

Für die interdisziplinäre Schmerzkonferenz hat Überall die Daten von mehr als 7500 Patienten evaluiert. Von den Patienten, die ohne Zweitmeinung so gut wie alle operiert worden wären, erhielten tatsächlich nur knapp 5 Prozent eine OP-Empfehlung. Die anschließend optional angebotene, individuelle multimodale Intensivbehandlung führte bei der Mehrheit der Patienten zu einer nachhaltigen Schmerzlinderung. Die Lebensqualität der Patienten verbesserte sich körperlich und seelisch und die Teilhabe Betroffener an den Aktivitäten des alltäglichen Lebens normalisierte sich in den meisten Fällen.

Überall führt aus: »Um dem großen Problem unnötiger Wirbelsäulenoperationen gerecht zu werden, halte ich einen Wechsel der aktuellen Pay-for-procedure-Strategie hin zu einem Pay-for-results-Konzept für sinnvoll, also dass die Krankenkasse die Operation erst dann bezahlt, wenn der Patient anschließend weniger oder keine Schmerzen hat. Damit möchte ich auch im Sinne der Deutschen Schmerzliga erreichen, dass Ärzte, insbesondere Operateure, stärker ob ihrer Verantwortung für eine bedürfnisorientierte und nachhaltige Versorgung Betroffener sensibilisiert werden. Zusätzlich halten wir eine verpflichtende Zweitmeinung in Form der interdisziplinären Schmerzkonferenz für alle elektiven schmerzbedingten Wirbelsäulenoperationen für notwendig.«

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