Wirksam auch bei Covid-19? |
Dem Biguanid Metformin werden zahlreiche positive Effekte zugeschrieben. / Foto: Adobe Stock/makaule
Metformin ist PTA vor allem als orales Antidiabetikum bekannt, das bei nicht insulinabhängigem Diabetes eingesetzt wird. Es ist Mittel der Wahl zur Therapie des Typ-2-Diabetes. Der Arzneistoff führt meist auch zu einem in der Regel erwünschten Gewichtsverlust und verringert zudem das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse. Das Biguanid kann aber noch mehr: Studiendaten deuten an, dass es die Sterblichkeit von Typ-2-Diabetikern sogar im Vergleich zu Menschen ohne die Stoffwechselerkrankung senkt.
Immer wieder finden Wissenschaftler Hinweise auf neue günstige Eigenschaften. So soll Metformin Potenzial haben, als »Anti-Aging«-Mittel zu wirken oder das Krebsrisiko zu senken. Aktuell machen Meldungen Hoffnung, dass der Klassiker unter den oralen Diabetesmedikamenten bei Risikopatienten mit einem schweren Verlauf einer SARS-CoV-2-Infektion helfen könnte.
Es gibt bereits einige Studien mit Typ-2-Diabetikern, die auf Anti-Aging-Effekte von Metformin hindeuten. Unklar ist noch, wie die Wirkung genau zustande kommt und ob auch stoffwechselgesunde Menschen davon profitieren.
Dr. Maria Ermolaeva, Juniorgruppenleiterin der Forschungsgruppe »Stresstoleranz und Homöostase« am Jenaer Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI), hat die Wirkungen im Tierexperiment und an menschlichen Zellkulturen untersucht und darüber im Fachjournal »Nature Metabolism« berichtet. »Wir haben festgestellt, dass das Diabetesmedikament auch die Lebensspanne stoffwechselgesunder Tiere verlängern kann. Voraussetzung ist aber, dass es schon jungen Tieren gegeben wird«, erklärte Ermolaeva im Gespräch mit PTA-Forum. So zeigte sich am jungen Fadenwurm C. elegans der lebensverlängernde Effekt von Metformin. »Bei Applikation an alte Tiere erwies sich der Arzneistoff aber als toxisch. Bis zu 80 Prozent der Population verstarb innerhalb der ersten 24 Stunden nach Behandlung«, berichtet die Wissenschaftlerin. Im Zellkulturmodell stellte das Team fest, dass die Metformin-Toleranz bei menschlichen Zellen, die ihre Fähigkeit sich zu teilen aus Altersgründen verloren hatten, fortlaufend abnahm. »Alte Zellen können sich nicht mehr so gut an metabolische Stressoren wie Metformin anpassen wie junge Zellen«, erklärt die Expertin. Wichtige Stoffwechselaktivitäten, etwa die der Mitochondrien, die Glykolyse oder der Lipidumsatz, finden nur noch vermindert statt.
»Die Dosis des Medikaments, die bei jungen Organismen die Lebensdauer erhöhte, erwies sich bei alten Zellen daher als schädlich«, berichtet die Wissenschaftlerin. Um zu prüfen, wie der Effekt im Menschen ist, wurde in den USA mit TAME (Targeting Aging with Metformin) die erste Studie dazu initiiert. Die Prüfer schließen etwa 3000 Menschen im Alter von 65 bis 79 Jahren ein, die eine bis drei der Erkrankungen Krebs, Herzkrankheiten oder neurodegenerative Erkrankungen haben oder Risikofaktoren dafür zeigen. Ausgeschlossen von der Rekrutierung sind Diabetes-Patienten. Das Ziel der Forscher ist, herauszufinden, ob Metformin die Entwicklung altersbedingter Krankheiten verzögern kann.
Aktuell macht Metformin Schlagzeilen, weil es möglicherweise bei Covid-19 helfen könnte. Bereits im April 2020 veröffentlichten Wissenschaftler in der Fachzeitschrift »Diabetes Research and Clinical Practice« die Vermutung, dass das Antidiabetikum eine mögliche Therapieoption gegen das neuartige Coronavirus darstellen könnte. Seither zeigen verschiedene Beobachtungsstudien, dass Diabetes zwar ein Risikofaktor für die Mortalität im Zusammenhang mit Covid-19 ist, Probanden allerdings, die Metformin einnehmen, eine verringerte Sterblichkeit haben, verglichen mit Menschen, die das orale Antidiabetikum nicht einnehmen. Jüngst werteten Wissenschaftler der University of Alabama in Birmingham, USA, in einer retrospektiven Analyse die elektronischen Gesundheitsdaten von knapp 25.000 Probanden aus, die im Frühjahr 2020 in der Klinik auf Covid-19 getestet wurden. In der Fachzeitschrift »Frontiers in Endocrinology« berichteten sie, welche Charakteristika und Komorbiditäten mit einer Sterblichkeit bei Covid-19-positiven Patienten zumindest in ihrer Auswertung korrelierten. Dabei zeigte sich, dass Afroamerikaner sowie Patienten mit Adipositas, Hypertonie und Diabetes ein deutlich erhöhtes Risiko hatten, schwer zu erkranken.
Die Zuckerkrankheit erwies sich als besonders großer Risikofaktor: 67 Prozent der im Zusammenhang mit Covid-19 verstorbenen Menschen litten daran. Die gute Nachricht ist, dass die Wissenschaftler einen Faktor finden konnten, der mit einer signifikanten Reduktion der Mortalität einherging: die Therapie mit Metformin. Patienten, die das Medikament einnahmen, hatten eine um 23 Prozent geringere Covid-19-bedingte Sterblichkeit gegenüber Menschen, die das Arzneimittel nicht anwendeten. Daran, dass Patienten durch Metformin einen gut eingestellten Diabetes hatten, konnte es laut Aussage der Forscher nicht liegen. Zumindest in ihrer Studie hatten Diabetiker, die Metformin einnahmen, keinen niedrigeren Blutzuckerspiegel als Patienten, die Insulin anwendeten.
Wie das Arzneimittel gegen Covid-19 wirken könnte, ist noch unklar. Auch die Metformin-Expertin Ermolaeva sagt: »Aktuell können wir nur spekulieren«. Ihre Idee für den Wirkmechanismus: »Metformin hemmt den sogenannten mTOR-Signalweg (mTOR = mechanistic Target of Rapamycin). Ist die mTOR-Aktivität verringert, resultiert daraus ein immunsuppressiver Effekt, der bei Covid-19 schützen könnte. Bei dieser Krankheit ist ein überschießendes Immunsystem oft das Problem.«
Ermolaevas These veröffentlichten bereits Forscher im April 2020 in »Diabetes Research and Clinical Practice«. Sie vermuteten auch, dass die Wirksamkeit bei Covid-19 damit zusammenhängen könnte, dass Metformin die AMP-abhängige Kinase (AMPK) aktiviere. Durch aktivierte AMPK könnten ACE2-Rezeptoren, also die Andockstelle für SARS-CoV-2, phosphoryliert werden. SARS-CoV-2 findet dann im Körper weniger freie Bindungsstellen an seinen Zielzellen. Auch ein antithrombotischer Effekt wird als mögliche protektive Wirkung gegen die neue Krankheit diskutiert.
Die aktuellen Studien legen also nahe, dass die Einnahme von Metformin unabhängig von anderen Faktoren wie Alter, Geschlecht, Ethnie, Adipositas und Bluthochdruck mit einer signifikant niedrigeren Sterblichkeit an Covid-19 assoziiert sein könnte. Welche Wirkmechanismen ausschlaggebend für diesen Effekt sind, ist aber noch unklar.
Dass die Therapie auch Risiken bergen kann, zeigt die Publikation »Praktische Empfehlungen der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) zum Diabetesmanagement bei Patientinnen und Patienten mit einer Covid-19-Erkrankung«. Die Autoren raten, die Gabe von Metformin bei Covid-19-Patienten mit schwerem Krankheitsverlauf kritisch zu überprüfen und die Medikation gegebenenfalls anzupassen. Grund ist, dass als Komplikation einer Therapie mit Metformin (selten) eine Laktatazidose auftreten kann. Diese Stoffwechselentgleisung kann zu einem Multiorganversagen führen. Die DDG plädiert daher dafür, Diabetiker mit schweren Covid-19-Verläufen mit Insulin zu behandeln.
Metformin kann aber noch mehr. Bereits seit Jahren setzen Ärzte das Antidiabetikum bereits off Label beim Polyzystischen Ovarial-Syndrom (PCOS) ein. Bei der Krankheit stellt der weibliche Körper zu viel des männlichen Geschlechtshormons Testosteron her, was Frauen erschwert, schwanger zu werden. Metformin soll dem entgegenwirken.
Auch in der Vorbeugung von Krankheiten scheint die Substanz zu punkten. Mehrere Studien deuten darauf hin, dass Metformin das Krebsrisiko beziehungsweise die Krebssterblichkeit bei Typ-2-Diabetikern verringern kann. Diese Hinweise gibt es für eine Reihe verschiedener Krebserkrankungen, darunter Darm-, Pankreas-, Prostata- oder Lungenkrebs.
In 2019 wurde eine Studie veröffentlicht, die zeigte, dass Metformin bei weiblichen Mäusen Hirnschäden nach einem Schlaganfall teilweise reparieren kann. Warum das bei männlichen Tieren nicht gelang, erklären Forscher damit, dass Estrogen die Wirkung fördert, Testosteron aber hemmt. Aus Tierversuchen könnte sich auch schließen lassen, dass Metformin die Raucherentwöhnung erleichtert. Wissenschaftler forschen zudem daran, ob das Antidiabetikum die Nebenwirkungen einer oralen Glucocorticoid-Therapie zu reduzieren vermag.
Wie genau Metformin diese und weitere Wirkungen hervorruft, ist bis heute unklar. So ist selbst der Wirkmechanismus bei Diabetes nicht restlos aufgeklärt. Der Klassiker kann also weiterhin für Überraschungen sorgen.
Eine der positiven Wirkungen von Metformin ist, dass die Substanz eine Gewichtsreduktion herbeiführen kann. Wissenschaftler haben nun in humanen und Tierstudien Hinweise dafür gefunden, wie Metformin zum Gewichtsverlust beiträgt. Am Mechanismus scheint der Wachstumsdifferenzierungsfaktor 15 (GDF15) beteiligt zu sein. Das Protein bindet im Gehirnstamm und führt dort ein Sättigungsgefühl herbei. Nach Einnahme von Metformin liegt es im Blutserum vermehrt vor. Daraus ließe sich eine Idee ableiten, Adipositas zu behandeln: Die Gabe des Proteins GDF15 könnte Patienten helfen abzunehmen und bringt möglicherweise als körpereigene Substanz weniger Nebenwirkungen mit sich als andere Therapien.
Coronaviren lösten bereits 2002 eine Pandemie aus: SARS. Ende 2019 ist in der ostchinesischen Millionenstadt Wuhan eine weitere Variante aufgetreten: SARS-CoV-2, der Auslöser der neuen Lungenerkrankung Covid-19. Eine Übersicht über unsere Berichterstattung finden Sie auf der Themenseite Coronaviren.